26.04.2024

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Folge 31-22 vom 05. August 2022 / Epigenetik / Gefühle kann man doch nicht vererben, oder? / Belastungen durch Erinnerungen an Traumata, die sich auch auf nachfolgende Generationen auswirken, können behandelt werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-22 vom 05. August 2022

Epigenetik
Gefühle kann man doch nicht vererben, oder?
Belastungen durch Erinnerungen an Traumata, die sich auch auf nachfolgende Generationen auswirken, können behandelt werden
Barbara Chilla

Muttermale und Augenfarben können ja vererbt werden. Begabungen auch. Aber Gefühle? Wie soll das geschehen?

Die Enkelin (drei Monate alt) schreit, wenn der Vater von der Arbeit kommt, wenn er oder der Großvater mit ihr spielen will. Woher rührt die Abneigung,  fast panische Angst, vor Männern? Die Kleine hat doch gar keine negativen Erfahrungen mit Männern machen können. Die Eltern sind verstört und ratlos. Haben sie etwas falsch gemacht? – Auch die Mutter hat eine gewisse Zurückhaltung Männern gegenüber und ein Problem mit körperlicher Nähe. Aber die Kleine ist die eigentliche Symptomträgerin.

Dieses Phänomen erlebt man fast regelmäßig: Eine oder mehrere Generationen werden übersprungen bei der Weitergabe der Gefühlsqualitäten von unverarbeiteten traumatischen Ereignissen.

Die Großmutter ist als junges Mädchen auf der Flucht aus Ostpreußen von marodierenden Soldaten vergewaltigt worden. Ein Schicksal, das im Zweiten Weltkrieg viele Mädchen und Frauen ereilt hat.

Narben auf der Seele sind vererbbar

Aber kann dieses fürchterliche Erlebnis der Großmutter etwas mit dem panikartigen Schreien der Enkelin zu tun haben? In der Regel sprach man über derartige Dinge wie Vergewaltigung und Missbrauch in den Familien nicht, in dem Glauben, dass es für alle besser sei, sie mit dem Mantel des Schweigens zu bedecken. Aber die Panik der Großmutter, ihre Todesangst, ihre Scham und ihre Verzweiflung haben sich tief in die Seele eingegraben und dort Spuren hinterlassen. Diese Narben auf der Seele sind vererbbar.

Die Möglichkeiten, wie sich die ererbten Gefühle bei den nachfolgenden Generationen äußern, sind äußerst vielfältig und reichen von körperlichen Symptomen wie chronischen Erkrankungen, Allergien, Krebs, Gewichtsproblemen, Diabetes oder ungewollter Kinderlosigkeit über geistige Probleme (Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten) bis hin zu psychischen Auffälligkeiten (Depressionen, Süchte, Angststörungen und Verhaltensauffälligkeiten).

Eine neue Forschungsrichtung der Biologie, die Epigenetik, hat erst in den letzten Jahren Erkenntnisse darüber gewonnen, wie solche Gefühle und seelischen Verletzungen an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden können (zum Beispiel: Prof. Michael 

Deuschle, Mannheim „Unsere Gene haben ein Gedächtnis“).

Die Erkenntnisse der Epigenetik bestätigen das, was systemisch arbeitende Therapeuten tagtäglich in ihrer Arbeit erleben. Diese von Generation zu Generation „vererbten“ seelischen Verletzungen mit den dazu gehörenden Gefühlsregungen sind der  therapeutischen Intervention zugänglich, das heißt: Vererbte seelische Verletzungen können geheilt werden.

Seelische Verletzungen können geheilt werden

Sie können so geheilt werden, dass sie den Menschen in seinen Lebensaufgaben nicht mehr behindern. Das ist eine sehr gute Nachricht. Wie kann das konkret vor sich gehen? Die Großmutter würde niemals zu einem Therapeuten gehen. Die Kleine ist zu klein. Die Mutter könnte diese Aufgabe übernehmen, da sie sowohl mit der Großmutter (ihrer Mutter) als auch mit ihrer Tochter blutsverwandt ist.

Man kann sich das so vorstellen, dass alle Familienmitglieder wie an einem Mobile miteinander verbunden sind. Mit verschiedenen systemischen Methoden, die lösungsorientiert sind und zu den Kurzzeittherapien gehören, kann man sich diesem Thema nähern. Solche Methoden sind zum Beispiel das Familienbrett, Arbeit mit kleinen Tiermodellen oder anderen Symbolen sowie mit Bodenankern. Bodenanker sind verschiedenfarbige dünne Matten, die auf dem Boden ausgelegt werden. Der Phantasie und den persönlichen Vorlieben sind da keine Grenzen gesetzt.

Ich arbeite bevorzugt mit solchen Bodenankern, da mir diese Variante am effektivsten erscheint. Der Klient sucht in dem beschriebenen Fall die Matten aus für sich, die Großmutter und das Symptom und legt sie, dem inneren Bild folgend, auf den Boden. An ihrem Impuls orientiert, stellt sich die Klientin nun auf die verschiedenen Matten und achtet auf Körpersignale, Empfindungen, innere Bilder und vieles mehr. Mit den Äußerungen der Klientin arbeite ich dann und schlage gegebenenfalls Interventionen vor. Am Ende steht im günstigsten Fall ein Lösungsbild, welches das Trauma heilen lässt. 

Positive Veränderung schon nach der Eingangssitzung

Eine erste positive Veränderung zeigt sich fast immer schon nach der Eingangssitzung, die etwa eineinhalb Stunden dauert. Manchmal sind mehrere Sitzungen erforderlich, bis das Anliegen des Klienten erfüllt ist. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab, die von außen nicht beeinflussbar sind. Von solcher systemischen Arbeit profitiert nicht nur der Klient selbst, der die Aufstellung macht, es profitieren auch die Generationen, im oben angegebenen Beispiel die Familienmitglieder, die das Trauma ursprünglich erlitten haben. Nach dieser nachhaltigen und ganzheitlichen Heilung des Traumas können sich alle ihren eigentlichen Lebensaufgaben zuwenden und ein erfülltes Leben führen, ohne gehemmt zu werden durch die ungewollten und unbewussten Verstrickungen mit anderen Familienmitgliedern.

Literaturhinweise: Sabine Bode: Die vergessene Generation, München 2006.

Sabine Bode, Bettina Alberti, Kurt Langener u. a.: Was der Krieg mit uns macht, CD Audioforum, Netzwerk 2014.

Astrid von Friesen: Der lange Abschied, Gießen, 2006

Weitere Methoden zur Aufarbeitung traumatischer Prozesse sind EMDR, Traumatherapie nach Peter Levine, Körpertherapie und andere.

Kontakt: Barbara Chilla, Systemische Therapie und energetische  C4-Homöopathie, Barbara.chilla@web.de, Webseite:  www.Systemische-Beratung- Chilla.de, Telefon 025523895