24.04.2024

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Folge 25-22 vom 24. Juni 2022 / Ukrainekrieg / Ein neuer Held / Der in Memel geborene Nuntius des Papstes in Kiew blieb auch während der heftigsten Angriffe in der ukrainischen Hauptstadt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-22 vom 24. Juni 2022

Ukrainekrieg
Ein neuer Held
Der in Memel geborene Nuntius des Papstes in Kiew blieb auch während der heftigsten Angriffe in der ukrainischen Hauptstadt
Bodo Bost

Am Vorabend des russischen Einmarsches in der Ukraine evakuierten die meisten diplomatischen Vertretungen ihre Vertreter aus Kiew. Viele Diplomaten verließen sogar die Ukraine, um dem russischen Beschuss zu entgehen. Einer von den zwei in Kiew verbliebenen Botschaftern war der Nuntius des Vatikans, Visvaldas Kulbokas, der 1974 in Memel geboren wurde. Hierfür erhielt der Nuntius von Präsident Selenskyj eine hohe Anerkennung. Auch in seiner Geburtsstadt Memel wird Erzbischof Kulbokas jetzt gefeiert. 

Die katholische Kirche, zu der sich immerhin fast 90 Prozent aller Litauer bekennen, fristete unter den Sowjets nach 1945 auch in Memel ein Schattendasein. Die erste Kirche, die in Memel 1947 eröffnen durfte, war eine orthodoxe Kirche, zu der die ehemalige deutsche evangelische Friedhofskapelle umfunktioniert wurde. Bis 1988 war die kleine Christkönigskirche, die 1945 in etwa an der Stelle der 1782 errichteten ersten katholischen Kirche in der  Töpferstraße errichtet worden war, die einzige katholische Kirche in der Stadt. Als Katholiken 1962 in Eigenregie mit dem Bau einer zweiten großen Kirche begonnen hatten, nahmen die Kommunisten sie ihnen weg und verwandelten sie in eine Philharmonie. 

Erst 1988 wurde die Kirche den Gläubigen zurückgegeben. In den 1990er Jahren entstand dann auch in Memel eine Reihe neuer katholischer Kirchen. Bis heute gehört die Stadt Memel jedoch zum Leidwesen der dort lebenden fast 100.000 Katholiken zum katholischen Bistum Telsche [Telšiai]. Diese Stadt hat noch nicht einmal 25.000 Katholiken. 

Umso mehr freuten sich die Katholiken in Memel, als 2021 mit Kulbokas erstmals einer der Ihren durch Kardinal Pietro Parolin in Wilna zum Erzbischof geweiht und kurz darauf zum Apostolischen Nuntius in der Ukraine ernannt wurde. Kulbokas war nach dem Abitur in Memel 1992 ins Priesterseminar von Telsche eingetreten. Von 1994 bis 2004 hat er in Rom studiert, wo er den Titel eines Lizentiaten in Kirchenrecht und eines Doktors der Theologie erwarb. Am 19. Juli 1998 war er zum Priester geweiht worden. Nach einer Zusatzausbildung an der Päpstlichen Akademie für den diplomatischen Dienst arbeitete Kulbokas ab 2004 im Außenamt des Vatikans im Libanon, in den Niederlanden, in der Russischen Föderation, im Büro des vatikanischen Staatssekretariats für die Beziehungen zu den Staaten und in Kenia. 

Tage- und nächtelang im Bunker

Im Interview mit der litauischen Zeitung „Laikmetis“ erklärte Kulbokas, warum er in Kiew geblieben ist. Sein Auftrag als Botschafter des Heiligen Stuhls habe zwei Aspekte. Es sei ein Auftrag an die ukrainische Regierung und an die ukrainischen Kirchen. Deshalb sei seine Aufgabe als Bischof auch eine pastorale. Wie Pfarrer und Priester sollte auch ein Bischof bei seinem Volk sein. Die Tage zu Beginn des Krieges seien schwierig gewesen, vor allem bei Luftangriffen habe man die Schutzkeller oder die U-Bahn aufsuchen müssen. Dort habe er auch manchmal Gottesdienste geleitet. Bei unklarer Situation kam es vor, dass der Nuntius tage- und nächtelang in den Schutzräumen verbracht hat. Manchmal sei sogar der Kontakt zum Vatikan abgebrochen. Dann sei es nur noch darum gegangen, wie bei allen Bürgern Kiews, zu überleben.

Auch weil der Nuntius des Papstes in Kiew geblieben ist, konnte Kardinal Parolin vor der UN-Generalversammlung verkünden, dass der Heilige Stuhl bereit sei, eine Plattform für den Dialog zwischen der Ukraine und Russland zu sein. Es sei gerade in der Hochphase des Krieges sehr wichtig eine offene Plattform zu haben, erklärte der Nuntius. Der Heilige Stuhl sei stets um Dialogmöglichkeiten bemüht. Aber man könne nichts erzwingen.