20.04.2024

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Folge 34-22 vom 26. August 2022 / Irrsinniges Zutrauen / Obwohl der Staat längst Mühe hat, seine bestehenden Aufgaben zu erfüllen, wächst der Glaube an seine Allmacht und Problemlösungskompetenz. Über die Mentalität einer Gesellschaft, die längst auf dem Weg in eine neue Form des Sozialismus ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-22 vom 26. August 2022

Irrsinniges Zutrauen
Obwohl der Staat längst Mühe hat, seine bestehenden Aufgaben zu erfüllen, wächst der Glaube an seine Allmacht und Problemlösungskompetenz. Über die Mentalität einer Gesellschaft, die längst auf dem Weg in eine neue Form des Sozialismus ist
Reinhard Mohr

„Denn wir leben im Dauerzustand der 

Katastrophe, und wenn wir uns auch vor der dunklen Wolke fürchten, die über uns hängt, 

so ist die Furcht doch auch mit einem 

heimlichen Vergnügen vermischt …. 

Die Geschwätzigkeit der westlichen Welt 

sorgt schon dafür, dass jede Untergangs-

möglichkeit gehörig ausgemalt wird.“ 

Friedrich Sieburg, „Die Lust am Untergang“, 1954


Augenblick mal! Wurde uns nicht gerade noch von der Ampel-Regierung ein „klimaneutrales Deutschland“ versprochen, ohne Kohle, Gas, Öl und Atomkraft, nur mit angeblich „sauberen, regenerativen“ Energien wie Sonne und Wind, die auch noch einen neuen Wirtschaftsboom auslösen würden? Motto: Die ökologische Friedensmacht Deutschland zeigt der Welt, wie es geht?! Wenn nicht wir, wer dann?!

Jetzt aber spottet die halbe Welt über uns, während wir von Katar bis Kanada um Öl und Gas betteln, schmutzige Kohlekraftwerke wieder anwerfen, in aller Eile „LNG-Terminals“ zum Empfang von Flüssiggas aufbauen, eine „Gasumlage“ aufs Auge gedrückt bekommen, massive Strompreiserhöhungen ins Haus flattern und die übrige Inflation an der Zehn-Prozent-Marke kratzt. 

„Entlastungspakete“ gegen 

den „Wut-Winter“

Plötzlich grassiert die Angst vor einem „Wut-Winter“, gar einem „Volksaufstand“ angesichts der galoppierenden Lebenshaltungskosten. AfD und Linkspartei drohen mit neuen „Montagsdemonstrationen“. So werden eilig immer neue „Entlastungspakete“ geschnürt, „Rettungsschirme“ aufgespannt und unermüdlich weitere Phrasen für das regierungsamtliche Bemühen erfunden, möglichst alle negativen Entwicklungen „abzufedern“.

So weh es im Augenblick tut – der Preis ist ein unverzichtbares, realistisches Signal für Knappheit und Überfluss, Menge und Qualität, ein ökonomisches Fieberthermometer. Die Temperatur mit Gewalt herunterzudrücken, so wie es alle kommunistischen Regime mit staatlich festgesetzten Höchstpreisen getan haben, ist am Ende ruinös für die gesamte Wirtschaft. Das gilt übrigens auch an den Finanzmärkten, die die Europäische Zentralbank mit ihren horrenden Ankäufen von Staatsanleihen hoch verschuldeter Staaten wie Italien und Griechenland manipuliert hat. Die EZB war es auch, die die Inflationsrisiken stets kleinredete.

„You’ll never walk alone!“ verspricht der Bundeskanzler nun, wie stets schlumpfig grinsend. Niemand soll mit den Problemen alleingelassen werden, sagt der Mann, der gerade selbst genug Probleme am Hals hat. Vom „Tankrabatt“ bis zum „9-Euro-Ticket“, von einer „Strompreisbremse“ bis zum „Gaspreisdeckel“ ist schier alles im Angebot. Öffentliche Gebäude werden nachts nicht mehr angestrahlt, drinnen sollen für die Heizperiode Maximaltemperaturen von 18 Grad gelten, der Warmbadetag im Hallenbad wird gestrichen, Leuchtreklame verboten. Die Älteren kennen das noch als „Verdunkelung“ vor alliierten Bombenangriffen.

Politische Vorgaben, soziale Kontrolle

Dazu kommen jede Menge Verhaltenstipps von höchster Stelle: Schneller duschen mit Robert Habeck, am besten unter drei Minuten, ist nur einer von vielen. Und: Bitte nur kaltes Wasser im Handwaschbecken! Die soziale Kontrolle – vom mittäglichen Rasensprengen in der Kleingartenanlage bis zum stromintensiven Heizstrahler in Nachbars Wohnung – wird immer dichter, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis allabendlich nach „Tagesschau“ und „heute“-Nachrichten der Tagestipp zum Energieeinsparen folgt – in seligem Andenken an die Verkehrserziehungsserie der 60er und 70er Jahre: „Der siebte Sinn“. Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann empfiehlt jetzt schon die Wiederentdeckung des guten alten Waschlappens. Für die Hightech-Nation Deutschland, den langjährigen Exportweltmeister, sind diese Ratschläge aus dem Geist von „Kehrwoche“ und „schwäbischer Hausfrau“ ein peinliches Menetekel.

Gewiss, Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine mit all seinen Folgen konnte niemand voraussehen, aber wie unter einem Brennglas zeigt sich nun Zweierlei: Wie unvorbereitet, ja naiv, die deutsche Politik angesichts schwerer Krisen ist – und, paradox genug, wie groß zugleich die Staatsgläubigkeit ist, die schier grenzenlose Anspruchshaltung an die Politik, der am rechten und linken Rand im selben Atemzug oft pure Verachtung entgegenschlägt. Dazu gesellt sich eine medial angefachte Hysterie, als stünden wir vor einem Hungerwinter wie 1946/47.

Staatsgläubige Vollkaskomentalität

Unbestreitbar hat sich in den letzten Jahrzehnten – Spiegelbild der berüchtigten „German Angst“ – eine Vollkaskomentalität entwickelt, die allgemeine und von den Medien bestärkte Erwartung also, dass der Staat letztlich für alle Lebensrisiken aufkommen muss. So wird der alljährliche Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, einer mächtigen Lobbyorganisation, regelmäßig wie ein Apostelbrief des Paulus behandelt, der weithin unkritische Verbreitung findet. Dabei ist die interessengeleitete Botschaft immer die gleiche: Die Armut wächst, und die Schere zwischen arm und reich geht immer weiter auseinander. Also muss immer noch mehr „Geld in die Hand genommen werden“, wie die wohlfeile Standardfloskel lautet.

Jenseits fragwürdiger statistischer Effekte – bei wachsendem Wohlstand erhöht sich eben auch die Schwelle, ab der man als „arm“ gilt – bleibt ein politisches Rätsel: Noch nie waren die Sozialausgaben so hoch wie 2022. Allein im Bundesetat sind dafür 161 Milliarden Euro vorgesehen, ein Drittel des gesamten Etats. Auch im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt machen die gesamten Aufwendungen von Bund, Ländern und Kommunen, von der Pflege übers Wohngeld bis zum Asylbewerberleistungsgesetz, mehr als dreißig Prozent aus, die höchste Sozialquote seit Bestehen der Bundesrepublik – 1,1 Billionen Euro. 

Noch nicht enthalten sind darin milliardenschwere Pensionsrückstellungen für Beamte und versteckte Schuldentitel, von der riesigen Schuldenaufnahme im Rahmen der unzähligen EU- und Euro-Transferleistungen zu schweigen. Die Staatsquote, der öffentliche Anteil am Bruttosozialprodukt, bewegt sich inzwischen auf die 50 Prozent zu. Zum Vergleich: In der alles andere als bitterarmen Schweiz sind es weniger als 35 Prozent.

Wo der Staat überall versagt

Was schon während der Corona-Pandemie sichtbar wurde, offenbart sich nun noch deutlicher: Eine Mischung aus überbordender, ineffektiver Bürokratie, kleinteiliger Regelungswut mit voraussehbarem Chaosfaktor und einem sich plötzlich ziemlich autoritär gebärdendem Selbstbewusstsein, der Staat wisse am besten, was in der Krise zu tun sei.

Dabei zeigen die Fakten, dass gerade der Staat allzu oft versagt, wenn es um die strategische Ausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft geht, jedenfalls da, wo er sich mit seinen großspurigen Zukunftsplänen übernimmt, ob in der Bildungspolitik, bei Digitalisierung und Energiepolitik – Stichwort übereilter Atomausstieg, einseitige Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen –, den strukturellen Mängeln bei Bahn- und Flugverkehr (siehe das Dauerdesaster des Hauptstadtflughafens) oder bei der Katastrophenvorsorge, Beispiel Ahrtalflut. 

Der flächendeckende Betrug mit falschen Coronatest-Abrechnungen hat exemplarisch ein Grundproblem der wachsenden Staatswirtschaft veranschaulicht: Je mehr Milliarden über Transferleistungen de facto unkontrolliert durch die Republik flottieren, je häufiger das Geld aus großen Töpfen gleichsam auf der Straße liegt, desto leichter fällt es kriminellen Banden – immer vorne dabei: arabischstämmige Clans –, einen großen Teil davon in die eigenen Taschen zu lenken. Hubertus Heils neues „Bürgergeld“ ab 2023 ist dann nur noch ein schönes Zubrot aus dem Staatssäckel.

So richtig es ist, dass der Staat im äußersten Notfall auch massiv eingreift wie in der Weltfinanz- und in der Coronakrise, so falsch ist es, daraus einen Dauerzustand zu machen und endgültig auf die schiefe Bahn eines halbgaren steuerfinanzierten Pseudosozialismus zu geraten, der die Illusion verbreitet, eine Art paternalistische Planwirtschaft 3.0 könne alle Probleme lösen. 

Zuviel Geld für Untätigkeit

Denn es wird immer klarer, dass insgesamt zu viel Geld in Nichtarbeit investiert wird und zu wenig in Arbeit und Produktivität, zu viel in unproduktiven Konsum und zu wenig in die Dynamik zukünftiger Märkte. Händeringend werden Hunderttausende Auszubildende und Arbeitskräfte gesucht, während in ähnlicher Zahl gesunde, arbeitsfähige Menschen mit und ohne Migrationshintergrund dauerhaft Sozialleistungen beziehen – und das in einem gerade sehr attraktiven „Arbeitnehmermarkt“ mit steigenden Löhnen.

Könnte es sein, dass die Anreize zur Arbeit derweil zu gering sind, die Idee von Eigenverantwortung, sozialem Aufstieg und Leistungswillen aber inzwischen zu schwach geworden ist in Zeiten von „Work-Life-Balance“, ziellosen Bachelor-Studiengängen und eines allzuständigen Sozialstaats? Inzwischen gilt ja schon als moralisch anrüchig, dass Leute, die mehr verdienen und daher mehr Einkommenssteuer zahlen als Zeitgenossen, die gar keine Steuern zahlen, von einer entsprechenden Entlastung nominell auch mehr profitieren. Schleicht sich da womöglich der Gedanke ein, dass es eigentlich gar keine Einkommensunterschiede mehr geben sollte? 

Auch die Debatte über eine „Übergewinnsteuer“ folgt der Auffassung, man könne die noch zu tolerierende Höhe von Gehältern und Profiten, am besten weltweit, von Staats wegen nach einheitlichen rationalen Kriterien festlegen. Müsste man dann nicht aber auch eine „Untergewinnsteuer“ einführen, die, je nach Branche und Umsatz, das Höchstmaß an Jahresverlusten eines Unternehmens definiert und bei Überschreitung das Minus mit Steuermitteln ausgleicht? Vielleicht in einem Jahr so, im andern so, organisiert von einer dreißigköpfigen Gewinnermittlungskommission in memoriam Patricia Schlesinger nach dem Vorbild des rbb-Verwaltungsrats?

Immer neue „Gerechtigkeitslücken“

Nein, man muss kein kaltherziger „Neoliberaler“ und kein zynischer „Marktradikaler“ sein, um dieses systematische Aushebeln der Markt-Preis-Mechanik für gefährlich zu halten, denn es zieht immer neue „Ausgleichsmaßnahmen“ im Namen angeblicher Gerechtigkeit nach sich. Doch schon die letzten Jahre haben gezeigt, dass „soziale Maßnahmen“ wie Mütterrente und Rente mit 63 immer neue „Gerechtigkeitslücken“ an anderer Stelle aufreißen, die im nächsten Durchgang wieder mühselig – und teuer – geschlossen werden müssen. 

Charakteristisch für diese fatale Logik, die Regeln der Marktwirtschaft immer häufiger außer Kraft zu setzen, ist auch die populäre Forderung nach Verlängerung des 9-Euro-Tickets, das letztlich eine dreimonatige Geschenk- und Gratisaktion war, die nebenbei die zahlreichen Mängel der überforderten Bahn-Infrastruktur offenbart hat. Statt diese möglichst rasch zu beheben, folgen nicht wenige aus dem rotgrünen Milieu der Kinderlogik, es sei ja immer genug Geld da – wie der Strom, der aus der Steckdose kommt. 

Doch wie die aktuelle Energiekrise zeigt, kann das ein fataler Irrtum sein. 

b Reinhard Mohr schreibt unter anderem für „Die Welt“ und „Neue Zürcher Zeitung“. 

Zuletzt erschien „Deutschland zwischen 

Größenwahn und Selbstverleugnung. Warum es keine Mitte mehr gibt“ (Europa Verlag 2021). 

www.europa-verlag.com