19.04.2024

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Folge 25-22 vom 24. Juni 2022 / Heimat ist und bleibt Heimat / „Pommernland, mein Sehnen ist dir zugewandt“ / Eine Reise in die Vergangenheit: Das Treffen des Heimatvereins Usedom-Wollin im Mai

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-22 vom 24. Juni 2022

Heimat ist und bleibt Heimat
„Pommernland, mein Sehnen ist dir zugewandt“
Eine Reise in die Vergangenheit: Das Treffen des Heimatvereins Usedom-Wollin im Mai
Erwin Rosenthal

Zu Christi Himmelfahrt stand um 8.30 Uhr vor dem Pommernhof in Heringsdorf ein Bus für die Mitglieder des Heimatvereins Usedom-Wollin bereit. Die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat Vertriebenen, auch Flüchtlinge genannt, wollten noch einmal – vielleicht zum letzten Mal – zu ihren und zu den Wurzeln ihrer Vorfahren, deren Stammbaum sich auf Usedom-Wollin über Jahrhunderte verfolgen ließ, zurückkehren. 

Die Fahrt führte zunächst nach Swinemünde, Geburtsort mehrerer Teilnehmer. Mit der Kaseburger Fähre ging es von dort aus zur Insel Wollin und schließlich nach Kaseburg zur dortigen Dorfkirche. Die bereits im 15. Jahrhundert im gotischen Stil erbaute Marienkirche ist das älteste sakrale Bauwerk im heutigen Swinemünde. Sie beherbergt zahlreiche Schätze der mittelalterlichen und modernen Kunst, die nun auch für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Ihre heutige Form hatte die Dorfkirche im Jahre 1826 durch Schinkel erhalten. Es folgten Stippvisiten in Lebbin und Kalkofen. Das kleine Dorf Lebbin am Stettiner Haff bietet einen schönen Blick auf das Swinedelta, ein seltenes Rückseitendelta, mit mehr als 40 Inseln. Die Attraktion Kalkofens – zwei Teilnehmer hatten hier einige Jahre ihrer Kindheit verlebt – ist der türkisfarbene See, die frühere Kreidegrube von Ludwig Küster. Auf dem Komantschenberg am Ortseingang befindet sich der Gedenkstein für den bekannten pommerschen Mediziner Carl Ludwig Schleich, den Enkel Ludwig Küsters. 

Mittagspause im attraktiven pommerschen Ostseebad Misdroy – früherer Heimatort einer Teilnehmerin. Anschließend wurde die Fahrt über die Dievenowbrücke aufs hinterpommersche Festland und zur früheren pommerschen Hauptstadt Cammin fortgesetzt. Der Camminer Dom, heute eine der beiden Kathedralkirchen des Erzbistums Stettin-Cammin, war die erste christliche Kirche Pommerns. Baubeginn für das im spätromanischen Stil erbaute, im 15. Jahrhundert im gotischen Stil umgebaute Gotteshaus war 1175 gewesen. Nach einem alten geflügelten Wort waren die drei bedeutendsten Kirchen in Pommern die Stargarder „Hohe“, die Kolberger „Weite“ und die Camminer „Schöne“. Im Dom, der über die schönste Orgel von Pommern verfügt, brachte der polnische Organist Mariusz Stankiewicz exklusiv für die Gruppe sehr virtuos ein Konzert mit Werken von Bach und Buxtehude zu Gehör. Seine Ehefrau trug in deutscher Sprache das Volkslied „Der Mai ist gekommen“ vor, und zum Abschluss sang die Gruppe mit Orgelbegleitung das Pommernlied. 

Kleines Orgelkonzert in Cammin

Im nahen Hoefschen Fachwerkhaus am Camminer Markt, einem der wenigen Häuser Cammins, das im Krieg unzerstört blieb, gab es Kaffee und leckeren Kuchen.

Die folgenden Stationen waren die Wolliner Orte Kolzow, in dessen Kirche mehrere Teilnehmer getauft wurden, Dannenberg und Fernosfelde. Das nahe gelegene frühere Gutsdorf Wartow, Heimatort eines Mitglieds, sollten wir nicht ansteuern, denn dort gäbe es nichts mehr zu sehen. Unverzichtbar war hingegen der Besuch des kleinen, idyllisch in der Inselmitte, zwischen drei Seen gelegenen Dorfes Dannenberg. Es war bis 1945 der Heimatort mehrerer Mitglieder. 

Auch eine im Jahr 1936 in Fernosfelde geborene Dame wollte nicht auf einen Besuch ihres Geburtsortes verzichten. An den Bauernhof ihrer Eltern erinnerte jedoch nur noch ein in voller Blüte stehender Fliederstrauch. Über Rehberg und die Stadt Wollin ging es schließlich zurück nach Heringsdorf.

Beim Singen der fünf Strophen des Pommernliedes im Camminer Dom musste der eine oder andere das vorsorglich mitgeführte Textblatt nutzen. Das ist verständlich, wenn man berücksichtigt, dass die „Sänger“ nicht nur aus Greifswald, Zirchow oder Neppermin im heutigen Vorpommern, sondern auch aus Iserlohn, Neumünster, Berlin, Henningsdorf und Geesthacht kamen. Sie wurden zwar nicht in diesen Städten geboren, wuchsen aber dort auf und hatten dort ihre prägenden Sozialisationserlebnisse, denn nicht nur das Territorium, sondern auch der Dialekt, die Traditionen und das Brauchtum der Bewohner prägen das Heimatgefühl. 

Zurück in die Heimat?

Wären ihre Eltern und Großeltern in die alte Heimat zurückgekehrt, hätten sie ihre Kinder beziehungsweise Enkelkinder kaum für diesen Schritt begeistern können. Selbst für jene, die später Wohneigentum in Swinemünde oder Misdroy erwarben, blieb Berlin oder Neumünster. ihre Heimat. Ein Bäcker aus Misdroy, der jahrzehntelang in Niedersachsen gewohnt hatte, zog 1989 nach Bansin, kaufte dort eine Villa, nannte sie „Haus Misdroy“ und konnte von nun an ständig seinen früheren Heimatort am Ostufer der Pommerschen Bucht sehen. 

Wie eine Antinomie oder eine Paradoxie mutet es an, wenn eine junge Frau aus Neumünster heute verkündet: „Wir wollen unser Haus in Misdroy kaufen“ (das frühere Haus der Oma). Bekanntlich hatte die Bundesrepublik Deutschland durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag und den bilateralen deutsch-polnischen Grenzvertrag vom 14. November 1990 alle Ansprüche auf die Ostgebiete des Deutschen Reiches aufgegeben. Damit hatten die Vertriebenen endgültig ihre alte Heimat, ihre Häuser, Äcker und Betriebe verloren.

Bereits am Abend vor dem Ausflug hatte jeder einzelne im Wintergarten des Hotels bei einem Glas Rotwein seine Vita zu Gehör gebracht. Die Erinnerungen an Pommern waren bei vielen vage, denn sie waren bereits im Kindesalter mit ihrer Mutter, den Geschwistern und den Großeltern in die Fremde gezogen. 

Die Flucht aus der alten Heimat hatte schon vor dem Kriegsende begonnen. 1500 Misdroyer, vor allem Frauen, Kinder und Alte, waren im Februar 1945 – die Front war schon nahe – vorsorglich mit Zügen der Deutschen Reichsbahn nach Burgdorf bei Hannover evakuiert worden.  Viele Bewohner Swinemündes hingegen, hatten ihre Heimatstadt Swinemünde erst unmittelbar nach dem verheerenden Bombenangriff vom 12. März 1945 verlassen. Sie waren „enthaust“ worden, hatten kein Dach mehr über dem Kopf. 

Andere Bewohner der Doppelinsel und Hinterpommerns hatten sich dem Flüchtlingstreck angeschlossen. Sie führten ihr letztes Hab und Gut auf Pferdewagen, Handwagen oder im Rucksack mit. Für sie war es ein sehr strapaziöser, von Hunger, Kälte, Entkräftung und Hoffnungslosigkeit geprägter Weg. Auf der Insel Wollin staute sich der Treck nicht selten über mehr als 15 Kilometer von Misdroy bis Ostswine. 

Eine dritte Gruppe war in der Hoffnung, dass die Doppelinsel Usedom-Wollin mit Swinemünde und die Hauptstadt der preußischen Provinz Pommern, Stettin, deutsch bleiben würden, in der Heimat geblieben. Plakate an öffentlichen Plätzen und Rundfunkmeldungen hatten sie in dieser Ansicht bestärkt.

Rote Armee als Befreier? Wohl kaum 

Der Einmarsch der Roten Armee und die spätere Inbesitznahme der Wohnungen, Häuser, Bauernhöfe und Betriebe durch die Polen brachte für die Zurückgebliebenen manch traumatisches Erlebnis. Ein Teilnehmer berichtete, dass er erst als Erwachsener begreifen konnte, was seiner Mutter widerfahren war, als sie, von Soldaten der Roten Armee missbraucht, weinend zu ihren Kindern zurückkehrte. Und auf den Bauernhöfen wurden die deutschen Bauernfrauen zu Mägden, die hart für die neuen Besitzer arbeiten und essen mussten, was man ihnen zuteilte. 

Aufgrund solcher und ähnlicher schlimmen Erlebnisse konnten die meisten Menschen den Sieg der Roten Armee nur schwerlich als Befreiung vom Nationalsozialismus begreifen, die es objektiv war. Auch diese Gruppe musste schließlich – bis auf sehr wenige Ausnahmen – ihre Heimat verlassen.

Jahrzehntelang blieb die provisorisch genannte neue Grenze unüberwindlich für die früheren Bewohner Swinemündes und der Insel Wollin. Zum ersten Mal konnte eine größere Gruppe „alter“ Swinemünder und Misdroyer aus der Bundesrepublik im Jahre 1972 die alte Heimat auf dem Umweg über Schweden besuchen. Es handelte sich um echte Heimwehtouristen, sie wurden in Pommern geboren, hatten hier ihre Jugend verlebt, eine Familie gegründet und ein Haus gebaut. Ernst Moritz Arndt brachte es auf den Punkt: „Und seien es kahle Felsen und öde Inseln, und wohne Armut und Mühe dort mit dir, du musst das Land ewig lieb haben.“ Auf der Rückreise wollte Frau Erna Z. aus Misdroy einen Blumentopf mit Erde aus der alten Heimat mitnehmen. Ein Zöllner verbot ihr das mit den Worten: „Hier wird keine Heimaterde mitgenommen.“ 

Seit der Vertreibung sind fast acht Jahrzehnte vergangen. Die Heimwehtouristen „erster Ordnung“ mit einer starken emotionalen Bindung an die alte Heimat sind verstorben. Für ihre Kinder und Enkel sind die pommerschen Ostseebäder vor allem lohnenswerte Urlaubsziele. Man muss daher kein Prophet sein, um zu verkünden, dass der Heimatkreis Usedom-Wollin spätestens in einem Jahrzehnt nicht mehr existieren wird.