08.05.2024

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Folge 27-22 vom 08. Juli 2022 / Geschichte / Widerstand gegen das NS-Regime im Osten / Der Tagungsband einer Veranstaltung der „Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen“ zum Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 bietet tiefe Einblicke in den inneren und äußeren Kampf von Adeligen, Militärs und Kirchenvertretern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-22 vom 08. Juli 2022

Geschichte
Widerstand gegen das NS-Regime im Osten
Der Tagungsband einer Veranstaltung der „Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen“ zum Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 bietet tiefe Einblicke in den inneren und äußeren Kampf von Adeligen, Militärs und Kirchenvertretern
Bärbel Beutner

Im Oktober 2019 fand in Göttingen zum 75. Jahrestag des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 eine Tagung der „Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen“ statt. Es ging um den Widerstand gegen Hitler in Ost- und Westpreußen, Pommern sowie im Baltikum. Nun ist der Tagungsband „Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Nordosten. Persönlichkeiten, Konzepte, Schicksale“, herausgegeben von Ernst Gierlich und Hans-Günther Parplies, erschienen. 

Der Tagungsband bietet neben der zentralen Thematik des Widerstandes einen Überblick über Geschichte und Sozialstruktur des damaligen deutschen Ostens. Wer sich über die Adelsfamilien Ostpreußens, über die Lehndorffs, Dohnas, Dönhoffs, Yorcks, Moltkes informieren möchte, findet reichlich Material. 

Die Widerstandskämpfer gerieten in den Konflikt zwischen Staatstreue und preußischem Patriotismus sowie ihrer Gewissensentscheidung angesichts der Verbrechen der neuen Machthaber. Zunächst gab es sowohl beim Adel wie auch beim Militär und bei den Kirchenvertretern die Erwartung, sich mit der neuen Regierung arrangieren zu können. Konservative und preußisch geprägte Werte sah man sogar bestätigt, um dann meist schon in den 1930er Jahren die Gefahr zu erkennen.

„Persönlichkeiten“ und „Schicksale“ werden beeindruckend nahegebracht. Unter den Opfern des 20. Juli finden sich die Namen des pommerschen Adels (von Zitzewitz, von Puttkammer, von Putbus, von Borcke). Allein in Pommern wurden 

55 evangelische Pfarrer zu Blutzeugen der Bekennenden Kirche. Der ermländische Bischof Maximilian Keller, vorgestellt von Rainer Bendel, wehrte sich nach anfänglicher Zustimmung erfolgreich gegen eine Zusammenarbeit mit Gauleiter Koch. Horst Mühleisen entwirft ein bewegendes Psychogramm von Generalmajor Hellmuth Stieff, Berufssoldat und Patriot, der sich nach schweren inneren Kämpfen den „Verschwörern“ anschloss. Am 8. August 1944 wurde er in Plötzensee zum Märtyrer.

Doppelte Bedrängnis

In eine doppelte Bedrängnis geriet Ulrich Sporleder, Offizier und Theologe, „Soldat für Führer, Volk und Vaterland“ sowie zugleich Angehöriger der Bekennenden Kirche. Rainer Zacharias schildert einen erschütternden Lebensweg.

Sehr lesenswert ist der Beitrag über Carl Friedrich Goerdeler von Barbara Kämpfert. Auch ausgewiesene Goerdeler-Kenner finden hier neue Aspekte.

Wladimir Gilmanow analysiert „Das letzte Wort von Peter Yorck von Wartenburg – Zur Theologie des Widerstands“. Er sieht den Widerstand gegen Hitler in der „ostpreußischen Geisteshaltung“ begründet, die sich in Kant und Hamann manifestierte, ja sogar als den biblischen Kampf zwischen der Ursünde der Verführung („Ihr werdet sein wie Gott“) und der Erlösung durch den Geist Christi. Den „Widerstandsmärtyrern“ schreibt er den Sieg über den Tod und die Todesangst zu und damit eine „völlige Wandlung“ zu „einer neuen Kreatur“.

Für Germanisten hält der Tagungsband ein besonderes Geschenk bereit. Karol Sauerland stellt Edzard Schaper vor, Frank-Lothar Kroll und Werner Bergengruen. An dem Lebensweg beider Autoren lässt sich das Schicksal der Deutschbalten im 20. Jahrhundert ablesen. Besonders Bergengruen als Schriftsteller der „inneren Emigration“ im Unterschied zur „Exilliteratur“ findet, so wie Erich Kästner und Ernst Wiechert, in der Forschung heute eine internationale Beachtung. 

Nicht zuletzt sei der Beitrag „Zur Rechtfertigung des Tyrannenmordes“ von Gilbert H. Hornig empfohlen, ein Geschichts- und Rechts-Curriculum von der Antike bis zur Aufklärung, ein gutes Nachschlagewerk zur Definition des Tyrannen sowie zu unterschiedlichen theologischen und staatsrechtlichen Positionen.

Ernst Gierlich/Hans-Günther Parplies (Hg.): „Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Nordosten. Persönlichkeiten, Konzepte, Schicksale“, bebra Verlag, Berlin 2022, 242 Seiten, 34 Euro