27.07.2024

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Folge 27-22 vom 08. Juli 2022 / DDR / Zucht und Ordnung im Zuchthaus / Wie die Militarisierung von Staat und Gesellschaft auch die Strafvollzugsbeamten erreichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-22 vom 08. Juli 2022

DDR
Zucht und Ordnung im Zuchthaus
Wie die Militarisierung von Staat und Gesellschaft auch die Strafvollzugsbeamten erreichte
Heidrun Budde

Staatssicherheit, Polizei, Strafvollzug, Funktionäre der SED und der Gewerkschaft, „Hausbuchbeauftragte“ in den Wohngebieten – sie alle waren willfährige Helfer des SED-Regimes. Einige taten es aus Überzeugung, aber viele um des eigenen Vorteils willen. 

Die Aufnahme in den Personenkreis der politischen Gehilfen war nicht vordergründig von der fachlichen Eignung abhängig. Der Öffentlichkeit blieb völlig verborgen, nach welchen Kriterien über den Zugang zu bestimmten Berufen wie beispielsweise dem des Volkspolizisten entschieden wurde. Die Geheimniskrämerei um diese Entscheidung suggerierte denjenigen, die in den Kreis aufgenommen wurden, einen besonderen, herausgehobenen Status. 

Am 1. Januar 1977 erließ Innenminister Friedrich Dickel eine „Einstellungsordnung“ als „Vertrauliche Verschlußsache I 030544“. Er machte intern klar, welche Bewerbungen in seinem Kompetenzbereich, zu dem Polizei, Strafvollzug und Feuerwehr gehörten, keine Chance auf Erfolg hatten: „Eine Einstellung kann nicht vorgenommen werden, wenn der Bewerber persönliche Verbindungen bzw. Kontakte zu Bürgern oder Einrichtungen der BRD, anderen nichtsozialistischen Staaten oder Westberlin unterhält.“

Gnadenloser militärischer Drill

Zu jedem Bewerber wurde ohne dessen Wissen und Zustimmung ein interner „Ermittlungsbericht“ gefertigt, für den nicht nur seine Person überprüft wurde, sondern auch Informationen zur „politischen Aktivität … des Ehepartners bzw. der (des) Verlobten, der Kinder, der Eltern, der Geschwister, der Schwiegereltern und der Geschwister des Ehepartners“ einzuholen waren. Heimliche Ermittlungen zur „Treue und Verbundenheit zur Arbeiter-und-Bauernmacht, zum Familienleben, zur Freizeitgestaltung, besondere Interessen, Verhalten im Wohngebiet, Einschätzung der Personen, mit denen der Bewerber besonders engen Umgang hat … Kontakte der im gleichen Haushalt lebenden Personen zu Personen bzw. Einrichtungen in der BRD, anderen nichtsozialistischen Staaten und Westberlin“ waren für den Zugang zu diesen Berufen entscheidend. 

Wer in den Kreis dieser politischen Auslese aufgenommen wurde, der kam in eine Struktur, in der Geheimhaltung und Gehorsam das oberste Prinzip waren. Jeder durfte nur so viel wissen, wie für seine Aufgabe erforderlich war, und was erwartet wurde, ist in einer „Geheimen Verschlußsache I 020847“ des Innenministers vom 1. Dezember 1977 so zu lesen: „Durch die Erfüllung ihres Klassenauftrages leisten die Angehörigen … ihren Beitrag für die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ... Das erfordert die weitere Erhöhung der Wirksamkeit des Dienstes. Dazu sind die revolutionäre Wachsamkeit, unbedingte Befehlstreue und die militärische Disziplin und Ordnung weiter zu erhöhen, die politisch-ideologische Arbeit aufgabenbezogen, differenziert und ununterbrochen zu führen.“ 

Was „militärische Disziplin“ beispielsweise für Mitarbeiter des Strafvollzugs konkret bedeutete, ergibt sich aus einer Innendienstordnung vom 17. Juni 1976, in der deutlich wird, dass diese Mitarbeiter keine Dienstaufträge, sondern „Befehle“ bekamen, die sie „widerspruchslos, initiativreich und termingemäß“ auszuführen hatten. Mündliche Befehle waren mit den Worten „Zu Befehl“ zu bestätigen und der Wortlaut des Befehls zu wiederholen.

Mit ausgesprochener Gründlichkeit regelte der Innenminister die militärische Grußpflicht: „Die Ehrenbezeigung ist entsprechend den Bestimmungen der Exerzierordnung zu erweisen.“ Mitarbeiter des Strafvollzugs hatten sich grundsätzlich gegenseitig militärisch zu grüßen. 

Zu den Ausnahmen, in denen eine Grußpflicht unangebracht war, hieß es: „Die Ehrenbezeigung ist nicht zu geben: in Diensträumen mit Besucherverkehr, in Anwesenheit zugeführter, vorläufig festgenommener oder verhafteter Personen … beim Gesang von Arbeiterkampfliedern … von Kraft- und Radfahrern während der Fahrt, in öffentlichen Verkehrsmitteln … in sanitären Anlagen, bei der Esseneinnahme.“

Das stark ausgeprägte Hierarchiedenken zeigt sich in den Vorschriften: „Muß ein Angehöriger des Organs SV (Strafvollzug) in Gegenwart höherer Vorgesetzter oder Dienstranghöherer angesprochen werden, ist der höchste Vorgesetzte/Dienstranghöhere um Erlaubnis zu bitten … Ein Vorgesetzter/Dienstranghöhere ist links zu begleiten. Mehrere Begleiter gehen links und rechts neben dem zu Begleitenden.“ 

„Arrest bis zu fünf Tagen“ Diese Vorgaben des Innenministers 

Dickel zeigen deutlich auf, dass er in seinem Kompetenzbereich einen gnadenlosen militärischen Drill praktizierte. Begehrte jemand auf und verweigerte den bedingungslosen Gehorsam, so erwartete ihn ein perfides Bestrafungssystem, geregelt in der Ordnung Nr. 62/76 „Disziplinarordnung“ vom 17. Juni 1976: „Bei offenem Ungehorsam oder Widerstand der Unterstellten hat der Vorgesetzte, notfalls unter Anwendung von Zwangsmaßnahmen, im Rahmen dieser Ordnung die militärische Disziplin und innere Ordnung wiederherzustellen.“ 

In der Aufzählung der „Disziplinarstrafen“ fällt besonders der „Arrest bis zu fünf Tagen“ für Wachtmeister und Offiziere des Strafvollzugs (bis Dienstgrad Hauptmann) auf. Das bedeutet, diese Personen konnten nun selbst eingesperrt werden, ohne gerichtliche Verurteilung und ohne eingeräumtes Rechtsmittel. In einer Anlage 4 der Vorschrift wurde der Ablauf der Inhaftierung sehr genau geregelt. „Arreststrafen … werden in Arrestzellen vollzogen … Der Diensthabende, der den Arrestanten übernimmt, hat … die bei der Einlieferung noch vorhandenen Dienst- bzw. persönlichen Dokumente, Zahlungsmittel sowie Gegenstände des persönlichen Bedarfs (Wasch-, Rasier-, Schuhputz- und Nähzeug, Eßbesteck u. a.) außer der Bekleidung vom Arrestanten zu übernehmen … Partei- und FDJ-Dokumente, Ehe- oder Verlobungsring, Taschen- oder Armbanduhr, Taschentuch und Kamm sind dem Arrestanten zu belassen.“

Am 23. Juni 1982 erließ der Innenminister eine einheitliche „Disziplinarordnung der Organe des MdI (Ministerium des Innern)“ als Dienstvorschrift Nr. 63/82, aus der sich ergibt, dass auch für Volkspolizisten und Angehörige der Feuerwehr eine Arreststrafe bis zu fünf Tagen möglich war. Die Durchführung des Arrestes wurde um diese Vorgabe ergänzt: „Dem Arrestanten sind Weisungen sowie Literatur, die der Unterstützung der politischen Aus- und Weiterbildung dienen, zugänglich zu machen … Die Besuchsgenehmigung ist nur bei Notwendigkeit den nächsten Angehörigen (Eltern oder Ehefrau) zu erteilen.“

Das Ziel dieses menschenverachtenden Umgangs war die Zerstörung des Selbstwertgefühls der politischen Gehilfen, um aus ihnen willige „Werkzeuge“ zu machen. Wer das nicht ertragen konnte und sich gar dem „Klassenfeind“ zuwandte, der bekam die ganze Härte des Regimes zu spüren. 

Bis 1987 gab es in der DDR die Todesstrafe. Werner Teske, ein ehemaliger Mitarbeiter der Staatssicherheit, war der letzte Verurteilte, an dem diese Strafe vollzogen wurde. Die Namen der zum Tode Verurteilten sind bekannt, doch wie viele Bürger, auch politische Gehilfen, aus Verzweiflung über ihre ausweglose Situation ihrem Leben selbst ein Ende setzten, wurde zu DDR-Zeiten verschwiegen. Heute belegen Nachforschungen, dass es von 1952 bis 1990 über 204.000 Suizide gab, eine Rate, die europaweit Spitze ist. Es waren Todesurteile durch die eigene Hand, weil die Menschen keinen anderen Ausweg mehr sahen, diesem Regime zu entkommen.






Dr. Heidrun Budde (geboren 1954 in der DDR) war von 1992 bis März 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock.