26.04.2024

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Folge 35-22 vom 02. September 2022 / Natur / Das Leben eines Eichenbaums / Der französische Forstingenieur Laurent Tillon verbindet Ereignisse der Geschichte mit dem Lebensalter einer 240 Jahre alten Traubeneiche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-22 vom 02. September 2022

Natur
Das Leben eines Eichenbaums
Der französische Forstingenieur Laurent Tillon verbindet Ereignisse der Geschichte mit dem Lebensalter einer 240 Jahre alten Traubeneiche
Silvia Friedrich

So poetisch hat bestimmt noch niemand das Leben eines Baumes beschrieben. Der französische Biologe und Forstingenieur Laurent Tillon lebt seit Jahren in Gesellschaft einer Eiche und nennt diese liebevoll „meine Baumgefährtin“. 

In seinem Buch „Quercus“ nimmt er die Leser mit auf einen Exkurs über ihr Wachstum. Man weiß, wie schwer es Jungtiere haben, um in der Natur zu überleben, doch wenig ist bekannt, dass auch Pflanzenkeimlinge nur wenig Überlebenschancen in der Natur haben. Sei es, weil überall Fressfeinde lauern oder nicht genug Sonnenlicht oder Nährstoffe zur Verfügung stehen. 

Überleben unter Gefahren

240 Jahre alt ist sie, die Traubeneiche „Quercus“, und somit beginnt ihr Leben als kleine Eichel im Jahr 1780, kurz vor der Französischen Revolution, ausgestattet vom „Elternbaum“ mit Sämling und Keimling, umhüllt von zwei Keimblättern, die „ihrerseits den Treibstoff für die Keimung bunkern: die Stärke“. Ebenfalls vererbt ist eine Portion Tannine, was die Eichel weniger verdaulich macht und Fressfeinde abschreckt. Dass die hier beschriebene Eiche überlebt hat und groß und stark wird, erklärt der Autor durch viele Zufälle, wie den Umstand, dass der Sämling lange unter Brombeerdornen sicher gelegen haben muss und so kein Wildschwein ihn hat entdecken können. 

Immer wieder bezieht Tillon die historischen Gegebenheiten mit ein, was das Buch zusätzlich sehr interessant macht. Die Zeitleiste geht von 1780 bis ins 21. Jahrhundert und man wird nicht müde, den Ausführungen zu folgen, da diese Art der Betrachtung unserer Wälder selten so aufgezeichnet wurde. Wer heutzutage ein ungutes Gefühl hat bei der Rückkehr des Wolfes, sollte sich das Kapitel „Canis, der Wolf, 1869“ ausgiebig zu Gemüte führen, als der letzte Wolf durch Menschenhand getötet wurde und welche gravierenden Folgen das für die Natur hatte. 

Wer sich in dieses Werk vertieft, kann am Ende nur vor der Natur und der unglaublichen Komplexität der Schöpfung niederknien. Der Autor ist in der Lage, den Lesern die Augen dafür zu öffnen, dass sie man Flora und Fauna intensiver und bewundernder betrachten. 

Wer weiß schon, dass die Bäume des Waldes ein ausgeklügeltes Informationsnetz haben und sich bei Gefahr warnen? Wer ahnt, wie hochkomplex die Pflanzenwelt aufgebaut und miteinander verbunden ist?  Wüssten wir es, würden wir wohl mit wacherem Sinn und staunend vor diesem Mikrokosmos durch die Wälder streifen. 

Laurent Tillon: „Quercus“, Edition gai saber,  Zürich 2022, Taschenbuch, 305 Seiten, 31,90 Euro