26.04.2024

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Folge 34-22 vom 26. August 2022 / Russland / Soldaten-Familien begehren auf / Putin zunehmend unter Druck – Unmut über den Ukrainekrieg selbst bei Eliten und Kriegsbefürwortern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-22 vom 26. August 2022

Russland
Soldaten-Familien begehren auf
Putin zunehmend unter Druck – Unmut über den Ukrainekrieg selbst bei Eliten und Kriegsbefürwortern
Manuela Rosenthal-Kappi

Der Mordanschlag auf Darja Dugina, einer eifrigen Befürworterin des Ukrainekriegs und Tochter von Putins rechtsnationalem Ideengeber Alexander Dugin, hat blankes Entsetzen bei Putins Kriegspropagandisten ausgelöst. Die Explosion eines Sprengsatzes am Auto der 29-Jährigen am Rande Moskaus löst viele Spekulationen aus und zerstört – ebenso wie die jüngsten Explosionen auf der Halbinsel Krim, einem beliebten Urlaubsort der Russen – die Illusion, dass der Krieg weit entfernt sei. Der Anschlag wirft zudem ein negatives Licht auf die Moskauer Sicherheitsbehörden. Er könnte bereits bestehende Spannungen in der Gesellschaft verschärfen.

Zunehmend gerät Präsident Wladimir Putin unter Druck: Seine „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine hat nicht den gewünschten Erfolg, die Wirtschaftssanktionen zeigen Wirkung und der Unmut der Eliten wächst ebenso wie die Kritik der vom Krieg unmittelbar betroffenen Bevölkerungsteile.

In den vergangenen Monaten haben 1200 Unternehmen Russland verlassen. Der Wirtschaftswissenschaftler Andrej Jakowlew glaubt, dass die Stimmung in der russischen Elite angespannt sei, weil es dort keine Gewinner mehr gebe. „Mit Putin an der Spitze ist es sinnlos, auf Veränderungen zu hoffen“, so der Experte. Die Sanktionen des Westens hält er jedoch für kontraproduktiv: „Man schart sich hinter dem Führer, weil man die Angriffe als unfair wahrnimmt.“

Eine Umfrage der amerikanischen Denkfabrik „Center for European Policy Analysis (CEPA)“ kommt im Gegensatz zum Levada-Zentrum, demzufolge die Mehrheit der Russen Putins „Militärische Spezialoperation“ in der Ukraine unterstützt, zu dem Ergebnis, dass man den realen Grad der Unterstützung nicht benennen könne, da die Befragten aus Angst nicht offen mit Soziologen über dieses Thema sprechen wollten. Der Soziologe Erik Schirjajew sagt, dass selbst die Position der Kriegsbefürworter nicht eindeutig sei. Vielen gefalle die Militäroperation nicht, dennoch rechtfertigten sie sie. Angeheizt durch die öffentliche Propaganda fänden die Menschen ihre eigenen Argumente pro Putin. Zu den Kriegsbefürwortern zählen laut Schirjajew vor allem ältere Männer, während Frauen und junge Menschen eher gegen den Krieg seien. Auch Kriegsbefürworter habe der Angriff auf die Ukraine zutiefst schockiert. 

Die anonym durchgeführte Umfrage von CEPA habe offenbart, dass die weitere Unterstützung Putins in hohem Maße davon abhänge, wie weit die Menschen den Gürtel enger schnallen müssen. Eine ungewisse Zukunft und hohe Preisanstiege beeinflussten die Zustimmung zu einem Krieg, für den die Bevölkerung einen hohen Preis zahlen müsse. Der Zustimmungsgrad von 60 Prozent dürfte bald sinken. Viele wünschten sich, dass der Krieg, auch wenn sie ihn für notwendig erachten, bald ende.

Die größte Unzufriedenheit besteht in den Landesteilen, deren Familien in Unwissenheit über ihre Angehörigen im Kriegsgebiet leben müssen. Dass Putin ethnische Minderheiten etwa aus Tschetschenien, Süd-Ossetien, Tuwa, Tartarstan, Baschkortostan und Tschuwaschij in den Krieg wirft anstatt ethnische Russen zu mobilisieren, wird öffentlich thematisiert. Das ruft ethnische Gruppen auf den Plan, die sich über die ungleich verteilte Kriegslast beschweren. 

In mehreren Chats haben sich Familien vermisster Soldaten zusammengeschlossen, insgesamt sind 2500 Angehörige Mitglieder geworden, die sich der Gefahr stellen, strafrechtlich verfolgt zu werden. Ende vergangenen Monats unterzeichneten 106 Personen einen Protestbrief, den drei mutige Frauen aus verschiedenen Regionen zur Präsidentenadministration nach Moskau brachten. Radio Swoboda berichtete darüber, auf YouTube wurde ein Video veröffentlicht, in dem die 44-jährige Irina Tschistjakowa aus Petrosawodsk den Brief der Familien an das Ministerium vorliest.

Sie vermisst seit Monaten ihren Sohn Kyrill, der nach erst drei Monaten in der Armee in den Krieg geschickt wurde. Tschistjakowas Mitstreiterin Maria Schumowa vermutet, dass ihr 23-jähriger Sohn Wladimir in Butscha ums Leben gekommen ist. Sie hat kein Verständnis dafür, dass russische Soldaten bei Kiew eingesetzt wurden: „Ich denke, wenn es überhaupt notwendig war, dann für den Schutz des Donbass ... Ich will eine Antwort darauf haben, wofür unsere Kinder in die Gegend von Kiew geraten und gestorben sind, wenn sie doch für die Verteidigung des Donbass eingezogen wurden.“

Für Empörung sorgt bei den Familien auch die Untätigkeit der Behörden, die von ihnen verlangen, selbst zu beweisen, dass ihre Verwandten in Kriegsgefangenschaft geraten oder gefallen sind, obwohl seit Kriegsbeginn kaum noch Kontakt zu den Soldaten möglich war. Die Familien fordern die Einrichtung einer zentralen Stelle, die ihnen bei der Suche nach ihren Familienangehörigen hilft. Laut amerikanischen Quellen sollen inzwischen 75.000 Russen getötet worden sein. 

Russland könnte ein heißer Herbst bevorstehen, da nach Ansicht von Experten die Sanktionen erst dann ihre Wirkung voll entfalten werden. Die Unzufriedenheit über das Massensterben in Putins Krieg könnte das Fass zum Überlaufen bringen.