19.04.2024

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Folge 29-22 vom 22. Juli 2022 / Gaskrise / Zustände wie unter Bismarck / Werden wir wieder wie im 19. Jahrhundert heizen? Aus Angst vor Gasknappheit legen sich viele Deutsche Holzöfen zu, damit es im Winter warm bleibt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-22 vom 22. Juli 2022

Gaskrise
Zustände wie unter Bismarck
Werden wir wieder wie im 19. Jahrhundert heizen? Aus Angst vor Gasknappheit legen sich viele Deutsche Holzöfen zu, damit es im Winter warm bleibt
Hermann Müller

Trotz der hochsommerlichen Temperaturen stehen bei vielen Deutschen nicht Gartenpools oder Ventilatoren ganz oben auf der Wunschliste, sondern Brennmaterial und eine neue Heizung. Getrieben von der Angst, im kommenden Winter in einer Energiekrise in kalten Wohnungen zu sitzen, boomt derzeit die Nachfrage nach Alternativen zu Öl- oder Gasheizungen.

Aktuell ist vor allem das Interesse der Deutschen für elektrische Heizungen und Heizlüfter, mit denen Wohnräume mit Strom beheizt werden können, besonders groß. Wie „Business Insider“ auf der Grundlage von Daten des Vergleichsportals Idealo berichtet, sind die Suchanfragen nach Elektroheizungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 3961 Prozent gestiegen. 

Mit Blick auf die Strompreise warnte Andrea Grimm von der Verbraucherzentrale Hamburg, dass die Elektroheizungen die Haushalte am Ende mit hohen Kosten belasten können: „Wir warnen davor, unkontrolliert mit elektrischen Heizungen oder Heizlüftern zu heizen, da es deutlich teurer ist. Derzeit ist Strom doppelt so teuer wie Gas.“

Die elektrischen Heizlüfter stellen allerdings nicht nur für die Haushaltskassen eine Gefahr dar. Sollten im kommenden Winter diese stromhungrigen Geräte in großer Zahl zusätzlich am Netz hängen, kann dies durchaus das Stromnetz auf eine Belastungsprobe stellen.

Auch bei Kaminöfen melden Händler inzwischen Lieferzeiten von vier bis sechs Wochen. Kunden, die ein spezielles Ofenmodell im Blick haben, bekommen derzeit mitunter sogar Liefertermine von über einem Jahr genannt. Als Folge dieser Nachfrage haben auch die Schornsteinfeger deutlich mehr zu tun als in den Vorjahren. Nach Angaben der Berliner Schornsteinfeger-Innung ist die Nachfrage nach Beratung und Abnahmen von Kaminöfen regelrecht „explodiert“.

Holzdiebstähle in den Wäldern

Mit Blick auf feste Brennstoffe wie Brennholz, Holzbriketts, Pellets und Kohle spricht der Handel sogar schon von einem „Ausnahmezustand“ auf dem Markt. Gegenüber dem Sender rbb sprach Matthias Wilke, Geschäftsführer eines Handelsunternehmens für Naturbrennstoffe mit Sitz im Landkreis Ostprignitz-Ruppin, von einer „exorbitant hohen Nachfrage“.

Auch ein Kaminholzhändler aus Berlin-Mahlsdorf verzeichnet derzeit eine Nachfrage, „so hoch wie fast noch nie, nicht in den kältesten Wintern“. Bei vielen Holzhändlern sind inzwischen Buchenholz und andere Laubhölzer sogar ganz ausverkauft.

Die starke Nachfrage ruft inzwischen auch schon Betrüger auf den Plan. Laut dem Bundesverband Brennholz werden immer wieder Fälle gemeldet, bei denen Kaufinteressenten Holz im Internet bestellen und vorab bezahlen, die Ware aber nie geliefert bekommen. Aus Bayern und Hessen werden zudem vermehrt auch Holzdiebstähle aus Wäldern gemeldet.

Das aufgeflammte Interesse der Deutschen für den Brennstoff Holz ist zu einem Thema für die Forschungsabteilung der Deutschen Bank geworden. Deren Volkswirt Eric Heymann hat Szenarien für den Verlauf der kommenden Monate skizziert. Nach seiner Ansicht wird die Energiewirtschaft bei einer Reduzierung oder einem kompletten Stopp der russischen Gaslieferungen über Nord Stream 1 versuchen, fehlendes Erdgas vor allem durch Kohle zu substituieren. 

Mit Blick auf die Industrie geht die Deutsche Bank Research davon aus, dass diese auf Ölderivate zurückgreifen wird. Für Schlagzeilen bis in englischsprachige Wirtschaftsmedien sorgte die Prognose der Deutsche Bank Forschungsabteilung für die privaten Haushalte. Für diese sagt der Volkswirt Eric Heymann voraus, dass, wo immer dies möglich sein wird, Holz für Heizzwecke verwendet werden wird. Die US-Wirtschaftsseite „Zerohegde“ fühlte sich angesichts dieser Prognose bereits an Zustände wie im Deutschland des 19. Jahrhunderts unter dem Kanzler Bismarck erinnert – zumindest in der Frage der Heizung.

Schlecht für die Klimabilanz

Das wiedererwachte Interesse der Deutschen für Holzöfen stößt allerdings auch auf Kritik. Bereits Anfang des Jahres hatte das Umweltbundesamt die Forderung präsentiert, generell auf Holzheizungen zu verzichten: „Das Heizen mit Holz ist in punkto Nachhaltigkeit nur begrenzt sinnvoll, und was die Emissionen von Luftschadstoffen angeht, gar keine gute Idee“, so Christian Liesegang, Experte für Feuerungsanlagen vom Umweltbundesamt. 

Die Behörde kündigte außerdem an, sich für die Streichung oder Kürzung von staatlichen Fördergeldern für Holzheizungen einsetzen zu wollen. Auch die Deutschen Umwelthilfe kritisierte, dass „durch Holzverbrennung mehr Feinstaub ausgestoßen als aus den Auspuffen von Pkw, Lkw und Bussen kommt“.

Mit ihren Vorstößen gegen Ofenheizungen rufen die Deutsche Umwelthilfe und das Umweltbundesamt möglicherweise einen Effekt hervor, den sie nicht im Sinn haben. Die Sorge vor einem kommenden Verbot kann für Verbraucher nämlich zum Anlass werden, sich eine Ofenheizung zuzulegen, solange dies noch möglich ist.