Rund zwei Monate nach dem Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges, am 24. August 1941, fand in Moskau eine große „Öffentliche Versammlung der Vertreter des jüdischen Volkes“ statt. Deren Zweck bestand darin, die Juden in aller Welt zur materiellen und moralischen Unterstützung der Kriegsanstrengungen der UdSSR zu bewegen. Demselben Zweck diente das Jüdische Antifaschistische Komitee (JAK), das am 7. April 1942 erstmals mit einem Appell an „Juden in der ganzen Welt“ an die Öffentlichkeit trat. Bis 1945 gelang es dem Komitee, in den USA, Mexiko, Kanada und Großbritannien 45 Millionen US-Dollar für die Rote Armee in Form von Kriegsanleihen, Fahrzeugen, Bekleidung und medizinischem Gerät zu sammeln.
Nachdem sie für die Mobilisierung von Juden gegen das Dritte Reich nicht mehr benötigt wurden, gerieten das JAK und dessen Mitglieder allerdings bei der Kremlführung in Ungnade. Drei Gründe seien hier genannt. Erstens verdächtigte Stalin die Juden in der UdSSR nach der Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948, sich dem Judenstaat und dessen Schutzmacht USA stärker verbunden zu fühlen als der Sowjetunion und für diese Mächte zu spionieren. Zweitens interpretierte der Diktator im Kreml den Versuch der Neukonsolidierung des jüdischen Lebens nach dem Holocaust als unverhohlene Abkehr von der kommunistischen Ideologie. Und drittens betrachtete Stalin den Traum führender JAK-Vertreter von der Errichtung einer eigenen autonomen Sowjetrepublik auf der Krim als „zionistisch-imperialistische Verschwörung“ zur Abtrennung der Halbinsel von der Sowjetunion.
Rund 70 JAK-Mitglieder
Deshalb veranlasste er im Januar 1948 die Ermordung des JAK-Vorsitzenden Solomon Michoels durch eine Geheimpolizeieinheit unter dem Befehl des stellvertretenden Ministers für Staatssicherheit Sergej Ogolzow. Dem folgten die Auflösung des JAK zum 20. November des Jahres und erste Verhaftungen von Mitgliedern des Komitees.
Wenig später begannen die sowjetischen Zeitungen gegen „heimatlose Kosmopoliten“ im Lande zu hetzen, mit denen die Juden gemeint waren. Den Anfang machte die „Prawda“ am 28. Januar 1949 mit einem Angriff auf „unkontrollierte, böswillige … Profitjäger ohne Wurzeln und ohne Gewissen … Gewachsen auf der schimmligen Hefe des Kosmopolitentums, der Dekadenz und des Formalismus der Bourgeoisie … Nationalisten, hier nicht heimisch, ohne Mutterland, die unsere proletarische Kultur mit Gestank vergiften“. Dies veranlasste das einstige JAK-Mitglied Perez Markisch zu der Bemerkung: „Hitler wollte uns physisch vernichten, und Stalin will es geistig tun.“
Doch damit lag der Lyriker falsch: Es ging dem Machthaber in Moskau sehr wohl auch um die ganz reale körperliche Auslöschung jüdischer Prominenter und Intellektueller. Davon zeugte wenig später der gewaltsame Tod der Schriftsteller Schmuel Persow und Der Nister alias Pinchas Kahanowitsch. Die übrigen vormaligen Angehörigen des JAK wurden ebenfalls zwischen September 1948 und Juni 1949 verhaftet und anschließend unablässig gefoltert, damit sie ihre „konterrevolutionären Verbrechen“ gestanden. So erhielt Boris Schimeliowitsch mehr als zweitausend Schläge auf das Gesäß und die Fersen, verweigerte aber dennoch jegliche Aussage. Dahingegen gab Joseph Jusefowitsch später vor Gericht zu Protokoll, dass er alles unterschrieben habe, was man ihm vorgelegt habe. „Ich war sogar bereit zu gestehen, der Neffe des Papstes zu sein und auf dessen Befehl zu handeln“, so der Wissenschaftler am Institut für Geschichte der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Solomon Bregman, einstmals stellvertretender Minister für Staatskontrolle der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, fiel durch die Misshandlungen ins Koma, aus dem er nicht mehr erwachte. Er starb am 23. Januar 1953 in der Krankenstation des Butyrka-Gefängnisses.
15 Angeklagte
Den übrigen Verhafteten wurde vom 8. Mai bis zum 18. Juli 1952 der Prozess gemacht. In dem Geheimverfahren gab es weder Staatsanwälte noch Verteidiger, sondern nur drei Militärrichter. In der Regel erkannten diese schließlich auf Tod durch Erschießen und Einzug des gesamten persönlichen Besitzes. Eine Ausnahme bildete neben Bregman, dessen Verhandlung zurückgestellt wurde, Lina Stern, die mit dreieinhalb Jahren Haft davonkam.
In der Nacht vom 12. auf den 13. August 1952 wurden die Todesurteile im Keller des Moskauer Gefängnisses Lubjanka vollstreckt. Da zu den Opfern auch die Schriftsteller und Lyriker Markisch, David Hofstein, Itzik Feffer, Leib Kwitko und David Bergelson gehörten, wird heute oft von einer „Nacht der ermordeten Dichter“ oder „Nacht der getöteten Poeten“ gesprochen. Die übrigen Hingerichteten waren jedoch Berufspolitiker (Solomon Losowskij), Chefarzt (Boris Schimeliowitsch), Theaterdirektor (Benjamin Suskin), Wissenschaftler (Joseph Jusefowitsch), Übersetzer und Journalist (Leon Talmi, Ilja Watenberg, Tschajka Watenberg-Ostrowskaja) sowie Redakteur (Emilia Teumin). Viele davon hatten sich in der Vergangenheit große Verdienste um die Sowjetunion erworben. Zu den 13 Exekutierten gehörten beispielsweise drei Träger des Stalinpreises, der höchsten zivilen Auszeichnung der Sowjetunion, sowie ein Träger des Leninordens und des Ordens des Vaterländischen Krieges Erster Klasse.
13 Exekutionen
Nach Stalins Tod am 5. März 1953 überprüfte das Militärkollegium des Obersten Gerichtshofes der UdSSR die Urteile und stellte am 22. November 1955 fest, dass die Anklagepunkte „ohne Substanz“ gewesen seien. Wer von den einst rund 70 Mitgliedern des JAK die Verfolgung überlebt hatte, emigrierte später in der Regel nach Israel. Dort wurde 1977 ein Denkmal für die Opfer der Mordnacht eingeweiht. Zu den wenigen Vertretern des Jüdischen Antifaschistischen Komitees, die in der Sowjetunion blieben, zählte der Schriftsteller Ilja Ehrenburg. Der fungierte ab September 1948 als Stalins Sprachrohr gegen den Zionismus, was der israelische Botschafter in Moskau mit der Feststellung quittierte: „Man wird nie so gut verraten, wie von den eigenen Leuten.“
Der Verfolgungsdruck auf die Juden in der Sowjetunion nahm nach den „Schwarzen Jahren“ von 1948 bis 1953 ab. Dennoch entschlossen sich viele Russen jüdischen Glaubens später zur Auswanderung. Während 1959 noch 2,2 Millionen Juden in Sowjetrussland lebten, liegt deren Zahl in der heutigen Russischen Föderation gerade einmal noch bei rund 135.000.