20.04.2024

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Folge 33-22 vom 19. August 2022 / Westeuropa / Wilhelm I. nahm die Benelux-Union vorweg / Der Oranier war Herrscher über das Territorium der heute eigenständigen Staaten Niederlande, Belgien und Luxemburg. Vor einem Vierteljahrtausend wurde der König und Großherzog in Den Haag geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-22 vom 19. August 2022

Westeuropa
Wilhelm I. nahm die Benelux-Union vorweg
Der Oranier war Herrscher über das Territorium der heute eigenständigen Staaten Niederlande, Belgien und Luxemburg. Vor einem Vierteljahrtausend wurde der König und Großherzog in Den Haag geboren
Manuel Ruoff

Es gibt ein wundervolles Aperçu: Frankreich sei eine Monarchie mit einem Präsidenten und die Niederlande seien eine Republik mit einem König. Bezüglich Frankreich äußerte sich der deutsch-französische Journalist, Sachbuchautor und Publizist Peter Scholl-Latour im Grunde ähnlich, wenn er – sinngemäß – die Verfassung der Fünften Republik als passend für die Grande Nation lobte mit der Begründung, sie biete den Franzosen einen Ersatzmonarchen als Staatsoberhaupt mit der Möglichkeit, diesen alle paar Jahre legal zu stürzen.

Auch hinsichtlich der Niederlande ist das Aperçu stimmig. Diese haben eine lange republikanische Tradition und sind in der frühen Neuzeit als Republik souverän geworden. 1581 erklärten die Generalstaaten ihre Unabhängigkeit, 1648 wurde diese nach dem Dreißigjährigen Krieg im Westfälischen Frieden anerkannt.

1795 verloren die Niederlande faktisch ihre Souveränität. Sie wurden ein französischer Marionettenstaat. 1810 wurden sie auch formal von Frankreich annektiert. 

Nach der Niederlage des napoleonischen Frankreich in den Befreiungskriegen wurde Europa neu geordnet. Das dabei zumindest offiziell vorherrschende Prinzip war die Restauration, die Wiederherstellung der Zustände vor dem Ausbruch der Französischen Revolution, als deren Kind Napoleon galt. Es wurde allerdings nicht die niederländische Republik wiederhergestellt. Zu verhasst war den Neuordnern Europas mit dem österreichischen Staatskanzler Clemens von Metternich an der Spitze die Idee der Republik, der Sache des Volkes, war doch die Französische Republik wie Napoleon ein Kind der Französischen Revolution. Also wurden die Niederlande als Fürstentum wiederhergestellt. 

Wenigstens bei der Frage des Herrschers wurde auf die vorrevolutionären Zustände zurückgegriffen. Die Niederlande waren zwar eine Republik gewesen, aber das Amt des Staatsoberhauptes, des Statthalters, war ab Mitte des 18. Jahrhunderts erblich gewesen. Letzter Statthalter war der Oranier Wilhelm V. gewesen. Der war zwar bereits 1806 gestorben, hatte allerdings mit seiner Ehefrau Wilhelmine von Preußen, Tochter des Prinzen August Wilhelm von Preußen und Enkelin des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., außer Friederike Luise Wilhelmine auch diverse Söhne. Der erste lebte nur einen Tag, der zweite war eine Totgeburt, aber der dritte lebte nach der Befreiung der Niederlande von der französischen Fremdherrschaft noch. Es war der vor einem Vierteljahrtausend, am 24. August 1772, geborene Prinz Wilhelm Friedrich. Er wurde nun 1813 Souveräner Fürst der Niederlande.

Englands Bollwerk gegen Frankreich

Der Wiener Kongress von 1814/15, auf dem die Neuordnung Europas abgeschlossen und international abgesegnet wurde, führte zu einer beachtlichen Aufwertung des Fürsten. Das lag nicht zuletzt an Großbritannien. In London gehörte es zur Staatsräson zu verhindern, dass die der Themsemündung gegenüberliegende Küste des europäischen Kontinents in die Hand einer seefahrenden Großmacht gelangte. 

Von daher war Großbritannien an einer Wiederherstellung der Österreichischen Niederlande interessiert, denn das damalige Österreich gehörte zu den Großmächten, aber nicht zu den seefahrenden. Die Landmacht schien in der Lage, ihr Territorium zu Lande gegen einen französischen Nachbarn zu verteidigen, aber außerstande, Großbritannien im Ärmelkanal gefährlich zu werden. Der österreichische Kaiser wollte allerdings die schwer zu verteidigenden Exklaven nicht zurück und strebte stattdessen eine Arrondierung des Kerngebietes an, wozu es dann auch tatsächlich kam.

Es musste also eine andere Lösung her. Gegen eine Entlassung der Österreichischen Niederlande in die Unabhängigkeit sprach, dass ein derartiger Kleinstaat kaum in der Lage schien, sich dem Drang der seefahrenden Großmacht Frankreich an den Rhein, den sie wie die Pyrenäen im Süden als ihre natürliche Grenze betrachtete, in den Weg zu stellen. Die Lösung bestand schließlich darin, das Gebiet dem nördlichen Nachbarn zuzuschlagen, das heutige Belgien direkt und das 1815 neu geschaffene Großherzogtum Luxemburg indirekt über eine Personalunion. 

Damit einher ging eine protokollarische Aufwertung Wilhelms I. Aus dem Souveränen Fürsten der Niederlande wurde 1815 der erste König der Vereinigten Niederlande und zusätzlich der erste Großfürst des zum Deutschen Bund gehörenden Luxemburg. Mit der Vereinigung des Territoriums der heutigen souveränen Staaten Königreich der Niederlande, Königreich Belgien und Großherzogtum Luxemburg in seiner Hand nahm Wilhelm I. 1815 die seit 1958 bestehende heutige Benelux-Union voraus, ging über sie sogar hinaus, haben die Benelux-Staaten doch drei unterschiedliche Staatsoberhäupter und nicht nur eines.

Verlust Belgiens und des Throns

Allerdings verlor Wilhelm I. erst Belgien und dann auch noch seinen Thron. Ganz im Sinne des südlichen Nachbarn, des katholischen Frankreich, kam es in den Vereinigten Niederlanden zu einem Nord-Süd-Konflikt. Der katholische Süden fühlte sich durch den protestantischen Norden religiös, politisch und wirtschaftlich benachteiligt. Das Ergebnis waren 1830 die Belgische Revolution und die Abspaltung Belgiens. Großbritannien arrangierte sich damit, weil das neu geschaffene Königreich neutralisiert und dessen Unabhängigkeit international anerkannt wurde.

Doch auch im Norden rumorte es. Wilhelm zeigte sich reformunwillig. Hinzu kam, dass er nach dem Tod seiner ersten Ehefrau Wilhelmine von Preußen, Tochter des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm II., im Jahre 1837 deren Hofdame, die Gräfin Henriëtte d’Oultremont de Wégimont, heiraten wollte. Die „Jetje Dondermond“ (kleine Henriette Donnermund), so ihr Spottname, galt als nicht ebenbürtig und war katholisch. Wilhelm I. dankte 1840 zugunsten seines ältesten Sohnes Wilhelm II. ab und ging nach Berlin ins Exil, wo er im Folgejahr die Gräfin heiratete und am 12. Dezember 1843 verstarb.