19.04.2024

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Folge 33-22 vom 19. August 2022 / Der Wochenrückblick / Bis es dunkel wird / Wie Habecks Staatssekretär an sein Überwissen gelangt, und was „europäische Solidarität“ bedeutet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-22 vom 19. August 2022

Der Wochenrückblick
Bis es dunkel wird
Wie Habecks Staatssekretär an sein Überwissen gelangt, und was „europäische Solidarität“ bedeutet
Hans Heckel

Bumm, aus! Plötzlich ist der Bildschirm schwarz. Auch die Anzeige auf dem Telefon ist blank, der Hörer schweigt. „Stromausfall!“ tönt es durch die Etagen. Klasse! Und das kurz vor Produktionsschluss der Zeitung. Sofort macht das Wort vom „Vorgeschmack auf den Winter“ die Runde. Kann ja heiter werden ... 

Immerhin, die Rechner können schnell wieder hochgefahren werden, die Telefonanlage benötigt ein bisschen länger. Die Befürchtung, in den Programmen könnte etwas kaputtgegangen sein, bewahrheitet sich zum Glück nicht. Trotzdem bleibt die Rede vom „Vorgeschmack“ im Kopf hängen. Was da wohl auf uns zukommt, wenn so ein Ausfall mal richtig lange dauert?

Ach was, da passiert schon nichts, weiß Patrick Graichen, der es wissen muss. Graichen ist nämlich Staatssekretär in Robert Habecks Wirtschaftsministerium und dort zuständig für die Energiewende. Daher muss er es wissen. Er weiß sogar Sachen, von denen die altbackenen Experten aus der Industrie und der Energie-Branche keinen Schimmer haben. Toller Mann also. Wie er an sein Überwissen gelangt ist, erklärt uns Graichen im Fernsehen.

Es ist nämlich alles nur eine Frage des richtigen Standpunkts. Er rede ja ständig mit den Netzbetreibern. Und dabei hat Graichen festgestellt, dass das „eine konservative Branche“ sei, deren „Mindset“ auf der „sehr sicherheitsorientierten Seite“ verortet sei, was er offensichtlich für einen schweren Fehler hält. Er selbst gehe da völlig anders ran, weshalb die Energiewende ganz sicher gelingen werde: „Natürlich schaffen wir das – weil wir den richtigen Mindset haben.“

„Mindset“ heißt eigentlich nichts weiter als „Denkweise“, aber in der englischen Version klingt das in den Ohren von Leuten wie Graichen eben viel flotter, irgendwie nach Börsensprache. Da hatten wir auch schon mal eine Generation von Experten, die sich komplett von der „konservativen“ Welt der alten Anleger und Unternehmer lossagten und die überkommenen Grundsätze von Soll und Haben, von Gewinn und Verlust auf den Müllhaufen der Geschichte warfen, um mit Vollgas in die „New Economy“ zu starten. Im Frühjahr 2000 machte es dann „Peng!“, die „Dotcom-Blase“ war geplatzt und Millionen von Investoren gerupft.

Aber bis dahin lief alles ganz toll. Plötzlich schienen Sachen möglich, die sich vorher niemand hatte vorstellen können. Bei Graichens „Mindset“ ist das nicht anders. So empfiehlt er der Großindustrie, sich mit Notstrom-Aggregaten auszurüsten, um im Falle eines Stromausfalls weiterproduzieren zu können. Der Energie-Experte und Professor an der Cottbusser Uni Harald Schwarz fasst sich an den Kopf: In der September-Ausgabe von „Tichys Einblick“ rechnet er vor: „Die Industrie verbraucht etwa zehn bis zu 20 Gigawatt. Handelsübliche Notstromaggregate in der Größe eines Lkw­-Anhängers haben eine Kapazität von einem halben bis einem Megawatt.“ Die Industriebetriebe mit Notstromaggregaten am Laufen halten zu wollen, sei daher „völlig jenseits dessen, was überhaupt irgendwie machbar ist“.

Dieser Kerl hat ganz offensichtlich den falschen „Mindset“. Was aber, wenn er recht behält und die Energiewende tatsächlich im Fiasko endet? Dafür haben Habeck, Graichen und all die anderen schon vorgesorgt. Sie kommen schließlich aus der grünen, also sehr linken Ecke, und dort hat man große Erfahrung mit dem Überstehen von selbstverantworteten Katastrophen.

Niemand wird etwas eingestehen

Immer, wenn ein sozialistisches Experiment in die Hose gegangen ist, wurden zwei Gründe dafür aus der Jakobinermütze gezaubert: Entweder hat der Klassenfeind erfolgreich sabotiert, oder der „Mindset“ (früher sagte man „Klassenstandpunkt“) der werktätigen Massen war eben nicht fest genug: „Die Menschen waren halt noch nicht so weit.“ Nur die große Idee und erst recht die weisen Anführer und Ideologen der Bewegung hatten selbstverständlich goldrichtig gelegen, auch wenn sie gescheitert sind.

Soll also niemand darauf hoffen, dass Habeck und Co. dereinst reumütig zu Kreuze kriechen und zerknirscht ihre Fehler eingestehen, wenn ihr verrücktes Experiment kollabiert ist, wir im Dunkeln frieren und die Grundlage unseres Wohlstands in Scherben liegt. Schuld werden wir sein, die Bürger, mit uns die Industrie, der verhasste Mittelstand und Putin natürlich.

Um auf ihrer Flucht vor der Verantwortung auch ganz sicher zu gehen, werden uns der Wirtschaftsminister und sein Staatssekretär in der Stunde der Not zudem auffordern, fest zusammenzustehen und „gemeinsam in die Zukunft zu blicken“. Politiker wollen immer „in die Zukunft blicken“, wenn der Blick in die Vergangenheit ihr Versagen enthüllt. Und die Aufforderung „gemeinsam“ zu blicken ist nichts anderes als der Befehl, dass keiner aus der Reihe tanzt und die Regierung anklagt. Auch das lernen wir ja schon seit Jahren: Opposition ist „Spaltung“ und Kritik an der Regierung ist „Hetze“.

Ahnend, dass es eng wird, betteln die Ampelkoalitionäre seit Monaten um Hilfe im Ausland. Katar hat bereits abgewinkt. Und unsere europäischen Freunde? Da könnte es interessant werden. Wir fragen uns seit Jahrzehnten, wie es wohl weitergeht mit der „europäischen Solidarität“, wenn Deutschland mal nicht mehr der große Geber ist, sondern selbst Unterstützung benötigt. Uns trieb dabei die düstere Ahnung, dass wir in dem Falle eine recht enttäuschende Antwort zu verkraften hätten. Die legendäre britische Premierministerin Margret Thatcher soll ja gesagt haben: „Die EU ist am Ende, wenn Deutschland nicht mehr zahlen kann.“ 

Weiter vorne in dieser Zeitung haben Sie die Meldung vielleicht schon gelesen, dass Polen für die Lieferung von Energie Reparationszahlungen von Deutschland fordert. Und eine Entschuldigung für Nord Stream 2. So lautet die Antwort auf unsere Ahnung. Indes: Reparationszahlungen? Was kosten Ostpommern, Schlesien, Süd-Ostpreußen und so weiter wohl in Euro gemessen? Man dürfte in der gesamten Menschheitsgeschichte keine „Reparationszahlung“ finden, die nur annähernd an diesen Wert heranreicht.

Treffend kontern können unsere europäischen Partner indes damit, dass sich die Deutschen schließlich freiwillig in die „dümmste Energiepolitik der Welt“ („Wall Street Journal“ 2019) gestürzt hätten. Allerdings haben die griechische Misswirtschaft oder den spanischen Immobilienrausch auch die jeweiligen Völker eigenhändig angerichtet, was sie nicht daran gehindert hat, deutsche Solidarität einzufordern. Seitdem schlittern wir immer tiefer in den Sumpf der europäischen Gemeinschaftsschulden.

Aber selbst, wenn die „Freunde“ uns helfen wollten: Deutschland ist einfach zu groß, um von seinen Nachbarn aus der energiepolitischen Patsche gezogen zu werden. So können wir nur weiter tapfer an unserem „Mindset“ schrauben und abwarten, bis der Bildschirm wieder dunkel wird, und zwar schon bald für länger als ein paar Sekunden.