19.04.2024

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Folge 35-22 vom 02. September 2022 / Der Weg ins industrielle Abseits / Deutschlands Totalausstieg aus den konventionellen Energien ist naturwissenschaftlich unsinnig und ökonomisch ein Debakel. Über einen von der Politik betriebenen ideologischen Irrweg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-22 vom 02. September 2022

Der Weg ins industrielle Abseits
Deutschlands Totalausstieg aus den konventionellen Energien ist naturwissenschaftlich unsinnig und ökonomisch ein Debakel. Über einen von der Politik betriebenen ideologischen Irrweg
Wolfgang Müller-Michaelis

Wenn Fahrlässigkeit ein planloses, risikobehaftetes und aus dem Ruder gelaufenes Tun und Unterlassen beschreibt, dann trifft dies auf die Art und Weise zu, in der von der Bundesregierung derzeit Energiepolitik betrieben wird. Ungeachtet naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Innovationen, die kluge Geister in Jahrhunderten erdacht und in eine hochentwickelte Energieversorgungsstruktur umgesetzt haben, erwecken Ökoaktivisten und ihre Gefolgsleute in Parteien und Medien den Eindruck, dass dieser zentrale Baustein moderner Zivilisation nur zu dem Zweck geschaffen wurde, die „Klimakatastrophe“ herbeizuführen. 

Wer in der Schule in den naturwissenschaftlichen Fächern aufgepasst hat, weiß, dass weder menschliches Leben noch alle übrigen Abläufe in der Natur ohne energetische Impulse denkbar sind. Das gilt auch für die Produktions- und Leistungsprozesse der Wirtschaft, die von den Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Inanspruchnahme der Umwelt sowie vom „vierten Faktor“ Energie angetrieben und am Laufen gehalten werden. 

Aufgaben der Energieerzeugung

Der durch die Energiewirtschaft erzeugte Energiemix setzt sich aus einer Vielzahl natürlicher Energierohstoffe und produzierter Energieträger zusammen: von den konventionellen fossilen Energieträgern Mineralöl, Erdgas und Kohle sowie der Kernenergie bis zu den Erneuerbaren Energien wie Windkraft, Photovoltaik, Biomasse und Wasserkraft. Die im Zuge des Klimawandels in Gang gesetzte Energiewende hat in Deutschland zu extrem rigorosen Eingriffen in die Energiemärkte geführt. Vor allem von Politikern der Grünen wird die Vorstellung verbreitet, dass es möglich sei, auf Kohle, Erdgas und Kernenergie zu verzichten und diese vollständig durch Erneuerbare Energien zu ersetzen.

Dem steht das herkömmliche energiepolitische Axiom entgegen, dass die Energieversorgung einer hochentwickelten Industrienation gleichgewichtig auf die Ziele Versorgungssicherheit, kostengünstige Bereitstellung sowie Umweltverträglichkeit auszurichten sei, wenn sie den Ansprüchen von Produzenten, Verbrauchern und der Umwelt genügen soll. Dabei hat das Teilziel möglichst niedriger Kosten sowohl die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie als auch den Geldbeutel der Verbraucher im Auge. Doch seit Jahren ist dieser energiepolitische Dreiklang aufgekündigt und durch eine Priorisierung zugunsten von Umweltverträglichkeit und Klimaschutz ersetzt worden. Versorgungssicherheit und Kosten spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Mit fatalen Folgen.

Denn diesem Umschwenken fallen all jene Energiearten zum Opfer, die bisher die Grundlast der Versorgung getragen haben. Die Protagonisten der Energiewende begründen dies einmal mit der Notwendigkeit, die von der Weltklimakonferenz vorgegebenen Ziele nicht nur einzuhalten, sondern zum Ausgleich klimapolitisch säumiger Länder überzukompensieren. Zum anderen sind sie fest davon überzeugt, dass durch die erneuerbaren CO₂-armen Energien allein ein ausreichendes Versorgungsangebot bereitgestellt werden kann. Beides zeugt von einem illusionären, ideologischen und inkompetenten Politikansatz.  

Die Schwäche der „Erneuerbaren“

Schon wegen seines geringen Anteils am globalen CO₂-Ausstoß kann Deutschland selbst bei rigoroser Abschaltung aller hiesigen CO₂-Emmitenten angesichts des dynamischen Zuwachses der bevölkerungsreichen Schwellenländer allenfalls minimalen Einfluss auf die globale CO₂-Bilanz nehmen. Zum anderen werden die Erneuerbaren Energien sowohl aus physikalischen als auch aus ökonomischen Gründen niemals in der Lage sein, die Versorgung eines führenden Industrielandes zu übernehmen. Obwohl Windkraft und Photovoltaik in den letzten Jahren durch staatliche Förderung massiv unterstützt wurden, beträgt der Anteil aller „Erneuerbaren“ am derzeitigen (2021) deutschen Primärenergieverbrauch 16 Prozent, während 84 Prozent der Energieversorgung hierzulande nach wie vor von den fossilen Energieträgern Mineralöl, Erdgas, Braun- und Steinkohle sowie von der Kernenergie gedeckt werden. 

Der noch immer bescheidene Anteil der „Erneuerbaren“ am deutschen Energiemix mag alle jene verwundern, die in öffentlichen Debatten immer wieder hören, dass allein Wind- und Sonnenenergie bereits die 50-Prozent-Marke des Energiebedarfs geknackt hätten. Diese Legendenbildung ist auf eine peinliche Ignoranz mancher Medienschaffender sowie auf manipulative Machenschaften von Ökoaktivisten zurückzuführen. 

Das Problem: Hier wird die Elektrizitätswirtschaft, die neben der Gaswirtschaft, dem Mineralöl- und Treibstoffsektor und den übrigen Energiemärkten nur einen Teilbereich der Energiewirtschaft abbildet, für das Ganze genommen. Doch selbst beim elektrischen Strom haben die konventionellen Energieträger die Nase noch vorn, wie die Stromstatistik für 2021 zeigt. Während Braun- und Steinkohle (28 Prozent) und Erdgas (15 Prozent) sowie die Kernenergie (12 Prozent) in der Summe noch immer auf 55 Prozent kommen, bringen es die „Erneuerbaren“ mit Windkraft (20 Prozent), Photovoltaik (8,5 Prozent), Biomasse (8 Prozent) und Wasserkraft (3,5 Prozent) auf zusammen 40 Prozent, die restlichen fünf Prozent sind sonstige Energiequellen. 

Bei der Stromerzeugung unterscheidet man zwischen Grund- und Spitzenlast. Nur jene Kraftwerksturbinen, die von ununterbrochen verfügbaren Energieträgern wie Kohle, Gas oder Kernenergie angetrieben werden, besitzen beim heutigen Stand der Technik jene witterungsunabhängige Grundlastfähigkeit, um die komplexen Anforderungen für den Dauerbetrieb der Techniksysteme einer modernen Wirtschaft zu erfüllen. Windkraft und Solarenergie, die aufgrund der natürlichen Bedingungen durch eine hohe Volatilität gekennzeichnet sind, rechnet man der Spitzenlast zu. 

Windkraft und Solarenergie können ihre Leistung nur unregelmäßig ins Netz einspeisen, denn von den 8760 Stunden, die ein Jahr hat, kommen wir auf eine Volllaststundenzahl pro Jahr bei Sonne von nur 900 Stunden, bei Wind von 1900 Stunden. Dieses kardinale Manko der „Erneuerbaren“ durch Großspeicher auszugleichen, ist zwar eine schöne Idee, deren Umsetzung sich aber leider noch im Entwicklungsstadium befindet. Auch der Vorschlag einer grünen Spitzenpolitikerin, das Stromnetz als Speicher für die „Erneuerbaren“ zu nutzen, stößt auf systemimmanente Grenzen. Ihm steht der physikalische Befund entgegen, dass das Netz ein Durchlaufmedium ist und ihm nur jene Mengen an Strom laufend entnommen werden können, die laufend eingeleitet werden. 

Fakten contra Illusionen

Die mangelnde Grundlastfähigkeit ist bei Weitem nicht das einzige Problem der „Erneuerbaren“. So läge, selbst wenn man annimmt, dass sich die Anzahl der heute rund 30.000 Windräder in Deutschland, deren Leistung vier Prozent des Primärenergieverbrauchs entsprechen, in Zukunft verzehnfachen ließe, bei weiter stark steigendem Strombedarf der Anteil der Windkraft am gesamten Energiemarkt kaum höher als 40 bis 50 Prozent. Allerdings unter der Bedingung, dass die Bevölkerung bei dann 300.000 Windrädern und angesichts einer Fläche Deutschlands von 360.000 Quadratkilometern eine Mastdichte von einem Windrad je Quadratkilometer – egal ob Stadt, ob Land, ob Gewässer oder Wald – zu akzeptieren bereit wäre.

Woher sollte angesichts der Grenzen, die den „Erneuerbaren“ durch physikalische Gesetze und soziale Akzeptanz gezogen werden, jenes Potential bis zur Deckung des Bedarfs kommen, das zudem im Zuge einer auch durch E-Mobilität steigenden Energienachfrage durch dynamisches Wachstum gekennzeichnet sein wird? Der Hinweis auf im Forschungsstadium befindliche Zukunftsenergien wie Wasserstoff oder Kernfusion dürfte für die Deckung der aktuellen und mittelfristigen Bedarfslücke wenig helfen. 

Die Lösung liegt denknotwendig in Deckungsbeiträgen jener konventionellen Energien, die auch in der Vergangenheit die Grundlast der Versorgung getragen haben. Unter den fossilen Energien dürfte das Mineralöl außer für die Wärme-, Treibstoff- und Schmierstoffversorgung vor allem als Grundstoff der Petrochemie auf absehbare Zeit unverzichtbar bleiben. Die wenigsten wissen, dass nicht nur Oberhemden und Kleiderstoffe, sondern auch Möbel, Geschirr und vieles andere mehr aus dem Mineralölderivat Rohbenzin hergestellt werden. 

Am wenigsten dürfte vonseiten der Politik am Kohleausstieg gerüttelt werden. Allerdings sollte aus Gründen praktischer Vernunft ein Braunkohle-Großkraftwerk in der Lausitz weiterbetrieben werden, weil damit zur sozialen Befriedung einer gebeutelten Region beigetragen werden kann, ohne dass dadurch ein nennenswerter Effekt in der globalen CO₂-Bilanz zu verzeichnen wäre.

Erdgas hat als Kohlenwasserstoffenergie eine dem Mineralöl ähnliche Doppelbedeutung als Energieträger wie als Grundstoff der Chemischen Industrie. Daher ist die industrielle Verzahnung zwischen europanahen Großvorkommen an Gas und europäischer Chemie von so grundlegender wirtschaftlicher Bedeutung. Das ist der eigentliche Grund dafür, dass Sibirien schon früh die „energiepolitische Eisschrankfunktion“ für die europäische Wirtschaft übernommen hatte. Es dürfte diese Rolle aufgrund der geopolitischen Grundlagen, wenn auch mit vorübergehenden Einschränkungen aufgrund des russisch-ukrainischen Krieges, auf lange Sicht beibehalten. Deshalb sind die Europäer gut beraten, dem von Eigeninteressen geleiteten US-amerikanischen Druck in Sachen russisches Gas mit mehr Souveränität zu begegnen. Das gegen die Gaslieferungen ins Feld geführte Argument der russischen Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine sollte im Lichte der Abhängigkeit der US-Amerikaner vom Öl Saudi-Arabiens betrachtet werden.

Streitthema Kernenergie

Bleibt die Kernenergie als potentieller Lückenbüßer der absehbaren Unterdeckung, falls weiterhin nur auf die „Erneuerbaren“ gesetzt wird. Mit einem Beitrag von ebenfalls sechs Prozent zum Primärenergiebedarf spielt sie im deutschen Gesamtenergiemix nach dem Ausstiegsbeschluss von 2011 zwar keine tragende Rolle mehr, hält aber mit einem Anteil von zwölf Prozent noch immer eine wichtige Position in der Stromerzeugung. Der Stilllegungsbeschluss für die letzten drei am Netz verbliebenen Kernkraftwerke zum Jahresende 2022 steht in einem denkbar krassen Gegensatz zur sich abzeichnenden Stromlücke, wenn auf einen Schlag neben den aus Russland belieferten Erdgas- auch die Atomkraftwerke mit einem gemeinsamen Anteil von 27 Prozent der deutschen Stromerzeugung ausfallen würden.

Niemand außer den Hardlinern der Anti-Atombewegung versteht, weshalb das Beharren auf deren Gründungsmythos weiter politikfähig sein soll, wenn die Kernenergie inzwischen von aller Welt als Non-plus-Ultra einer alle drei Teilziele optimal erfüllenden Energiepolitik betrachtet und genutzt wird. Die peinliche Rückständigkeit der amtierenden Bundesregierung in der Kernenergiefrage nimmt absurde Züge an, wenn sie sich nicht nur der Forderung der europäischen Nachbarn und der EU-Kommission zur Unterstützung von Versorgungssicherheit und Klimaschutz nach Weiterbetrieb der drei verbliebenen Kernkraftwerke verschließt, sondern sogar dem Weltklimarat widerspricht, der aus denselben Erwägungen heraus für eine bevorzugte Nutzung der Kernenergie plädiert. 

Auch den der Kernenergie ablehnend gegenüberstehenden Protagonisten sollte die Einsicht zumutbar sein, dass man die Versorgung mit einer als „gefährlich“ und „risikoreich“ eingestuften Energieart nicht den vergleichsweise unsicheren Kantonisten aus dem Ausland überlassen sollte, wenn man als Erfinder dieser hochsensiblen technologischen Innovation über das zu seiner Beherrschung beste Sicherheitskonzept selbst verfügt. 






Prof. Dr. Wolfgang Müller-Michaelis war Generalbevollmächtigter der Deutschen BP AG Hamburg (bis 1991), nach der Wende Energiebeauftragter der Sächsischen Staatsregierung Dresden/Organisation der Braunkohlesanierung in den Revieren Lausitz und Westsachsen. Er wurde promoviert mit der Studie „Die Integration der westeuropäischen Energiemärkte“ (Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1968) und ist Verfasser zahlreicher energiepolitischer Beiträge. 

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