20.04.2024

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Folge 24-22 vom 17. Juni 2022 / Kindheitserinnerung / Stullen aus der Hasenbäckerei / Für die Kinder hatte die Großmutter immer etwas Besonderes dabei, wenn sie zu Besuch kam: Hasenbrote

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-22 vom 17. Juni 2022

Kindheitserinnerung
Stullen aus der Hasenbäckerei
Für die Kinder hatte die Großmutter immer etwas Besonderes dabei, wenn sie zu Besuch kam: Hasenbrote
Hertha Pruss

Wenn wir uns von unserer masurischen Heimat erzählen, sprechen wir manchmal auch vom Hasenbrot. Wir waren als Kinder noch recht klein, als Großmutter von einem Besuch bei Tante Marie, ihrer ältesten Tochter, zurückkehrte. Nach dem Auspacken aller mitgebrachten guten Sachen griff sie nochmals tief in ihre Rocktasche und holte mit geheimnisvoller Miene ein Päckchen heraus. „Und hier, Kinderchen“, sagte sie, „ist was ganz Besonderes.“ 

Sie wickelte das Papier vorsichtig ab. Zum Vorschein kam ein dickes Stück ganz dunklen, groben Roggenbrotes. „Das ist ja Brot“, sagten wir Kinder wie aus einem Munde. „Ja, Kinderchen, das ist auch Brot, aber das ist ein ganz besonderes Brot: Das haben die Häschen im Walde gebacken, das ist Hasenbrot“, belehrte uns Großmutter. 

Als wir ungläubig darauf starrten, setzte sie sich hin und erzählte uns, als sie durch den Wald gegangen wäre, habe sie die Häschen beim Brotbacken belauscht. „Erst holen sie den Roggen vom Feld, dann schütteln sie die Körner aus und mahlen sie zwischen den Steinen zu Mehl. Danach holen sie Wasser vom Waldbach, wo es ganz frisch und rein ist, und kneten den Teig mit ihren kleinen Hasenpfötchen. In der heißen Mittagssonne backt dann das Brot auf einem großen Stein. Wenn das Brot fertig ist, gibt es ein großes Fest bei den Hasenleuten. Sie fassen sich bei den Pfötchen und tanzen vor lauter Freude.“ 

Wie bestaunten wir unsere Großmutter, dass sie das alles hatte miterleben dürfen. Neugierig fragten wir, wie sie denn zu dem Hasenbrot gekommen sei. „An artige Kinder geben die Häschen schon mal ein Stück, aber die ungezogenen kriegen nichts ab. Als ich erzählte, dass bei uns zu Hause nur artige Kinder wären, da gaben sie mir für euch ein Stück mit. Riecht es nicht wirklich gut, das 

Hasenbrot?“ 

Nur für artige Kinder

Sie brach einem jeden von uns ein Stück davon ab und ließ sich selber ein Bröcklein über. Wir rochen daran. Es war uns, als duftete es wirklich nach Waldblumen und harzigen Bäumen, nach Sonne und Wind. Und es schmeckte seltsam gut, so grob und so dunkel es war. Nicht sehr oft besuchte die Großmutter Tante Marie, aber jedesmal brachte sie uns ein Stück dunkles Hasenbrot mit. Und jedesmal wusste sie uns was Neues von den Hasenleuten zu berichten. 

Erst viel später, als wir Tante Marie selber mal besuchten, als wir älteren Kinder schon lange Großmutters Geschichten bezweifelten, entdeckten wir, dass Tante Marie es gewesen war, die unser geliebtes Hasenbrot gebacken hatte. Älter geworden, hörten wir später oft die alten masurischen Mütterchen vom Hasenbrot erzählen. Sie kannten sie wohl alle, die Geschichte vom Hasenbrot. 

Wie oft brachte so ein wunderbares Stückchen Hasenbrot bei einem weinenden Kind die Tränen zum Versiegen. Wie oft brachte es ein gar zu störrisches zum Lächeln, zum Vergessen seines Kummers. Wie oft war so ein kleines Stückchen Brot zusammen mit der wunderbaren Geschichte darum einem Kinde mehr wert als alles andere Mitgebrachte. 

Es war und blieb eben Hasenbrot, von den Häschen im Walde gebacken.