27.04.2024

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Folge 28-22 vom 15. Juli 2022 / Östlich von Oder und Neiße / Geschichte über polnische Aufstände nur aus polnischer Sicht / Deutsche gedachten aller Opfer – Vorsitzender des Dachverbands der Deutschen Minderheit erhielt Morddrohungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-22 vom 15. Juli 2022

Östlich von Oder und Neiße
Geschichte über polnische Aufstände nur aus polnischer Sicht
Deutsche gedachten aller Opfer – Vorsitzender des Dachverbands der Deutschen Minderheit erhielt Morddrohungen
Chris W. Wagner

Am Sankt Annaberg in Oberschlesien [Góra św. Anny], wo vor 101 Jahren die blutigen Kämpfe der Polnischen Aufstände stattfanden, gedachten deutsche Oberschlesier am 5. Juli dem Geschehen von damals. Es ist genau der Tag, an dem 1921 die Waffen zum Schweigen kamen. Dieses Datum nahm die Führung der Deutschen Minderheit im vergangenen Jahr zum 

100. Jahrestag zum Anlass, aller Opfer zu gedenken. „Auch wenn der Friede zu der Teilung Oberschlesiens führte, wurde letzten Endes kein Blut mehr vergossen. Deshalb erinnern wir ganz bewusst an diesen Tag“, sagte Rafał Bartek, der Vorsitzende des Verbandes deutscher Gesellschaften in Polen und frisch gebackener Nachfolger Bernard Gaidas.

Bartek erinnerte daran, dass von 1922 bis 1939 eine Zeit herrschte, die einzigartig in der Geschichte Oberschlesiens war: Unabhängig seiner Nationalität hätte man in der Heimat bleiben und trotzdem in Polen oder Deutschland leben dürfen. Und trotzdem sei dies auch eine Zeit gewesen, wie Bartek betonte, in der viele Familien geteilt worden seien und viele in einem anderen Wohnort jenseits der neuen Grenze, aber innerhalb der Region, umgezogen seien, um in dem Staat zu leben, für den man sich in der Volksabstimmung 1921 ausgesprochen habe. „Das Traurige ist, und wir waren vor zehn, elf Jahren schon viel weiter, dass man darüber nicht offen sprechen kann beziehungsweise das Gefühl hat, man dürfe nicht offen darüber sprechen“, sagte er am Annaberg. Hierbei spielte er auf den im Juni einberufenen „Nationalen Tag der Schlesischen Aufstände“ an, der ab diesem Jahr an jedem 20. Juni polenweit gefeiert wird.

„Wir wollen die Geschichte Oberschlesiens nicht nur den Oberschlesiern erzählen, sondern auch in anderen Teilen Polens“, sagte Andrzej Sznajder, der Leiter des Institutes für Nationales Gedenken (IPN) Kattowitz, in einer Pressekonferenz am 7. Juni voller Pathos. Doch die angekündigte Geschichtserzählung erfolge nur aus polnischer Sicht und sei voller nationaler Propaganda, so Bartek. 

Für die polnische „Aufklärungskampagne“ werden weder Mühe noch Kosten gespart. Mehr als 25 Publikationen und 600.000 Broschüren „informieren“ über die Aufstände und die Volksabstimmung. In 120 Städten werden Ausstellungen gezeigt. In der Aktion „Dir Polen“ (Tobie Polsko) werden Gräber polnischer Aufständischer mit weiß-roten Bändern geschmückt. „Die Aufständischen stehen für Glaube, Hoffnung und ein Wunder. Retten wir die Gräber der Schlesischen Aufständischen vor dem Vergessen“, heißt das Motto dieser Aktion, mit der einzig der für Polen Kämpfenden gedacht wird. In Vorbereitung ist unter anderem eine wissenschaftliche Ausgabe von mehr als 40 Reden Wojciech (Adalbert) Korfantys (1873–1939) im Schlesischen Sejm in den Jahren 1922 bis 1929. Der bei Siemianowitz/Laurahütte [Siemianowice Śląskie] geborene Journalist und Politiker war zuvor Mitglied des Deutschen Reichstags gewesen. Er war Gründungsinitiator der autonomen Woiwodschaft Schlesien.

Während der Feierlichkeiten am 20. Juni in Kattowitz wurde das Denkmal des „Lemberger Adler“ (Orlęta Lwowskie) und der Lemberger Kadetten im Beisein des römisch-katholoischen Erzbischofs von Lemberg, Mieczysław Mokrzyck,i eingeweiht. Als „Lemberger Adler“ werden polnische Kinder- und Jugendsoldaten bezeichnet, die während des polnisch-ukrainischen Krieges 1918 und 1919 sowie während des Polnisch-Sowjetischen Krieges von 1919 bis 1921 Lemberg [Lwiw] verteidigten, das heute in der Ukraine liegt.

Eine „Papsteiche“ wurde zum „100-jährigem Jubiläum der Rückkehr (sic!) Oberschlesiens zu Polen“ gepflanzt. Diese Eiche soll von Papst Franziskus gesegnet worden sein. Die deutsche Volksgruppe stehe einsam da, „wenn es um das Gedenken aller Opfer der militärischen Auseinandersetzungen von vor 100 Jahren geht“, bedauerte Bartek, den derzeit zusätzliche Sorgen plagen. 

Eine E-Mail mit einer gegen ihn gerichteten Morddrohung erreichte den Verband deutscher Gesellschaften und zwei andere Organisationen der Deutschen Minderheit. „Die E-Mail ist so drastisch, dass wir uns entschieden haben, ihren Inhalt nicht zu veröffentlichen, um das Ausmaß der Hasssprache nicht zu erhöhen. Leider zeigt diese Nachricht, dass die aktuelle gesellschaftspolitische Situation einen erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Deutschen Minderheit in Polen hat“, sagte Bartek gegenüber dem „Wochenblatt.pl“, der Zeitung der Deutschen in der Republik Polen. Die betreffenden Organisationen der Deutschen reichten bei der Staatsanwaltschaft eine Anzeige wegen des Verdachts einer Straftat gegen Unbekannt ein.