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Folge 27-22 vom 08. Juli 2022 / Großbritannien / Schottlands Linke sucht die Konfrontation / Die „nationalistische“ SNP plant ein zweites Referendum – könnte sich damit aber eine blutige Nase holen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-22 vom 08. Juli 2022

Großbritannien
Schottlands Linke sucht die Konfrontation
Die „nationalistische“ SNP plant ein zweites Referendum – könnte sich damit aber eine blutige Nase holen
Claudia Hansen

Es ist ein riskantes Manöver, das Nicola Sturgeon anstrebt: Die „First Minister“, also Ministerpräsidentin von Schottland, hat ein Datum für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum angekündigt. Am 19. Oktober 2023 soll „Indyref2“ stattfinden. Die Chefin der Scottish National Party (SNP) will es nochmal wissen. Die Ankündigung kam unerwartet. Im Edinburgher Parlamentsviertel Holyrood habe sie damit „Schockwellen“ ausgelöst, schreibt die Londoner Wirtschaftszeitung „Financial Times“. Das konservative Magazin „Spectator“ hingegen nennt es trocken „Sturgeons Bluff“. Denn vieles spricht dafür, dass der Schachzug nur eine Finte ist.

Denn die schottische Regionalregierung besitzt gar nicht die rechtliche Kompetenz, ein Referendum auszurufen, das die Verfassung ändern würde. Dies kann nur das britische Parlament in Westminster. Wahrscheinlich wird Sturgeons Vorstoß daher am britischen Supreme Court scheitern. Doch wird sie dann versuchen, dies in einen taktischen Vorteil umzubiegen. „Falls sie blockiert werden, ist das ein Sieg für sie, weil sie das als Beleg ansehen werden, dass Schottlands Demokratie nicht respektiert wird“, meint der Politikprofessor John Curtice von der Strathclyde Universität in Glasgow. 

Viele verweisen darauf, dass es komplizierter ist. Laut Umfragen will eine deutliche Mehrheit der Schotten derzeit gar kein neues Referendum. 2014, beim ersten Anlauf, scheiterten die SPN-Unabhängigkeitsbefürworter klar. 55 Prozent der Wähler stimmten gegen die Abtrennung vom Vereinigten Königreich. Damals wurde dieses Referendum von allen Seiten als bindendes Votum „für eine Generation“ akzeptiert. Nun will Sturgeon aber schon neun Jahre später wieder neu wählen lassen. Sie verweist darauf, dass der 2020/21 vollzogene Brexit die Lage geändert habe. Die Schotten hatten 2016 mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt.

Die „nationalistische“, linksgerichtete SNP ist dezidiert europhil und möchte zurück in die EU, wie auch die in Edinburgh regierenden Grünen. Doch aktuelle Umfragen zeigen, dass auch heute eine Mehrheit der rund fünf Millionen Schotten, wenn auch eine knappere, sich nicht vom Königreich abtrennen will. Vermutlich würde Sturgeon ein neues Referendum wieder verlieren.

Unabsehbare Folgen  

Die praktischen Folgen einer Unabhängigkeit wären in vielen Bereichen negativ. Der „Spectator“ und andere betonen etwa die finanzielle Abhängigkeit Schottlands von England. Im vergangenen Jahr hatte die Regierung in Edinburgh ein Staatsdefizit von 22 Prozent der Wirtschaftsleistung, die Region ist chronisch defizitär und profitiert von milliardenschweren Fiskaltransfers aus London. Ein unabhängiges Schottland müsste die Lücke schmerzhaft durch einen „Sado-Sparkurs“ schließen, so der „Spectator“, dessen Chefredakteur selbst aus den Highlands stammt. Zudem müsste Schottland, wenn es in die EU wollte, eine Zollgrenze zu England errichten, das der Haupthandelspartner ist. Wirtschaftspolitisch sind die SNP-Rezepte unklar. Die mit den Grünen koalierende Partei will so schnell wie möglich weg von fossilen Energieträgern – aber im Nordosten Schottlands hängen rund 100.000 Arbeitsplätze an der Öl- und Gas-Förderindustrie.

Seit 2007, also schon 15 Jahre, regiert die SNP in Schottland. Sie ist geschickt darin, für alle Probleme und Defizite London verantwortlich zu machen. Aber die SNP-Regierung kann in vielen Bereichen frei schalten und ihre Resultate sind kläglich. Der konservative „Telegraph“ nennt Schottland sogar – überspitzt – einen „Failed State“ (gescheiterten Staat). Beispielsweise sind die sozialen Probleme erheblich. Die Zahl der Drogentoten ist viermal höher als in anderen europäischen Ländern. In Wirtschafts- und Bildungsrankings liegt Schottland stets hinter England. Die SNP ist zudem gespalten in einen traditionalistischen und einen links-woken Flügel. Die Jüngeren forcieren Transgender-Themen, während die ältere Generation lieber in Robert-the-Bruce-Dudelsackromantik schwelgt.

Sturgeons Schachzug soll vor allem die eigene Anhängerschaft der Unabhängigkeitsfans beruhigen, die ungeduldig ist und Druck macht. Sie spielt damit aber auch dem wegen zahlreicher Skandale angeschlagenen Premier Boris Johnson in die Hände, der seine Tories motivieren kann mit dem Schreckgespenst eines zerfallenden Königreichs. Schon warnt der Premier vor einer „Chaos-Koalition“ zwischen SNP und Labour. Er setzt damit Labour unter Druck. Parteichef Keir Starmer hat sich eiligst von der SNP distanziert. Alles in allem sieht es nicht so aus, dass die SNP-Vision eines unabhängigen Schottlands schon bald Realität werden könnte.