26.04.2024

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Folge 32-22 vom 12. August 2022 / Russlands Marinedoktrin / „Eroberung der Arktis“ / Nach drei Jahrzehnten Frieden – Putin sichert russische Interessen militärisch ab

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-22 vom 12. August 2022

Russlands Marinedoktrin
„Eroberung der Arktis“
Nach drei Jahrzehnten Frieden – Putin sichert russische Interessen militärisch ab
Bodo Bost

Jahrzehntelang war die Arktis eine Zone der friedlichen Zusammenarbeit, in der die Interessen der Region Vorrang vor äußeren Spannungen hatten. Doch während der Ukrainekrieg weiter tobt, verkündete Präsident Wladimir Putin eine neue russische Marinedoktrin, in der er der „Eroberung der Arktis“ ein wichtiges Kapitel widmet.  

Putin hat die neue Marinedoktrin zum Tag der Seestreitkräfte am 31. Juli in 

St. Petersburg in Kraft gesetzt. Die erstmals seit 2015 erneuerte Marinedoktrin stellt nicht zuletzt eine Kampfansage an den Westen dar. Die Arktis „entwickelt sich zu einer Region des internationalen Wettbewerbs, nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in militärischer Hinsicht“, heißt es in dem Dokument. Russlands Seegrenzen, darunter in der Arktis und im Schwarzen Meer, werden in der Doktrin neu definiert. In dem 55 Seiten umfassenden Papier wurde festgeschrieben, dass das sogenannte Streben der USA nach Dominanz auf den Weltmeeren eine „Herausforderung für die nationale Sicherheit Russlands“ sei. Vor seiner Rede hatte Putin auf einem Boot während einer Fahrt von Kronstadt nach St. Petersburg eine Schiffsparade abgenommen. 

Der Kreml sieht die klimabedingte Eisschmelze, die hierzulande als Kata­strophe bezeichnet wird, als eine große Chance, die Unterwasserressourcen des Nordpols auszubeuten und eine Handelsroute zu entwickeln. 

In der Arktis möchte Moskau außerdem die Nördliche Seehandelsroute, auch Nordostpassage genannt, „voll entwickeln“. Dieser Weg, der durch den Klimawandel und das Schmelzen des Packeises geöffnet wird, verbindet Europa mit Asien entlang der russischen Küste und verkürzt die bisherige Strecke durch den Suezkanal oder das Kap der Guten Hoffnung um ein Vielfaches. Das wird vor allem Chinas Seewege nach Europa entscheidend verkürzen. 

Im Oktober 1987 legte Michail Gorbatschow durch eine Rede in Murmansk mitten im Kalten Krieg den Grundstein für mehr als drei Jahrzehnte friedlicher Zusammenarbeit in der Arktis. „Möge der Nordpol zum Pol des Friedens werden“, verkündete er. So entstand der Mythos der „arktischen Ausnahme“, eine Idee, nach welcher der hohe Norden eine Zone sei, in der Störungen von außen die Zusammenarbeit zwischen den Anrainerstaaten niemals beeinträchtigen würden.

In diesem Sinne wurde 1996 der Arktische Rat gegründet. Dieses zwischenstaatliche Forum sollte „die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der nachhaltigen Entwicklung in der Region“ fördern. Militärische Fragen wurden dabei ausgeklammert.

Bis vor Kurzem konnte nichts diese „arktische Ausnahme“ erschüttern. Der Schock des Ukrainekriegs beendete die arktische Ausnahme. Anfang März verurteilten die Mitgliedstaaten des Arktischen Rates (außer Russland) in einer gemeinsamen Erklärung die Invasion in der Ukraine. Russland besitzt 53 Prozent der arktischen Küstenlinie und bleibt die dominierende Macht in dieser Region, die besonders anfällig für den Klimawandel ist. Damit ist der Arktische Rat, der für seine Entscheidungen Einstimmigkeit erfordert, gelähmt. 

Mit dem bevorstehenden Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO sind alle Mitgliedstaaten des Arktischen Rates mit Ausnahme Russlands NATO-Mitglieder. Moskau hat bereits vorgesorgt, indem Russland in den vergangenen Jahren in der Arktis mehrere Militärposten aus der Zeit des Kalten Krieges wiedereröffnet hat, wo es ballistische Hyperschallraketen und nukleare Torpedos testet. Darüber hinaus führte Russland wie die NATO vermehrt Militärübungen in der Arktis durch. Die fortschreitende Eisschmelze wird die natürlichen Verteidigungsanlagen der arktischen Staaten beseitigen und neue Seerouten eröffnen, um die es neue Streitpunkte geben wird. 

Laut einer Studie des US Geological Survey von 2008 beherbergt die Region 

13 Prozent der weltweiten Ölreserven und 30 Prozent der weltweiten Gasreserven. Ihr Untergrund ist außerdem reich an Seltenen Erden, jenen Metallen, die für die Herstellung von Hochleistungsprodukten verwendet werden. Als der Arktische Rat ankündigte, die Zusammenarbeit mit Russland vorübergehend einzustellen, nahm Moskau dies zur Kenntnis und machte deutlich, dass es seine Programme zur wirtschaftlichen Entwicklung in der Region fortsetzen will. Für Russland ist die finanzielle und wirtschaftliche Ausbeutung der Arktis entscheidend, Umweltfragen spielen dabei keine Rolle.