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Folge 34-22 vom 26. August 2022 / Wehrtechnik / Die trügerische Hoffnung auf die neuen „Wunderwaffen“ / Statt auf Masse setzt der Westen vermehrt auf die Klasse der hochtechnologischen, neuen Waffensysteme – Doch in der Praxis des Ukrainekriegs haben die Geräte verblüffend oft enttäuscht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-22 vom 26. August 2022

Wehrtechnik
Die trügerische Hoffnung auf die neuen „Wunderwaffen“
Statt auf Masse setzt der Westen vermehrt auf die Klasse der hochtechnologischen, neuen Waffensysteme – Doch in der Praxis des Ukrainekriegs haben die Geräte verblüffend oft enttäuscht
Norman Hanert

Als im August 2021 die letzten US-Soldaten hastig aus Kabul abrückten und die Taliban die Kontrolle über die afghanische Hauptstadt übernahmen, war dies ein klares Zeichen für eine schwere Niederlage des Westens gegenüber einem technologisch weit unterlegenen Gegner. Je länger nun der Krieg in der Ukraine andauert, desto stärker stellt sich die Frage, ob das Bündnis westlicher Staaten auch einen konventionell ausgetragenen Krieg gegen einen gleichwertigen Gegner verlieren würde.

Faktisch findet im Osten Europas ein Stellvertreterkrieg statt, bei dem sich Russland und die NATO gegenüberstehen. Dabei hat Kiew allein aus den USA vom 24. Januar bis zum 3. August militärische Hilfe im Wert von 25 Milliarden US-Dollar erhalten, so Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft.

Teil des jüngsten Hilfspakets aus Washington sind 20.000 Mörsergranaten und 75.000 Granaten mit dem Kaliber 155 Millimeter für die von den USA gelieferten M777-Haubitzen. Die Lieferzahlen sehen nur auf den ersten Blick eindrucksvoll aus. Gemessen am Bedarf der russischen Armee würde die Lieferung aus den USA nämlich nicht einmal für zwei Kriegstage in der Ukraine reichen. Ukrainische und westliche Quellen gehen davon aus, dass die russische Armee Tag für Tag in zwischen 50.000 und 75.000 Artilleriegranaten verschießt. Die Möglichkeiten der Ukrainer liegen lediglich bei einem Zehntel davon.

Das „Royal United Services Institut“ (RUSI), eine Forschungseinrichtung der britischen Streitkräfte, hat sich in einer Studie mit der Frage beschäftigt, wie Russlands Rüstungsindustrie es schafft, die hohe Feuerkraft seiner Artillerie in der Ukraine über Monate aufrecht zu erhalten. Tatsächlich stellt die Versorgung von Armeen mit Hunderttausenden von Soldaten und Tausenden von Geschützen und Panzern mit Munition einen extremen Kraftakt dar.

Praxistauglichkeit fraglich

Bei seinem Vergleich der westlichen und der russischen Rüstungsindustrien kam das RUSI zu der Erkenntnis, dass die Munitionsvorräte der USA bestenfalls für zwei Wochen eines hochintensiven Kampfes reichten, wie ihn die russischen Streitkräfte in der Ukraine seit Monaten führen.

Die Möglichkeiten der kleineren Nato-Partner sind dementsprechend noch geringer einzuschätzen. Schon bei der Libyen-Intervention im Jahr 2011 hatten sich Großbritannien und Frankreich nach einem Monat Lufteinsätze an die USA wenden müssen, weil ihnen die Laser-gesteuerten Präzisionsbomben ausgegangen waren. John Pike, ein führender westlicher Verteidigungsexperte, kommentierte dies seinerzeit: „Wenn den Europäern schon zu so einem frühen Zeitpunkt in so einer kleinen Mission die Munition ausgeht, fragt man sich, auf welche Art von Krieg sie sich vorbereitet haben.“

Ein weiteres Problem, das sich in der Ukraine zeigt, betrifft die Praxistauglichkeit westlicher Waffen abseits von Schießplatz und Manövergelände. Bereits seit etwa 2018 hat die Ukraine von den USA Panzerabwehrraketen des Typs Javelin erhalten. Die tragbaren Raketen wurden oftmals als modernste Panzerabwehrwaffe der Welt angepriesen.

Mittlerweile ist allerdings auch zu bemerken, wie sich beim Einsatz dieser „Superwaffe“ in der Ukraine Ernüchterung einstellt. Im Internet kursieren Videos, die zeigen, wie ukrainische Kämpfer auf russische Panzer sogar hintereinander mehrere Javelines abfeuern, die Raketen aber an den Panzern einfach abprallen. Experten hatten solche Fehlschläge zunächst mit der Überlagerung von Batterien in den tragbaren Waffen erklärt.

Der ehemalige US-Marine-Infanterist Brian Berletic wies in seinem Videoblog „The New Atlas“ allerdings darauf hin, dass auch trainierte amerikanische Einheiten nur eine magere Erfolgsbilanz bei der Nutzung der Javeline vorweisen könnten. Dabei verwies er auf ein offizielles Dokument des US-Heeres zum Infanterietraining in Fort Benning (Georgia). Laut dieser Auswertung lag die Zahl effektiver Treffer bei der Übung mit Panzerabwehrwaffen wie Javeline und der schwedischen Entwicklung AT-4 lediglich bei 19 Prozent. 

Die dürftige Erfolgsquote, die in Fort Benning festgestellt wurden, führte das US-Heer in einer Auswertung allerdings auf eine mangelhafte Vorbereitung der Soldaten auf den Waffeneinsatz und auch auf ein fehlendes Verständnis für die Waffen zurück. „Hier geht es um US-Soldaten, die gut ausgebildet sind und viel Zeit zum Training haben. Sie wissen, wie die Waffen funktionieren. Was sie nicht gut genug verstehen, sind die Spezifikationen der Waffen, um diese effektiv anwenden zu können.“, so der Ex-Militär Berletic, und fügt an: „Nehmen Sie das Problem, dass die US-Soldaten unter Trainingsbedingungen mit diesen Waffen haben, und übertragen Sie es auf die Situation in der Ukraine.“