25.04.2024

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Folge 35-22 vom 02. September 2022 / Luxemburger Abkommen / Vor 70 Jahren einigten sich Deutschland und Israel / In Tel Aviv gab es nur eine knappe Entscheidung für Verhandlungen mit dem „Land der Mörder“ – Anschläge von Gegnern befürchtet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-22 vom 02. September 2022

Luxemburger Abkommen
Vor 70 Jahren einigten sich Deutschland und Israel
In Tel Aviv gab es nur eine knappe Entscheidung für Verhandlungen mit dem „Land der Mörder“ – Anschläge von Gegnern befürchtet
Wolfgang Kaufmann

Anfang 1951 stand der junge Staat Israel vor dem wirtschaftlichen Ruin: Sein Handelsbilanzdefizit war das höchste der Welt, was nicht zuletzt am Boykott durch die arabischen Staaten lag. Dennoch mussten nun zusätzlich auch noch die in den letzten zweieinhalb Jahren eingewanderten 500.000 Juden aus aller Welt ernährt und untergebracht werden, wobei es sich hier vielfach um bettelarme Menschen aus Osteuropa oder muslimischen Ländern wie dem Irak und Iran handelte. Deshalb brauchte die israelische Regierung dringend Geld. Hieraus resultierten dann erste Forderungen bezüglich einer 1,5-Milliarden-Dollar-Wiedergutmachung durch die deutsche Seite, die allerdings nur gegenüber den Siegermächten angemeldet wurden, welche sich prompt für unzuständig erklärten.

Prekäre Wirtschaftslage in Israel

Danach nahmen die Probleme in Israel noch weiter zu, woraufhin der Minister für Rationierung und Versorgung, Pinhar Lavon, und dessen Kabinettskollege, der Minister für Handel und Industrie, Dov Yosef, im September/Oktober 1951 lautstark Alarm schlugen: Man benötige jetzt unverzüglich Zahlungen aus Deutschland. Gleichzeitig riet der Nürnberg-Ankläger Robert Kempner die Verantwortlichen in Tel Aviv, direkt auf die Regierung der Bundesrepublik Deutschland zuzugehen: „Mit Telepathie kommt Ihr nicht weiter.“

Und tatsächlich hatte sich Bundeskanzler Konrad Adenauer ja auch bereits am 27. September 1951 offiziell bereit erklärt, „gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel, der so viele heimatlose jüdische Flüchtlinge aufgenommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutmachungsproblems herbeizuführen, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung unendlichen Leides zu erleichtern“. Außerdem versicherte er dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses (WJC) Nahum Goldmann am 6. Dezember 1951, dass die Bundesrepublik zwei Drittel der israelischen Forderungen an Deutschland begleichen werde – der Rest sei dann freilich Sache der DDR. 

Dieser Schritt war innenpolitisch durchaus umstritten, aber letztlich alternativlos. Denn Wiedergutmachungszahlungen an Israel gehörten ebenso zu den unumgänglichen Vorbedingungen für die Aufhebung des Besatzungsstatus wie die Begleichung der aufgelaufenen Auslandsschulden des Deutschen Reiches.

Attentate auf Adenauer

Die direkten bilateralen Verhandlungen zwischen der deutschen und jüdisch-israelischen Seite begannen am 21. März 1952 im Kasteel Oud-Wassenaar bei Den Haag und wurden von dem Frankfurter Jura-Professor Franz Böhm, dem israelischen Diplomaten Felix Shinnar und Moses Leavitt von der Jewish Claims Conference (JCC) geführt – wobei die Letztere vorrangig die Entschädigungsansprüche jüdischer Opfer des Nationalsozialismus außerhalb Israels vertrat. Die Gespräche fanden unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen statt, weil man Anschläge jüdischer oder arabischer Extremisten fürchtete. Immerhin machten die israelische Opposition und zahlreiche Holocaust-Überlebende gegen jeglichen Ausgleich mit dem „Land der Mörder“ und die Annahme von „Blutgeld“ mobil, was teilweise zu bürgerkriegsartigen Szenen führte. 

Am Ende stimmte dann allerdings das Parlament in Tel Aviv mit 61 zu 59 Stimmen für die Fortsetzung der Unterredungen. Parallel hierzu drohten die arabischen Staaten mit Racheaktionen gegen die Bundesrepublik.

Angesichts dieser aufgeheizten Stimmung kann kaum verwundern, dass es im Frühjahr 1952 zu mehreren Briefbombenattentaten auf Adenauer, Böhm und andere deutsche Beteiligte an den Verhandlungen kam, hinter denen höchstwahrscheinlich ehemalige Angehörige der paramilitärischen zionistischen Untergrundorganisation Irgun Zwai Leumi unter Elieser Sudit steckten. Die Anschläge, bei denen der Sprengmeister Karl Reichert ums Leben kam, konnten die Einigung letztlich aber genauso wenig verhindern wie der innenpolitische Widerstand in Israel und Deutschland sowie die Erpressungsversuche seitens der arabischen Welt. Am 10. September 1952 unterzeichneten Adenauer und der israelische Außenminister Mosche Scharet im Rathaus von Luxemburg das „Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel“.

Darin wurde dem jüdischen Staat eine Summe von drei Milliarden D-Mark (nach heutiger Kaufkraft rund acht Milliarden Euro) als Ausgleich für die finanziellen Lasten infolge der Eingliederung mittelloser jüdischer Flüchtlinge aus dem ehemaligen deutschen Machtbereich sowie zur „individuellen Entschädigung“ der „in Israel lebenden Hitleropfer“ zugebilligt. Darüber hinaus sollte die JCC 450 Millionen D-Mark zur Weiterleitung an notleidende jüdische Verfolgte des Nationalsozialismus außerhalb Israels erhalten. Dazu kamen zusätzliche 50 Millionen für jüdische Opfer der Nürnberger Rassengesetze, die sich nicht zum mosaischen Glauben bekannten.

Zwei Drittel der Entschädigungssumme zu Händen des israelischen Staates beglich die Bundesrepublik in den Folgejahren mit Rohstoffen, Maschinen und Verkehrsmitteln, während die dritte Milliarde der Finanzierung der Öllieferungen britischer Unternehmen diente. Aus der Sicht des WJC-Präsidenten Goldmann war das Abkommen „geradezu eine Rettung“.

Bis 2021 insgesamt 80,53 Milliarden Euro Entschädigungsleistungen

Dabei hätte der Deutsche Bundestag dieses beinahe platzen lassen. Bei der Abstimmung zur Ratifizierung gab es zahlreiche Gegenstimmen aus den Reihen der CDU/CSU und FDP. Die Kritiker beschworen vor allem die Notwendigkeit eines guten Verhältnisses zu den arabischen Staaten. Gleichzeitig befürworteten auch nur elf Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung die Abmachungen von Luxemburg.

Die erste Rate an Israel in Höhe von 200 Millionen Mark wurde bereits 1952 fällig, ab 1953 waren dann jeweils 310 Millionen pro Jahr zu zahlen. Jedoch sollte es nicht bei diesen Summen bleiben. Alles in allem beliefen sich die deutschen Entschädigungsleistungen für Opfer des Nationalsozialismus bis Ende 2021 auf 80,53 Milliarden Euro, wobei angesichts der Verfolgungspraxis des Dritten Reiches davon auszugehen ist, dass ein großer Teil der Empfänger jüdischer Herkunft war. Dazu kommt die umfangreiche bundesdeutsche Militärhilfe für Israel, über die aber ebenfalls keine genauen Zahlen vorliegen.