19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 35-22 vom 02. September 2022 / Kommentar / Gazproms Probleme

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-22 vom 02. September 2022

Kommentar
Gazproms Probleme
Bodo Bost

Europa benötigt weiterhin viel russisches Gas. Das weiß Wladimir Putin und kappt immer mehr die Gaslieferungen. Versorgungsunterbrechungen werden der EU einen schwierigen Winter bescheren, insbesondere wenn es kalt und eher windstill wird. Aber sie wird Europa ermutigen, schneller auf Alternativen umzusteigen – sowohl bei den Lieferanten als auch bei den Kraftstoffen. 

Bei den derzeitigen Gaspreisen wird auch der grüne Wasserstoff vergleichsweise nicht mehr teuer sein. Nach Berechnungen von EADaily, die sich auf Daten von Gazprom und der ENTSOG-Plattform der EU-Gastransportnetzbetreiber stützen, sind die Gazprom-Lieferungen nach Europa (ohne die Türkei) in den ersten sieben Monaten des Jahres bereits stark zurückgegangen. In den verbleibenden fünf Monaten könnten die russischen Gaseinfuhren in die EU sogar noch geringer ausfallen. Der Rückgang gegenüber dem Vorjahr könnte bis zu 45 Prozent betragen. Der nächste Winter wird ein Test für die europäische Solidarität sein. 

In dieser Situation wird Gazprom vorerst durch extrem hohe Gaspreise gerettet, aber langfristig könnte das Ende des europäischen Marktes auch das Ende von Gazprom sein. Die Situation ist unangenehm für den russischen Konzern. Früher wurden bis zu 200 Milliarden Kubikmeter jährlich verkauft, jetzt werden es nur noch 70 bis 80 Milliarden sein. Während im vergangenen Jahr der durchschnittliche Exportpreis bei 298 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter lag, könnte er in diesem Jahr bei 900 bis 1000 US-Dollar liegen und Gazprom allein in Europa mindestens 70 Milliarden US-Dollar einbringen – mehr als für den gesamten Gasexport im Jahre 2021. 

Nur kurzfristige Profite durch hohe Gaspreise

Im kommenden Jahr könnten die Einnahmen bei dem derzeitigen Angebots- und Preisniveau ebenso hoch ausfallen – etwa 55 Milliarden US-Dollar erscheinen realistisch. Die weitere Entwicklung ist jedoch unklar. 

Europa versucht, auf Kohle umzusteigen, aber indem es russische Kohle ablehnt, schafft es auch ein Defizit in dieser Richtung. Die Projekte zum Ersatz von Erdgas durch Flüssiggas werden zwischen 2025 und 2030 beginnen. Zu diesem Zeitpunkt werden in Katar und in den USA enorme zusätzliche Kapazitäten in Betrieb genommen, wenn alles nach Plan läuft.

Gazprom, bislang der Hauptnutznießer der Energiekrise in Europa, könnte dann langfristig zum Hauptopfer werden. Der Verlust des für den Gasriesen profitabelsten Marktes, des europäischen nämlich, geht viel schneller vonstatten als erwartet, und es wird schwierig sein, nach dem Krieg seine Position dort wiederherzustellen. 

Die EU-Kommission hat ihre Meinung über den Ausstieg aus dem russischen Gas bis 2027 nicht geändert. Deutschland, der größte Abnehmer von Gazprom, hat seine Absicht bekundet, sich bereits im Jahr 2024 ganz von russischem Gas zu trennen. Der Ruf von Gazprom als zuverlässiger Lieferant ist jetzt schon ruiniert, dies zwingt die europäischen Verbraucher, sich durch vermehrten LNG-Import und Einsparungen vom russischen Gas abzuwenden.

Gazprom kann Gasströme zurzeit nicht nach Asien umleiten 

Das Problem in den kommenden fünf Jahren besteht darin, dass Gazprom seine Gasströme vorerst nirgendwohin anders umleiten und auch die Produktion nicht sofort drosseln kann. Verschwenderische Abfackelungen werden in dieser Lage notwendig, da der Druck aus den Bohrinseln nicht so schnell zurückgefahren werden kann. Abfackelungen bringen Russland kein Geld und schaden der Umwelt. 

Nach Angaben der mongolischen Regierung ist der Baubeginn für die zweite Pipeline nach China, Power of Siberia-2, bisher erst für 2024 vorgesehen. Selbst nach einer optimistischen Prognose wird Gazprom nur dann in der Lage sein, die Lieferungen nach China bis 2028/2029 auf mindestens 100 Milliarden Kubikmeter (ein Drittel weniger als die Exporte in die EU) zu erhöhen. 

Allerdings hat Putins Krieg diese Entwicklungen nur beschleunigt, nicht ausgelöst. Die Energiepreise stiegen schon vor dem 24. Februar, weil immer mehr Länder auf Erneuerbare Energien übergehen, deshalb sanken die Investitionen. Alles, was sich derzeit auf den Energiemärkten abspielt, ist zu einem großen Teil politisch motiviert.