19.04.2024

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Folge 25-22 vom 24. Juni 2022 / Johannis / Die Zeit der hellen Nächte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-22 vom 24. Juni 2022

Johannis
Die Zeit der hellen Nächte
Ruth Geede

Die Mitsommernacht steht über dem weiten Land. Feucht und gut riecht die Erde, sie hat sich sattgetrunken an dem Gewitterregen der letzten Nacht. Im Garten sind die ersten Rosen aufgebrochen. Sie leuchten durch die matte Dämmerung. Ihr Duft vermischt sich mit dem Geruch des Heus und des blühenden Holunders. Auf den Wiesen singen die Grillen. Und in den Weiden am Ufer des kleinen Flusses schlägt der Sprosser.

Marie, das Kleinmädchen auf dem Hof, holt das Band aus ihrer Kammer, geflochten aus ihrem weißblonden Haar, und läuft dann zum Feld, um den Johannistrauß zu suchen. Sie bückt sich zu den Kräutern und Blumen des Grabensaumes. Krauseminze steht da, Beifuß und Hirtentäschel, die Wegwarte blaut auch im Abendlicht wie ein Fetzen Mittagshimmel, betäubend duftet die Kamille. Am Johannistag gepflückt, bringt sie Segen. Wie Beifuß und Johanniskraut.

Die Marie möchte am liebsten singen, aber sie darf es ja nicht. Der Johannistrauß muss schweigend gepflückt werden. Kein Wort darf ein Mädchen sprechen, genau wie beim Osterwasserholen.

Nun hat sie acht Kräuter zusammen, das neunte fehlt. Am Wegrand kriecht Thymian in flachen violetten Kissen. Sie pflückt ein Stängelchen und bindet es ein.

Nun zur Linde. Die steht mitten im Roggenschlag, und nur, wer hier zu Hause ist, findet den Weg durch das Korn. Die Krone des alten Baumes singt leise im Abendwind. Ab und zu ruschelt es darin, ein später Vogel fliegt auf. Die Marie stellt sich mit dem Rücken zum Stamm und wirft zaghaft den Strauß über die Schulter. Schnell wendet sie sich um: Ist er hängengeblieben? Nein, er liegt auf dem Boden. Und die Marie muss noch dreimal werfen, ehe er hängenbleibt.

Vier Jahre muss sie also noch warten. Das ist eine lange Zeit, wenn man an den Kristof denkt, den Großknecht. Schließlich ist er ein gutes Stück älter als sie. Amend ist er nachher zu alt zum Heiraten?

„Ach was”, sagt sie und lacht, „wenn´s der nicht ist, dann eben ein anderer.” Sie ist ja noch so jung, noch nicht einmal achtzehn.

Doch dann schrickt sie zusammen, denn da raschelt es im Korn. Jemand kommt gegangen. Die Halme teilen sich: Es ist der Kristof. Da stehen sie nun und sehen sich an. Und sind sehr verlegen. Schließlich setzt er sich unter die Linde und lehnt sich an den Stamm.

Die Marie weiß nicht, was sie tun soll. Sie möchte sich auch gerne dazusetzen, aber der Boden ist noch feucht vom Regen. Sie steht da und dreht die Schürze um die Hände.

Er steht mit einem Ruck auf. Die Marie fährt zusammen und tritt einen Schritt zurück. Da lacht er: „Was bist so verschichert? Meinst, ich renn‘ dich über.“ „Na, beinah‘ hättst es getan“, sagt die Marie und lacht auch.

Sie steht nun dicht vor ihm, ihr ganz helles Haar reicht ihm gerade bis zur Brust. Ein rundes, braunes Gesicht hat sie, noch ein Kindergesicht, das man in die Hände nehmen möchte. Etwas Zärtlichkeit steigt in ihm auf.

,,Mieke“, sagt er und legt seinen Arm um ihren dünnen Hals, ,,was meinst, wollen wir heut‘ Abend springen?“ Mein Gott, das sagt er doch bloß so!

„Ich mein‘ es ernst, mit sowas spaßt man doch nicht.“ Er zieht sie an sich, und sie lehnt den Kopf an seine Brust. „Komm, Miekele,“ und er setzt sich auf sein großes rotes ausgebreitetes Sacktuch und zieht sie auf seine Knie. Wie eine Feder ist sie, so leicht. Aber stramme Waden hat sie, feste Waden. Die Marie zerknüllt den Johannistrauß in ihrer Hand, als sie die Arme um seinen Nacken schlingt.

Es ist schon spät, als heller Schein vom Operchtisberg verkündet, dass dort das Feuer entzündet ist. Ein Weilchen sitzen sie noch unter der Linde, über ihre Gesichter huscht der ferne Feuerschein. „So,“ sagt er und schiebt sie von seinem Schoß, ,,nun gehen wir springen.“

Das Feuer ist schon niedergebrannt, als sie angelangt sind. Die ersten Paare springen über die Glut, aus der noch Flammen züngeln. Sie greifen nach den Röcken der Mädchen, die an der Hand der Männer über den Stoß springen.

Der Kristof packt die Marie, als wollte er ihre kleine Hand zerdrücken. „Los, du,“ sagt er. Und sie springen. Die Marie schwebt leicht wie ein Vogel über das Feuer. Sie hat keine Angst, der Kristof hält sie fest.

Die ganze Dorfjugend ist zusammengekommen. Und die Marie sieht, als sie wieder auf den Füßen steht, wie die Mädchen die Köpfe zusammenstecken. Sie weiß, was sie tuscheln: „Der Kristof und die Marie! Hättet ihr das gedacht? Das sind aber Heimliche!“

Und dann geht es den Operchtisberg hinunter zum Krug. Der Willem hat seine Harmonika mitgebracht, die ersten Takte klingen auf, die Paare finden sich. Auch die Marie und der Kristof tanzen. Er drückt sie fest an sich, damit alle es sehen sollen: Wir gehören zusammen.

„Was in der Johannisnacht zusammenkommt, das hält“, denkt die Marie. Und sie glaubt fest daran. Ganz fest.

(Aus: „Wie Blätter im Wind“, Roman)