25.04.2024

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Folge 26-22 vom 01. Juli 2022 / Kriegsflüchtlinge / Die Stimmung wird frostiger / Polen streicht Mittel für die Flüchtlingshilfe. Kommen nun noch mehr nach Deutschland? In der Bundesrepublik wiegelt derweil Kiews Botschafter Deutsche und Ukrainer gegeneinander auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-22 vom 01. Juli 2022

Kriegsflüchtlinge
Die Stimmung wird frostiger
Polen streicht Mittel für die Flüchtlingshilfe. Kommen nun noch mehr nach Deutschland? In der Bundesrepublik wiegelt derweil Kiews Botschafter Deutsche und Ukrainer gegeneinander auf
Norman Hanert

Noch bevor der Senat nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine in die Gänge kam, waren es Bürger aus allen Gesellschaftsschichten, die am Berliner Hauptbahnhof für Flüchtlinge warmes Essen und Unterkünfte organisierten. Nur wenige Monate danach aber gab der ukrainische Botschafter in Deutschland seinen Eindruck wieder, seine Landsleute fühlten sich in Deutschland nicht willkommen. Gegenüber der „Bild“-Zeitung sagte Andrij Melnyk: „Es sind mehr Menschen, die abreisen aus diesem Land, als zu Ihnen kommen. Man sollte sich in Deutschland Gedanken darüber machen, wieso viele Ukrainer keine Lust haben, hier zu bleiben“, so der Diplomat.

Melnyks Aussage war für die rbb-Journalistin Maria Ossowski Anlass für einen offenen Brief an den Botschafter. Die Kulturkorrespondentin wies Melnyk in dem auf Facebook veröffentlichten Schreiben auf Menschen aus ihrem Freundeskreis hin, die „nicht besonders wohlhabend“ seien, aber in ihren Wohnungen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen hätten, oder „Ukrainerinnen und ihre Kinder in sämtlichen administrativen und alltäglichen Belangen“ unterstützten. Weiter schrieb die gebürtige Berlinerin Ossowski: „Wenn Sie mehr wissen möchten: Wir alle würden Sie einladen, aber unsre Wohnungen sind klein. Gern jedoch besuchen wir Sie in Ihrer Zehlendorfer Residenz oder in der Botschaft und berichten Ihnen von den vielen Hilfsbereitschaften.“

Bundesregierung erwartet Zustrom

Das von der rbb-Journalistin beschriebene private Engagement wird vermutlich noch längere Zeit und möglicherweise sogar noch stärker als bisher gefragt sein. Mitte Juni besuchten Innenministerin Nancy Faeser, Arbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) und Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linkspartei) eine Einrichtung für ukrainische Flüchtlinge. Dabei wurden zwei wichtige Einschätzungen öffentlich. Die Bundesregierung geht offenbar davon aus, dass viele ukrainische Flüchtlinge auch nach einem Ende des Krieges vorerst in Deutschland bleiben werden. Kipping erklärte zudem, sie halte auch ein erneutes, sprunghaftes Ansteigen der Ankunftszahlen in der Hauptstadt für möglich. Dabei wies sie ausdrücklich auf die Entwicklung in Polen hin. Das Nachbarland der Ukraine war bislang das Hauptziel ukrainischer Kriegsflüchtlinge. Von den etwa sieben Millionen Ukrainern, die seit dem 24. Februar ins Ausland gegangen sind, sind 3,8 Millionen nach Polen eingereist.

Indes: Bereits zum 1. Juni hat die polnische Regierung den ukrainischen Flüchtlingen die kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel gestrichen. Ausgelaufen ist auch die freie Nutzung der polnischen Autobahnen durch ukrainische Bürger. Bislang eröffneten ukrainische Kfz-Kennzeichen die Möglichkeit, das gesamte polnische Autobahnnetz mautfrei nutzen zu dürfen. Das ist vorbei. Ausnahmen gibt es jetzt nur noch beim Transport humanitärer Hilfsgüter.

Deutlich größere Auswirkungen auf die Lage der Kriegsflüchtlinge dürfte jedoch eine Änderung haben, die ab dem 1. Juli gilt. Diese Neuregelung sieht vor, polnischen Haushalten, die ukrainische Flüchtlinge beherbergen, die bislang gezahlte finanzielle Unterstützung zu streichen. Erst im März hatte Warschau beschlossen, dass polnische Familien, die Flüchtlinge bei sich aufnehmen, pro Tag 40 Zloty erhalten. Aktuell entspricht dies etwa 8,50 Euro. Nach Angaben von Vizeinnenminister und Flüchtlingskommissar Paweł Szefernaker (PiS) wird die Leistung künftig nicht mehr ausgezahlt. Ausnahme sollen laut Szefernaker nur für Behinderte, Schwangere und Mütter mit mehreren kleinen Kindern gelten. Gegenüber der Zeitung „Rzeczpospolita“ sagte er: „Wir sind überzeugt, dass ein großer Teil der Flüchtlinge bereits in der Lage ist, selbstständig zu werden und sich an die neuen Bedingungen anzupassen.“ 

„Lebensunterhalt selbst verdienen“

Diese neue Linie der Regierung in Warschau scheint der Stimmung im polnischen Volk recht nahe zu kommen. Laut einer Umfrage, die das IBRiS-Institut für die „Rzeczpospolita“ durchgeführt hat, will die große Mehrheit der Polen, dass zumindest jene Ukrainer, die vor dem Krieg nach Polen geflüchtet sind, ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Dies gaben immerhin 76 Prozent der Befragten als Kriterium für den Aufenthalt der Ukrainer an. Wichtig war vielen Polen auch, dass die ukrainischen Kinder auf polnische Schulen gehen (38,7 Prozent) und Polnisch lernen (27,6 Prozent). Immerhin ein Anteil von 12,1 Prozent der Befragten gab sogar als Bedingung für den Aufenthalt der Ukrainer in Polen an, dass diese sich eine Wohnung kaufen sollen.

Nach Angaben von Piotr Dlugosz, einem Krakauer Professor, der sich mit der Lage der Ukrainer in Polen beschäftigt, wohnen nur 17 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge in polnischen Familien, 71 Prozent bezahlen Unterkunft und Verpflegung aus der eigenen Tasche. Nach Erkenntnissen des Wissenschaftlers arbeiten viele Ukrainer in Polen weiterhin per Heimbüro für ihre Unternehmen in der Ukraine. Einige befinden sich auch im bezahlten Urlaub. Dlugosz geht davon aus, dass „die Polen zusammen mit der Inflation und den steigenden Lebenshaltungskosten weniger großzügig sein werden, um uneigennützige Hilfe zu leisten“. 

Die polnischen Verbraucher bekommen schon jetzt die steigenden Lebenshaltungskosten zu spüren. Für den Mai ermittelte die zentrale Statistikbehörde einen Anstieg der Verbraucherpreise im Vergleich zum Mai 2021 von 13,9 Prozent. Dies war der höchste Wert seit 24 Jahren. Ein Bericht der Stiftung WiseEuropa prognostiziert für den Herbst zudem eine Sättigung des polnischen Arbeitsmarkts bei der Besetzung einfacher Jobs wie etwa bei Reinigungskräften oder Bürodienstleistungen.

„Die allmähliche Einstellung der sozialen Unterstützung durch den polnischen Staat“ kann laut Professor Dlugosz „als Versuch verstanden werden, ihren Missbrauch zu verhindern und auch die pathologischen Phänomene zu blockieren, die in diesem Bereich auftreten können“. Ergänzend sagte der Forscher: „Wenn die finanzielle Hilfe des Staates ausläuft, werden viele von ihnen (den Ukrainern) wahrscheinlich erkennen, dass es an der Zeit ist, nach Hause zurückzukehren.“ Mit der Massenzustromrichtlinie der EU steht den Ukrainern in Polen jedoch noch eine andere Möglichkeit offen: der Weg weiter nach Westen, in die Bundesrepublik.