19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 32-22 vom 12. August 2022 / Kolumne / Warum Peking Taiwan will

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-22 vom 12. August 2022

Kolumne
Warum Peking Taiwan will
Florian Stumfall

Dass die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, mit ihrer unnötigen Reise nach Taiwan mutwillig Öl ins Feuer gegossen hat, kann man nicht bestreiten. Sie tat das in einer Zeit, die ohnehin allzu sehr von Konflikten gekennzeichnet ist. Dabei überdeckt der Krieg in der Ukraine eine erkleckliche Anzahl von weiteren Schlachtfeldern – in Mali, in Syrien oder auch im Jemen, um nur drei zu nennen, alle mit westlicher Beteiligung, wie viele andere auch.

Daher muss die Welt Peking nachgerade dankbar sein, dass die dortige Regierung ungeachtet ihrer militärischen Drohkulisse, die auch nach dem Besuch noch anhielt, jedenfalls zunächst im Ganzen doch besonnen auf die Provokation reagiert hat. Doch ganz kostenlos lassen die chinesischen Kommunisten den USA die Sache doch nicht durchgehen. Dass als Erstes Sanktionen gegen Pelosi und ihre Familie ergangen sind, mag man hinnehmen – das hat mehr symbolischen Charakter ohne weitere Folgen. Anders verhält es sich indes mit einer Reihe von Projekten, die zwischen Peking und Washington betrieben worden waren und nun aufgekündigt wurden.

Es geht dabei unter anderem um die Zusammenarbeit beim „Klimaschutz“, Fragen der internationalen Strafverfolgung, der illegalen Migration, der Drogenbekämpfung und vor allem der Sicherheitspolitik. Dies letztere hat bereits eine konkrete Folge: Dem Vernehmen nach weigern sich hohe Militärs im Pekinger Verteidigungsministerium, Anrufe ihrer US-Kollegen wegen der anhaltenden Manöver um Taiwan überhaupt entgegenzunehmen.

Mutwillig Öl ins Feuer gegossen

Ungeachtet des Auslösers der jetzigen Krise, nämlich Pelosis Besuch in Taipeh, gereicht die ganze Entwicklung dem politische-medialen Komplex im Westen zur erneuten und verschärften Empörung gegen Peking und die dortigen Machthaber. Betrachtet man aber den Zusammenhang mit etwas weniger Gefühlskraft und mehr Sachkenntnis, so stößt man auf eine eigenartige Lage, die darzustellen einen kleinen Rückgriff in die Zeitgeschichte erfordert.

Als im Jahr 1949 der Gegenspieler von Mao Tse-tung im chinesischen Bürgerkrieg, der nachmalige Präsident von Nationalchina, Tschiang Kai-schek, mit seiner Kuomintang vor dem Sieger weichen musste und nach Taiwan ging, war für den Westen zunächst er mit seiner Regierung ihr Ansprechpartner für chinesische Belange. Das änderte sich im Jahre 1971, als die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 2758 beschloss, die eine neue Epoche nicht nur in der chinesischen Geschichte einläutete.

Die entscheidende Feststellung der Resolution war diejenige, dass die UN-Vollversammlung beschließe, „all die Rechte der Volksrepublik China wiederherzustellen und die Vertreter ihrer Regierung als die einzigen legitimierten Vertreter Chinas in den Vereinten Nationen anzuerkennen und von nun an die Vertreter Tschiang Kai-scheks von dem Sitz zu weisen, den sie zu Unrecht in den Vereinten Nationen und all ihren Organisationen einnehmen“. 

Wie man erkannt haben wollte, worin die Widerrechtlichkeit von Taiwans Mitgliedschaft in den UN beruht, wurde nicht ausgeführt. Immerhin war der Staat seit 1949 ständiges Mitglied auch des UN-Sicherheitsrates. Die Umwälzung der chinesischen Belange bei den UN nennt man heute noch die Ein-China-Politik. Fast 60 Prozent der Mitglieder der Vollversammlung haben der Resolution zugestimmt, nicht aber die USA, die oft internationalen Verträgen fernbleiben, auf die sie sich bei Bedarf später gerne berufen.

Die heute vom Westen zwar ungewollte, aber unabweisbar gültige Folge der Ein-China-Politik ist, dass auf dem Papier, von den UN anerkannt, Taiwan zu Festlandchina gehört. Allerdings kann Peking seinen Anspruch bei Berücksichtigung der Kräfteverhältnisse im Pazifischen Raum derzeit nicht wahrnehmen. Die USA nämlich garantieren Taiwans Unantastbarkeit, die sie selbst nie befürwortet und unterzeichnet, allerdings auch nie bestritten haben. Auch so kann man einen Konflikt zuverlässig verewigen. Niemand weiß, wie lange die Lunte am chinesisch-chinesischen Pulverfass ist.

Weiter Rückgriff in die Geschichte

Für die Chinesen auf dem Festland aber hat die Flucht der Kuomintang anno 1949 nach Taiwan eine zusätzliche Bedeutung, die für den geschichtsvergessenen Westen gar nicht erkennbar ist. Diese aber darzustellen, bedarf es eines etwas weiteren Rückgriffs in die Geschichte. Im Jahr 1279 nämlich ergriff der Enkel von Dschingis Khan, Kublai Khan, die Macht in China und gründete die mongolische Yuan-Dynastie, die bis zum Jahr 1368 Bestand haben sollte. Für die stolzen Han-Chinesen bedeutete die fast hundertjährige Fremdherrschaft eine untilgbare Schmach, vergleichbar mit der kolonialen Unterdrückung durch europäische Mächte im 20. Jahrhundert.

Als endlich eine große Rebellion den ersten Kaiser der Ming-Dynastie, Hong wu, hervorbrachte, herrschte in Peking endlich wieder die Würde des reinen Han-Blutes, und die nationale Kränkung war vorüber, wenn sie auch in der Erinnerung weiterlebte. Doch dann, rund 300 Jahre darauf, kam die nächste Katastrophe. Das tungusische Volk der Mandschuren überrannte China und gründete 1644 die Qing- oder Mandschu-Dynastie.

Der unterlegene Feldherr Zheng floh mit 35.000 Mann auf 400 Dschunken nach Taiwan und errichtete dort die wahre, die einzig chinesische Regierung des reinen Han-Blutes, die Macht der Legalisten, welche das Erbe nicht nur der Ming, sondern von bald 2000 Jahren Geschichte weitertrugen. Mit der Flucht des Tschiang Kai-schek nach Taiwan trat dieser in die Tradition der Ming-Legalisten, denn die Mandschu regierten Festlandchina bis zur Revolution des Sun Yat-sen im Jahr 1911.

Für China bedeutet seither in einem doppelten Bezug, weil an zwei Beispielen abzulesen, der Besitz von Taiwan den Nachweis der Rechtmäßigkeit der Herrschaft in Peking und des Erbrechts der chinesischen Tradition. Die Ming-Dynastie ist daher für China mehr als eine kulturelle Blüte mit feinem Porzellan, und Taiwan gehört unauflöslich mit dazu. So die Sicht Pekings. Wer sie in die eigene einbezieht, tut gut daran.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.