26.04.2024

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Folge 35-22 vom 02. September 2022 / Baubranche / „Ziele der Politik werden zur Makulatur“ / Gestiegene Preise, Zinsen, Materialmangel und die allgemeine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage setzen dem Gewerbe zu – mit verheerenden Folgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-22 vom 02. September 2022

Baubranche
„Ziele der Politik werden zur Makulatur“
Gestiegene Preise, Zinsen, Materialmangel und die allgemeine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage setzen dem Gewerbe zu – mit verheerenden Folgen
Norman Hanert

Bundesbauministerin Klara Gey-witz hält bislang am Versprechen der Bundesregierung fest, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Die SPD-Politikerin aus Brandenburg erklärte: „Es ist schwieriger geworden, deswegen müssen wir uns mehr anstrengen.“ Tatsächlich haben sich die Aussichten für Deutschlands Bauindustrie inzwischen massiv verschlechtert.

Die Baubranche bekommt immer stärker eine schwierige Gemengelage aus gestiegenen Materialpreisen und -mangel sowie rasant gestiegenen Zinsen und einer allgemeinen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage zu spüren. Verunsichert, mitunter sogar geschockt oder wütend gemacht, hat viele Bauherren und Unternehmen auch der Stopp der KfW-Förderung für energieeffiziente Gebäude, den Wirtschaftsminister Habeck plötzlich im Januar verkündet hat.

Private Bauherren, Bauträger und Investoren zögern oder stoppen sogar Bauprojekte. Lediglich die drastisch gestiegenen Preise für Bauleistungen haben dafür gesorgt, dass im ersten Halbjahr die Umsätze in der Baubranche um 12,6 Prozent gestiegen sind. Inflationsbereinigt sanken sie hingegen um 2,7 Prozent, so das Bundesamt für Statistik. Ähnlich sieht es bei der Auftragslage in der Baubranche aus. Im Juni konnte diese bei den Auftragseingängen zwar nominal einen Anstieg von 4,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat melden. Inflationsbereinigt ging das Auftragsvolumen gegenüber dem Juni 2021 jedoch um 11,2 Prozent zurück.

Bau-Druck durch Zuwanderung 

Im Vergleich zum Vorjahr ging bei den Bauträgern die Zahl der Aufträge im Wirtschaftshochbau um 18,4 Prozent zurück. Noch stärker brachen die Aufträge im öffentlichen Hochbau (minus 24 Prozent) ein. Vergleichsweise glimpflich fiel mit minus 0,5 Prozent der Auftragsrückgang bei den Bauträgern im Wohnungsbau aus.

Wie der Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbandes, Tim-Oliver Müller, erklärt, entscheiden sich derzeit einige private Bauherren gegen einen Hausbau. „Neben den hohen Baukosten und steigenden Zinsen müssen private Bauherren auch noch die steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten stemmen“, so Müller. Laut dem Verbandschef stellen zurzeit aber auch institutionelle Investoren etliche Wohnungsbauprojekte auf den Prüfstand und verschieben die Umsetzung. Müller prognostiziert: „Eine Entspannung für den angespannten Wohnungsmarkt wird es so nicht geben.“ 

Gegen eine Entspannung spricht auch die anhaltend starke Einwanderung nach Deutschland, die dauerhaft für eine massive Nachfrage nach Wohnraum, insbesondere nach preiswerten Wohnungen, sorgt.

In ihrem Monatsbericht vom August wiesen die Ökonomen der Deutsche Bank Research unlängst sogar auf einen „historischen Anstieg der Einwohnerzahl“ hin.  Im vergangenen Jahr sind laut den Forschern der Deutschen Bank 329.000 mehr Menschen nach Deutschland gezogen, als das Land verlassen haben. 

In diesem Jahr kann der Nettozuzug nach Deutschland nach Berechnungen der Ökonomen sogar auf 1,7 Millionen Menschen steigen. Die Deutsche Bank erwartet, dass 1,3 Millionen Menschen aus der Ukraine nach Deutschland kommen. Hinzu kämen Flüchtlinge aus Russland, Weißrussland, Georgien und Moldawien. 

Auch für das kommende Jahr prognostiziert das Institut eine Zahl von weiteren 600.000 Zuwanderern. Die Einwohnerzahl erhöhe sich damit von 83,3 Millionen im Jahr 2021 auf 85,4 Millionen 2023. Erstaunlicherweise klagt die Bauwirtschaft trotz der Rekordzuwanderung über einen dramatischen Mangel an Arbeitskräften. Nach Hochrechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) waren im zweiten Quartal 2022 rund  205.000 Stellen im Baugewerbe unbesetzt. Laut dem Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen, Michael Gilka, benötigt der Bau vorrangig keine Hilfskräfte, „sondern dringend gewerbliche Fachkräfte und Spezialisten“. 

Dabei sieht Gilka Versäumnisse der Politik: „Die Politik weiß nicht erst seit wenigen Wochen, sondern bereits seit vielen Jahren, dass der Fachkräftemangel am Bau immer dramatischer wird und auch den Bau immer mehr lähmt, aber es passiert nicht wirklich etwas, das systematisch helfen würde.“ 

Ebenfalls an die Adresse der Politik gerichtet, warnt Gilka vor drastischen Folgen des Arbeitskräftemangels auf dem Bau: „Wenn sich nicht bald substanziell etwas tut, werden die ambitionierten Ziele der Politik wie Mobilitäts-, Verkehrs- und Energiewende oder klimagerechte Sanierungen völlig zur Makulatur.“