26.04.2024

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Folge 29-22 vom 22. Juli 2022 / Theologe und Schriftsteller / „Sophien-Hermes“ schuf pionierhafte Bestseller / Seine ungewöhnlichen Werke erregten im 18. Jahrhunderte große Aufmerksamkeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-22 vom 22. Juli 2022

Theologe und Schriftsteller
„Sophien-Hermes“ schuf pionierhafte Bestseller
Seine ungewöhnlichen Werke erregten im 18. Jahrhunderte große Aufmerksamkeit
Martin Stolzenau

Johann Timotheus Hermes stammte aus Hinterpommern, machte als evangelischer Theologe in Niederschlesien Karriere und stieg in Breslau bis zum Professor, Superintendenten und Oberkonsistorialrat auf. Nebenbei erlangte er als bedeutender Prosaschriftsteller der Aufklärungszeit deutsche Bekanntheit. 

Er orientierte sich dabei am englischen Gesellschaftsroman und schuf Bestseller des 18. Jahrhunderts, die als „kulturhistorisch-wertvolle Zeugnisse“ gelten und ihm den Ruf als „Sophien-Hermes“ und „deutscher Richardson“ eintrugen. Mit seinem Wirken, seiner Bedeutung und seiner Beziehung zur englischen Literatur beschäftigten sich nach seinem Tod vor 200 Jahren mehrere Dissertationen. Dazu gibt es bis heute Beiträge in verschiedenen Nachschlagewerken.  

Der „Sophien-Hermes“ wurde am 31. Mai 1738 in Petznick geboren. Der Geburtsort liegt 15 Kilometer südöstlich von Stargard in Hinterpommern, war bis 1945 eine Landgemeinde im Landkreis Pyritz und fiel mit dem neuen Namen Piasecznik danach mit ganz Hinterpommern an Polen. Hermes gilt inzwischen als bedeutendste Persönlichkeit des Dorfes. Er war der Sohn des Dorfpfarrers, wurde schon früh auf eine Theologen-Laufbahn orientiert und studierte ab 1756 in Königsberg Theologie. Doch nebenbei wuchs sein Interesse für die Literatur. Dabei entwickelte der Mann aus Hinterpommern eine besondere Beziehung zur Aufklärung und zu den englischen Gesellschaftsromanen der heute als „Klassiker“ getenden Schriftsteller Lawrence Sterne, Henry Fielding und Samuel Richardson. 

Hermes beendete sein Studium in Königsberg, fungierte anschließend als Lehrer an der Ritterakademie in Brandenburg a.d. Havel, als Feldprediger und dann als Hofprediger in Anhalt. Von dort wechselte er als Pfarrer nach Pless im Oberschlesischen Hügelland nahe Kattowitz. 

Pless war zunächst eine Befestigung der Piasten, dann ein Herzogtum und gelangte 1548 als Standesherrschaft in den Besitz des Breslauer Fürstbischofs Balthasar von Promnitz aus dem sächsischen Hochadel. Dessen Familie herrschte mit eigener aufgeklärter Hofhaltung bis 1765 über das Plesser Land. 

Hermes wirkte in dieser Endphase als Hofpfarrer seiner toleranten Arbeitgeber mit vielen Freiräumen, die er für seine Schriftstellerei nutzte. Dabei entstand die „Geschichte der Miss Fanny Wilkes“, sein erster Erfolgsroman, der 1766 erschien. Das positive Echo beflügelte den Hobby-Romancier. Er legte „Sophiens Reise von Memel nach Sachsen“ nach. 

Dieses fünfbändige Werk behandelt fast pionierhaft für den damaligen deutschen Lesergeschmack das „Problem der freien Gattenwahl der Frau“. Die Zentralfigur Sophie steht zwischen zwei unterschiedlichen Männern, die analog zu den überlieferten Sittengesetzen die „züchtige Hingabe an den werbenden Mann abfordern“ und wegen dieser Haltung einen Korb bekommen. 

Hermes betrat damit schriftstellerisches Neuland. Er berücksichtigte nur bürgerlichen Figuren, keinen Adel, schuf wirklichkeitsnahe bürgerliche Milieuschilderungen und verarbeitete auch Zeiterlebnisse wie den Siebenjährigen Krieg. Damit entstand aus der Feder von Hermes ein ungewöhnlicher Gegenwartsroman mit ersten „Elementen des psychologischen Romans“, der ein Verkaufserfolg wurde und in andere Sprachen übersetzt wurde. Hermes wurde berühmt, 1771 nach Breslau an das renommierte Magdalenäum als Professor berufen und zog in der Folge in Niederschlesien seine Kreise. Er lehrte am Magdalenäum, übernahm die Pfarrstellen an der Magdalenen-und Elisabethkirche in Breslau, fungierte als Propst in der Breslauer Neustadt und wurde 1808 zum Superintendenten erhoben. Der Aufstieg ging danach weiter. 

Parallel verfasste er sporadisch weitere Prosa, die aber an den Erfolg seines „Sophien“-Romans nicht wieder heranreichte. Zwischendurch veröffentlichte der Hobby-Schriftsteller die Gedichte aus dem „Sophien“-Roman in einem Sonderband. Die Vertonung übernahm der Komponist Johann Adam Hiller. Dem Beispiel Hillers folgten danach auch andere Komponisten wie Maria Theresia von Paradis und Wolfgang Amadeus Mozart. 

Doch zum breiten Lob für „Sophien- Hermes“ kam auch Kritik und etwas Spott. Und das ausgerechnet von den Weimarer Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, die sich in ihren „Xenien“ an der „Empfindsamkeit“ des Frauenverstehers rieben. Bis zu seinem Tod am 24. Juli 1821 in Breslau litt Hermes unter diesem Kollegenspott.