26.04.2024

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Folge 29-22 vom 22. Juli 2022 / Hintergründe Vor wenigen Tagen erschütterte das Attentat auf den japanischen Politiker Shinzō Abe die Welt. Obwohl der Mörder bislang als Einzeltäter gilt, lohnt der Blick auf die näheren Umstände des Verbrechens / Ein Mord, der eine ganze Region destabilisieren kann / Mit dem Mord an Shinzō Abe verliert Japan nicht nur eine innenpolitische Leitfigur, sondern einen der entschiedensten Gegner Chinas

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-22 vom 22. Juli 2022

Hintergründe Vor wenigen Tagen erschütterte das Attentat auf den japanischen Politiker Shinzō Abe die Welt. Obwohl der Mörder bislang als Einzeltäter gilt, lohnt der Blick auf die näheren Umstände des Verbrechens
Ein Mord, der eine ganze Region destabilisieren kann
Mit dem Mord an Shinzō Abe verliert Japan nicht nur eine innenpolitische Leitfigur, sondern einen der entschiedensten Gegner Chinas
Wolfgang Kaufmann

Am 8. Juli gegen 11.30 Uhr Ortszeit wurde der frühere japanische Premierminister Shinzō Abe während einer Wahlkampfveranstaltung unweit des Bahnhofs Yamato-Saidaiji in Nara auf offener Straße angeschossen und verstarb dann um 17.03 Uhr desselben Tages aufgrund der dabei erlittenen Verletzungen. Sicherheitskräfte konnten den Täter, einen erwerbslosen ehemaligen Angehörigen der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte namens Tetsuya Yamagami, noch am Tatort überwältigen. Der 41jährige sitzt seitdem in Haft.

Bis zuletzt ein Schwergewicht

Abe wollte mit dem Wahlkampfauftritt seine Liberaldemokratische Partei (LDP) unterstützen, denn er galt in Japan nach wie vor als politisches Schwergewicht ersten Ranges. Immerhin hatte der Sohn des früheren Außenministers Shintarō Abe zuvor vier Mal das Amt des Premierministers bekleidet, bevor er am 16. September 2020 wegen gesundheitlicher Probleme zurücktrat. Außerdem verfocht Shinzō Abe Positionen, welche die japanischen Wähler auch und gerade in der aktuellen innen- und außenpolitischen Situation dazu bewegen sollten, ihre Stimme der LDP zu geben. 

So plädierte er für eine harte Haltung gegenüber der Volksrepublik China, woraus sich nicht zuletzt die Forderung ergab, dass Japan Taiwan militärisch zur Seite stehen müsse, wenn Peking eine Annexion des Inselstaates versuche. In diesem Zusammenhang verwies Abe permanent auf die Notwendigkeit der Revision der pazifistischen japanischen Verfassung von 1946, welche nur die Unterhaltung von Selbstverteidigungsstreitkräften erlaubt. Dabei war es ihm in seiner dritten Amtszeit bereits gelungen, die Erweiterung der Befugnisse der Streitkräfte im Hinblick auf ein offensiveres Vorgehen gegen vielerlei Widerstände durchzusetzen. Des Weiteren trat Abe für mehr innere Sicherheit ein, woraus 2017 ein Gesetz zur Ahndung der Vorbereitung und Planung schwerer Straftaten resultierte, das den Behörden deutlich größere Überwachungsmöglichkeiten einräumte. Darüber hinaus lehnte der Ex-Premier die Aufnahme von Migranten sowie den Verzicht auf Kernenergie ab und befürwortete schärfere Maßnahmen gegen Nordkorea. Andererseits zeigte er sich aber zugleich sehr zurückhaltend, was Sanktionen gegen Russland betraf.

Mit all diesen Punkten sowie mit seinen vorherigen Wahlerfolgen war Abe der unbestrittene Star innerhalb der LDP – zugleich aber auch ganz unterschiedlichen Kreisen innerhalb und außerhalb Japans ein Dorn im Auge. Das wirft die Frage auf, ob der Schütze Yamagami Hintermänner oder Auftraggeber gehabt haben könnte. Zumal das unprofessionelle Auftreten der Sicherheitskräfte in Nara den Verdacht einer Verschwörung nährt: Wieso ließen die Leibwächter des Ex-Premiers zu, dass der Attentäter minutenlang mit seiner großen selbstgebastelten Waffe hinter Abe stand? Und warum bekam Yamagami dann sogar noch die Gelegenheit zu einem zweiten Schuss, bevor er endlich zu Boden gerungen wurde?

Doch bislang äußerten die zuständigen Behörden keinerlei Zweifel an der Einzeltäterthese und erklärten die Motivation des Attentäters folgendermaßen: Yamagami habe weder einen „Groll“ gegen Abe als Person noch gegen dessen politische Positionen gehegt, sondern sich an der Verbindung des Ex-Premiers zu einer religiösen Organisation gestört, welche er für den finanziellen Ruin seiner Mutter verantwortlich machte. 

Dabei fand die japanische Presse bald heraus, dass es sich hierbei um die umstrittene Vereinigungskirche handelt, die 1954 von dem Südkoreaner Sun Myung Moon gegründet worden war, weshalb sie häufig auch „Moon-Sekte“ genannt wird. 

Moon, der vielen japanischen Parlamentariern Wahlkampfspenden zukommen ließ, pflegte gute Kontakte zu Abes Großvater Nobusuke Kishi, der von 1957 bis 1960 als Premierminister fungiert hatte. Das wiederum führte wohl dazu, dass auch Abe selbst mit der Vereinigungskirche sympathisierte. Letzteres zeigte sich unter anderem im September 2021, als er eine virtuelle Ansprache auf der „Rally of Hope“ der ebenfalls von Moon ins Leben gerufenen „Universal Peace Federation“ hielt. Und genau das soll Yamagami dazu bewogen haben, Abe zu töten.

Folgen für Japans Innenpolitik – und die Lage in Fernost

Unabhängig davon, ob diese Version nun stimmt oder nicht, zeitigte der Mord an dem Politiker sofort Konsequenzen. Bei der Wahl zum Oberhaus des japanischen Parlaments, die zwei Tage nach dem Attentat stattfand, erhielt die regierende LDP deutlich mehr Stimmen als erwartet und sicherte sich dadurch die absolute Mehrheit in der Kammer. 

Das hing unter anderem damit zusammen, dass der amtierende Premierminister Fumio Kishida der geschockten japanischen Nation versprach, alles zu tun, um in der aktuellen Situation für Stabilität und Sicherheit in Inneren wie Äußeren zu sorgen. 

Damit sind nun zwei Entwicklungen möglich: Entweder es bleiben diejenigen Kräfte in der LDP obenauf, welche Abes rigiden Kurs gegenüber China und in der Frage der weiteren Militarisierung der Selbstverteidigungsstreitkräfte fortführen wollen. Oder es obsiegt mangels des nunmehrigen Fehlens einer Leitfigur im „rechten“ Lager der Partei der nachgiebigere Flügel der LDP – mit unabsehbaren Folgen für die Entwicklung in Fernost.