29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 25-22 vom 24. Juni 2022 / Heimatforschung / Stadt im Watt / Das Atlantis der Nordsee? Andreas Busch entschärfte die Legenden über das in der Sturmflut von 1362 untergegangene Rungholt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-22 vom 24. Juni 2022

Heimatforschung
Stadt im Watt
Das Atlantis der Nordsee? Andreas Busch entschärfte die Legenden über das in der Sturmflut von 1362 untergegangene Rungholt
Martin Stolzenau

Das sagenhafte Atlantis könnte sich auch in deutschen Meeresgestanden befunden haben. Als heiße Kandidaten werden immer wieder Vineta in der Ostsee und Rungholt in der Nordsee gehandelt. Obwohl sich das mecklenburg-vorpommerische Barth Vinetastadt nennt und es dort ein Vinetamuseum gibt, ist die tatsächliche Existenz des untergegangenen Vineta bis heute umstritten. 

Anders verhält es sich im Fall von Rungholt. Der Ort existierte tatsächlich westlich von Husum, wurde wohl in der zweiten Marcellusflut, der Großen Mandränke, im Jahr 1362 zerstört und hinterließ über Jahrhunderte nur noch Legenden, die über die Zeit eine immer größere Ausschmückung erfuhren. 

Auf der Grundlage der Überlieferung suchten und fanden Heimatforscher im Watt zwischen Nordstrand und der Insel Pellworm die Überreste von Rungholt. Das reichte von Matthias Boetius über Peter Sax bis zu Andreas Busch, der vor 

100 Jahren begann, die Puzzleteile zusammenzufügen und mit eigenen Nachforschungen für beträchtliche Funde sorgte, die heute im Nordfriesischen Museum in Husum besichtigt werden können. Der vor 50 Jahren gestorbene Rungholt-Archäologe wurde mit seinen Forschungen sogar überregional bekannt.

Reste von Holzschleusen im Watt

Er stammte aus der Region, wurde am 16. Juni 1883 auf Nordstrand geboren und entstammte einem alteingesessenen Geschlecht von Bauern und Müllern in Dithmarschen. Der Bäckersohn besuchte die Volksschule, konnte sich aber durch sein frühes Interesse für Landkarten viele heimatkundliche Erkenntnisse aneignen. 

Als dann 1921 in der Nähe des eigenen Hofes beim Bau der Lithschleuse Überreste der Dorfkirche von Lith, das bei der Burchardiflut 1634 überflutet worden war, aufgefunden wurden, beschäftigte sich Busch mit der Vergangenheit des untergegangenen Dorfes. Dazu erschloss er sich ab 1922 die Legenden vom Untergang von Rungholt bis hin zur Lektüre der darüber schon bekannten Literatur, darunter die Schriften von Boetius und Sax. Busch studierte zudem geologische, hydrographische und wetterkundliche Erkenntnisse, historische Karten sowie die Entwicklung der Deiche und Siele. 

Dazu stellte der Hobbyforscher vor Ort eigene Nachforschungen an. Die bei Ebbe im Watt entdeckten Überreste von Warften, Bauten und Zisternen sowie alte Heimatkarten wie die von Johannes Meyer von 1636 und die aufgefundene Handelsvereinbarung zwischen Rungholt und Hamburg, die wenige Monate vor der vernichtenden Marcellusflut abgeschlossen worden war, sorgten schrittweise für Aufklärung in der Rungholt-Frage.

Demnach war Rungholt eine Siedlung an der nordfriesischen Küste, galt ab dem 13. Jahrhundert als Kirchspiel und hatte vor der Marcellusflut 1362 nach den Berechnungen von Busch zwischen 1500 und 2000 Einwohner. Das liest sich auf den ersten Blick wenig, für heutige Verhältnisse war es kaum mehr als ein Dorfflecken an der Küste. Doch man muss wissen, dass Kiel zur gleichen Zeit etwa die gleiche Einwohnerzahl hatte und Hamburg bei etwa 5000 lag. 

Busch erkundete, dass Rungholt aus Lütke Rungholt, Grote Rungholt sowie Niedam bestand, dass die meisten Gebäude auf Warften standen und die Rungholter Kirchwarft das Ortszentrum bildete. Interessant ist auch der Fund von Resten zweier Holzschleusen, von umfangreicher Importkeramik aus dem Rheinland bis hin zu einer Kanne aus Spanien sowie von Bronzegraphen und Waffen. Das lässt auf eine rege Handelstätigkeit schließen.

In der Realität war Rungholt wohl ein bäuerlicher Handelshafen mit überregionaler Bedeutung und einigem Wohlstand. Als wirtschaftliche Grundlagen sind inzwischen Salzgewinnung, Viehwirtschaft und Handel überliefert. 

Die Flut als „göttliche Strafe“

Der Untergang am 16. Januar 1362 während der zweiten Marcellusflut wurde in den ersten Legenden als „göttliche Strafe für lasterhaftes Leben und respektloses Verhalten gegenüber der Kirche“ interpretiert. Dazu gesellten sich über die Jahrhunderte phantasievolle Zuschreibungen vom angeblich großen Reichtum in Rungholt, weshalb schnell die Assoziation mit Atlantis aufkommt, das vom antiken Philosophen Platon als eine mit Gold und Silber nur so gesegnete Stadt beschrieben wurde.

Busch entblätterte die Legenden und reduzierte sie auf der Grundlage der Funde sowie wissenschaftlicher Berechnungen auf ein reales Maß und veröffentlichte seine Erkenntnisse in mehreren Schriften.  Das entwickelte sich zu seiner Lebensaufgabe. 1963 verlieh ihm die Kieler Universität in Anerkennung seines Wirkens die Universitätsmedaille. Als derart geehrter Heimatforscher starb er am 7. Juli 1972 auf der Halbinsel Nordstrand. 

Buschs Rungholt-Lebenswerk gilt heute als wissenschaftlich anerkannt. Er zerstörte die Illusion, dass dieser bäuerliche Flecken irgendetwas mit Atlantis zu tun gehabt hätte. Gold- und Silberschätzte hat das Watt bis heute nicht freigegeben. Und dass im fernen Athen der Atlantis-Erfinder Platon überhaupt von dem nordfriesischen Rungholt jemals etwas erfahren hat, darf außerdem stark bezweifelt werden.