24.04.2024

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Folge 27-22 vom 08. Juli 2022 / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / „Ostpreußen Landschaft – Geschichte – Kultur“ / Beeindruckendes Historisches Seminar in der politischen Bildungsstätte in Helmstedt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-22 vom 08. Juli 2022

Landsmannschaft Ostpreußen e.V.
„Ostpreußen Landschaft – Geschichte – Kultur“
Beeindruckendes Historisches Seminar in der politischen Bildungsstätte in Helmstedt
Günter H. Hertel

Man kann sich bezüglich der regionalen Lage kaum einen besseren Platz als Helmstedt an der Grenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt suchen, wenn man Brücken bauen will zwischen Mittel- und Ostmittel-Europa. Helmstedt, an der früheren innerdeutschen Grenze zwischen zwei an Waffen starrenden Systemen nicht nur gelegen, sondern zur Totalüberwachung des Ost-West-Verkehrs immer stärker aufgerüstet, zeigt heute in seinem „Zonengrenz-Museum Helmstedt“ die ganze Brutalität des Kalten Krieges, der fast 40 Jahre dem Heißen Krieg folgte. Wenn heute die im Dezember 2011 mit dem Europäischen Kulturerbe-Siegel der Europäischen Union ausgezeichnete „Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn“ besucht werden kann, können wir mit Dankbarkeit feststellen, dass die ehemalige hochgesicherte Grenze von ihrem Schrecken fast alles verlor, bis auf die schreckliche Erinnerung. Mögen wir die Hoffnung nicht verlieren und alles dafür tun, dass neue schreckliche Grenzen und heiße Kriege ebenso eingedämmt und schnellstens befriedet werden.

Der Bundesgeschäftsführer der Landsmannschaft Ostpreußen e.V., Sebastian Husen, lud mit seiner Referentin Hanna Frahm, mit einem hochkarätigen, spannungsgeladenen und abwechslungsreichen Programm nach Helmstedt zum Thema „Ostpreußen: Landschaft – Geschichte – Kultur“ ein. 

Der Spannungsbogen startet mit einer ungewöhnlichen Per-spektive, dem „Konstrukt Heimat“, wie es sich in Musik und Brauchtum im Nachkriegsdeutschland zeigt. Josephina Strößner lässt die Zuhörer teilhaben an den Studienergebnissen ihrer Masterarbeit „Das Konstrukt <Heimat> im Nachkriegsdeutschland. Musik und Brauchtum ostpreußischer Vertriebener“. Ihren durch Zeitzeugengespräche und Archivarbeit fundierten Hypothesen von Musik als sozialen, integrativen wie andererseits auch segregativen (sich abgrenzenden) Funktionen lauscht man im Wissen, dass soziale Orte für die Vertriebenen vor allem (und bis heute) Chöre, Kirchgemeinden, Singspiele, Theater und neuerdings auch Social-Media Performances sind. Mit dem eingängigen, in einfacher Tonart (F-Dur mit nur einem „b“) von Herbert Brust (1900-1968) gesetztem und 1933 uraufgeführten Oratorium „Heimat“ nach den Texten des jungen Königsberger Erich Hannighofer (1908-1945) war eine eindringliche, die Kargheit der langsam entwickelten Ostpreußischen Kulturlandschaft wiedergebende Hymne geschaffen, die sich in die Seelen der Ostpreußen, auch und gerade der Vertriebenen, einmeißelte.

Mit dieser Musik in den Ohren wandern wir einfühlsam mit Jörn Pekrul auf den Spuren des deutschen Baumeisters und Architekten Friedrich Heitmann in Königsberg. Pekrul führt uns mit Heitmann durch Ostpreußens Architekturlandschaft in mehreren Kapiteln, zum Beispiel bis 1914 mit dem Postscheckamt auf den Hufen, dem Amts- und Landesgericht mit den bekannten zwei Wisenten, dann Königsberg im Zweiten Weltkrieg und zu Kulturzeichen, die Krieg, Flächenbombardement der Royal Airforce und die teilweise barbarische Nachkriegsberäumung überstanden haben, wie die Kirche Zur Heiligen Familie auf dem Oberhaberberg, der heutigen Spielstätte der Kaliningrader Philharmonie. Heitmanns Vermächtnis „Die Liebe höret nimmer auf“ überdauert seinen Tod, sogar in den gesammelten Bildern des sowjetlitauischen Kriegsfotografen Povilas Karpavičius (PAZ, Ausgabe 27, 2021, Seite 17).

Nun wandern wir in die unendlichen Weiten der ostpreußischen Wälder, ihre einsamen Forsthäuser, Auen, Wiesen und Seen, an denen Forstmeister Hubert Geiger die still eingekehrten Zuschauer und -hörer teilhaben lässt. Geiger meint, dass trotz Rückschlägen durch den Krieg in der Ukraine die Enkelgeneration mehr denn je frage, wo denn der Elch zu Hause sei. In Schweden, wo man den Elchtest kennt oder in Polen, Litauen und im Königsberger Gebiet, wo der Elch zunehmend geschützt wird, füllt er den erst 1937 kreierten Namen „Elchwald“ mit Leben aus. Wenn dann ein passionierter ehemaliger Offizier der Roten Armee durch das Naturschutzgebiet Rominter Heide führe, werden für die Enkel Abenteuerlust wie friedliche Zukunftsambitionen gleichermaßen zufriedengestellt.

Der Nostalgie entgegnend, lässt der Sprecherzieher Lienhard Hinz in seiner Sprechwerkstatt Geist, Körper und Seele der zwischenzeitlich im Rondell auf- und zueinander blickenden fast 40 Teilnehmer aus fast allen Altersklassen aktiv werden durch bewusste Lippen- und Zungenaussprache der Vokale und stimmhaften Konsonanten unserer deutschen Sprache. Höhepunkt ist das Vortragen ostpreußischer Gedichte durch die gerade erlernten Sprechtechniken, die gepaart mit heimatlicher Inbrunst ihre Authentizität zum einmaligen Erlebnis machen. Linz verführt die Seminarteilnehmer in die ostpreußische Lyrik und Poesie. Bekannte und weniger bekannte Ostpreußen kommen durch die Seminarteilnehmer selbst zu Gehör: Johannes Bobrowski, Simon Dach, Ruth Geede, Johann Gottfried Herder, Arno Holz, Fritz Kudnig, Agnes Miegel, Kurt Mikoleit, Walter Scheffler alias Walter von der Laak.

„Singen auch heute 

mir oft in die Stille

Trutzlied des Lebens, 

das betet und schafft.

Red‘ ich, so redet 

der Heimatstadt Wille,

schaff‘ ich, so handelt 

der Heimatstadt Kraft.“ 

(LO 1976: Scheffler in „Walter Scheffler – Leben und Werk“. Gedicht „An Königsberg“ (1924). S. 25)

Nicht lexikografisch, sondern mit in der Familie aufgeschnappten Geschichtchen von Marjellchen und Lorbass, entreißt Siegmund R. Fröhlich die Masurische Sprache dem Verschwinden hinter dem unbarmherzigen Mantel der Geschichte. Nach der nächtlichen zima-Schlittenfahrt (=Winter) vom Bahnhof zur großelterlichen gospodarka (Hof), immer den furchterregenden zjilk (=Wolf) im Nacken, begrüßt endlich seine batscha (Großmutter) ihr Enkel mit einem köstlichen Nachtmahl. „Oma!, Oma!, Oma!“ (Ausruf für „Um Gottes Willen“) ist verstummt. Der Listkasch (=Briefträger) bringt die Nozjiny (=gute Nachricht) zu allen Nachbarn.

Ännchen von Tharau, wer kennt es nicht? Gleichwohl zeigt Wolfgang Brandes mit den mäandernden Verzweigungen seiner Lied-Geschichte, welch‘ Reichtum an Sprache, Melodie sowohl die „Anke van Tharaw öß“ als auch die Liebe bis heute bleiben, völkerverbindend und brückenbauend. Selbst Karl May gedachte ihr in „Orangen und Datteln“ 1894. 

Das Bauen von Brücken über Sprach-, Regional-, Kultur- und Religionsbarrieren gelingt mit grenzüberschreitenden, inter- und transdisziplinären Projekten, so wie es Sabine Grabowski mittels des von ihr initiierten deutsch-polnischen Projektes „Im Rücken der Geschichte – Verlorene Dörfer in Masuren“ und dem projektbegleitenden Doku-Film zeigt. Von der Natur bereits wiedereingehüllte Gräber rufen die aktiven Schüler und Studenten ebenso wie die Teilnehmer des Historischen Seminars zur historischen Wahrheitssuche auf, zu Vergebung und Versöhnung, damit die reiche Kulturlandschaft Ostpreußen eines Tages UNESCO-Kulturerbe würde und alle Kriegstreiber in ihre Schranken weist.

„Meine Seele summt den Ton“ noch heute. „Vergiss des Tages Streit“ möchte man laut gen Osten schreien.






Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Günter H. Hertel ist Persönliches Mitglied der Landsmannschaft Ostpreußen (LO) und Pressesprecher der Stadtgemeinschaft Tilsit e.V. Ein ausführlicher Bericht zu den Inhalten des Seminars wird auf der Internetseite der LO zu lesen sein.

www.ostpreussen.de