27.04.2024

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Folge 26-22 vom 01. Juli 2022 / Lehrermangel Schulen stellen verzweifelt Hilfskräfte ein, um die neue Flüchtlingswelle von Familien mit Kindern aus der Ukraine bewältigen zu können. Das Bildungsniveau kommt dabei immer mehr unter die Räder / Ein System kurz vor dem Kollaps / Schulpflichtige Ukraineflüchtlinge verschärfen den Lehrermangel, dessen Ursache sind sie jedoch nicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-22 vom 01. Juli 2022

Lehrermangel Schulen stellen verzweifelt Hilfskräfte ein, um die neue Flüchtlingswelle von Familien mit Kindern aus der Ukraine bewältigen zu können. Das Bildungsniveau kommt dabei immer mehr unter die Räder
Ein System kurz vor dem Kollaps
Schulpflichtige Ukraineflüchtlinge verschärfen den Lehrermangel, dessen Ursache sind sie jedoch nicht
Wolfgang Kaufmann

Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, meinte der griechische Philosoph Heraklit von Ephesos schon im 5. Jahrhundert v. Chr. Dahingegen gilt im Deutschland des Anno Domini 2022 das Prinzip: „Der Ukrainekrieg ist der Quell aller Ausreden.“ Der Konflikt im Osten Europas muss inzwischen als Erklärung für nahezu jedes Übel herhalten – von explodierenden Energiepreisen bis hin zum fehlenden Senf in den Supermärkten. 

Und nun kommt auch noch der Lehrermangel hinzu. Um die aus der Ukraine zu uns geflohenen Minderjährigen angemessen zu unterrichten, reiche die Zahl der vorhandenen Pädagogen nicht aus, meinte ein Experte für Familienpolitik und Migrationsfragen, Wido Geis-Thöne (siehe rechte Spalte). Dabei stehen längst auch zu wenig Lehrer für die Schüler zur Verfügung, welche schon länger hierzulande leben.

Immerhin kam die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ bereits 2013 zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik im internationalen Vergleich schlecht dastehe, wenn man das Zahlenverhältnis zwischen Lehrern und Schülern betrachte. Das hat sich bis heute nicht geändert, was vor allem an den eklatant falschen Prognosen der Kultusministerkonferenz (KMK) liegt. Diese ging für das Jahr 2022 von lediglich 2720 fehlenden Pädagogen aus.

Bis zu 160.000 Pädagogen zu wenig

Tatsächlich liegt das Minus aber sehr viel höher, wobei es bloß für manche Bundesländer belastbare Zahlen gibt. So blieben allein in Berlin im nun auslaufenden Schuljahr weit über 1000 Stellen unbesetzt. Dennoch gibt die KMK weiterhin verharmlosende Vorhersagen ab, welche der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, wechselweise als „grotesk“, „in hohem Maße unseriös“ oder „riesige Mogelpackung“ bezeichnet.

Laut der KMK soll das Lehrerdefizit bis 2025 auf 20.000 steigen und im Jahre 2035 dann 23.800 betragen. Dahingegen nennt der renommierte Bildungsforscher Klaus Klemm von der Universität Duisburg-Essen in einer am 22. Januar vorgelegten Studie ganz andere Werte: 2025 dürften wohl mindestens 45.000 Lehrer fehlen und 2030 sogar 81.000. Noch dramatischer sieht Klemm die Lage im Jahre 2035, sollten alle anvisierten Reformvorhaben im Bildungssystem bis dahin umgesetzt worden sein. Dann könnte es in der Bundesrepublik knapp 160.000 Pädagogen zu wenig geben.

Die pessimistischen Schätzungen des Experten beruhen unter anderem auf dem Umstand, dass die Geburtenrate bis 2020 angestiegen ist. Erschwerend kommt hinzu, dass zugleich aber kaum mehr junge Menschen als bisher ein Lehramtsstudium begannen. Dazu gesllt sich eine wachsende Zahl von Studienabbrechern.

An manchen Universitäten wirft inzwischen jeder Zweite, der ursprünglich Lehrer werden wollte, das Handtuch. Das liegt vielfach an der persönlichen Nichteignung. Wie der Hochschul-Bildungsreport des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft zeigt, wählen die leistungsstärkeren Abiturienten eher eine Karriere in der Wirtschaft.

Der Lehrerberuf hat darüber hinaus schon seit längerer Zeit sehr an Attraktivität verloren. Die Pädagogen stehen immer öfter vor Klassen mit eigentlich unbeschulbaren „Inklusionskindern“ oder Sprösslingen von Immigranten, welche dem Unterricht ebenfalls nur sehr eingeschränkt folgen können – wobei die Minderjährigen aus der Ukraine hier eher ein Randproblem darstellen. 

Quereinsteiger ohne Ausbildung

Der sogenannte ndH-Wert, das heißt der Anteil der Schüler mit nichtdeutscher Herkunft und Muttersprache, lag in Berlin schon im Jahr 2014, also noch vor Beginn der großen Asylflut, bei mehr als 30 Prozent und stieg seitdem in manchen Schulen auf 90 Prozent. 

Älteren Schülern sowie auch immer mehr Vertretern der Elternschaft fehlt es zudem an Respekt vor den zu über 70 Prozent weiblichen Lehrkräften. Aus alldem resultieren Motivationsdefizite beim Lehrkörper, die sich unter anderem in einem hohen Krankenstand und dem frühzeitigen Ausstieg aus dem Schulsystem äußern.

Inzwischen versucht die Politik gegenzusteuern, wobei die Verantwortlichen vorrangig auf zwei vermeintliche Patentrezepte setzen, mit denen sich die Misere aber wohl kaum aus der Welt schaffen lässt: Als Erstes wird Druck auf die Pädagogen ausgeübt, damit sie später in den Ruhestand gehen oder von Teilzeit- auf Vollzeitarbeit umsteigen, was den Lehrerberuf auch nicht attraktiver macht. 

Und als Zweites rekrutiert man verstärkt Quereinsteiger ohne solide pädagogische Ausbildung. So liegt der Anteil der Lehrer, die kein Lehramtsstudium nachweisen können, in der Bundeshauptstadt derzeit schon bei über einem Fünftel, wie Recherchen des Berliner „Tagesspiegel“ ergaben. Die Qualität des Unterrichts wird das kaum steigern.