30.04.2024

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Folge 36-22 vom 09. September 2022 / Strompreisexplosion Dafür verantwortlich sind der Ausfall französischer Atommeiler, den Deutschland mit Stromexporten kompensieren muss, und das Merit-Order-Prinzip, das den Strom- an den Gaspreis bindet / Wie Merit-Order die Preise treibt / Trotz des Preisanstiegs wollen Bundeswirtschaftsministerium und EU-Kommission am System festhalten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-22 vom 09. September 2022

Strompreisexplosion Dafür verantwortlich sind der Ausfall französischer Atommeiler, den Deutschland mit Stromexporten kompensieren muss, und das Merit-Order-Prinzip, das den Strom- an den Gaspreis bindet
Wie Merit-Order die Preise treibt
Trotz des Preisanstiegs wollen Bundeswirtschaftsministerium und EU-Kommission am System festhalten
Wolfgang Kaufmann

Europa erlebt derzeit eine Energiekrise epochalen Ausmaßes, in deren Verlauf auch die Strompreise auf astronomische Höhen steigen. Damit droht unzähligen deutschen Unternehmen und Verbrauchern der Ruin. Außerdem treiben die wachsenden Kosten für Strom die allgemeine Inflation an. Als Grund wird immer wieder auf den Ukrainekrieg, die deswegen verhängten Sanktionen gegen Russland und daraus resultierende reduzierte Erdgaslieferungen Moskaus verwiesen. Dabei hat die Strompreisexplosion zwei ganz andere Hauptgründe, nämlich die schwere strukturelle Krise der französischen Nuklearindustrie (siehe rechts) und die faktische Existenz eines legalisierten Kartells, das den Preis für den Strom immer mehr zum Nachteil der Verbraucher gestaltet.

Mittlerweile ist es nämlich so, dass der angeblich günstige Strom aus Wasserkraft-, Wind- und Solaranlagen oder Kernkraftwerken genauso viel kosten kann wie der, welcher durch die Verbrennung des immer knapper und somit auch teurer werdenden Gases produziert wird. Die Ursache hierfür sind die Mechanismen, denen die Preisbildung unterliegt im Allgemeinen und das sogenannte Merit-Order-Prinzip im Besonderen.

2002 wurde EEX in Leipzig gegründet

Großkunden wie Industriebetriebe und Stadtwerke kaufen die eine Hälfte ihres benötigten Stroms direkt bei den Erzeugern zu vertraulich gehaltenen Konditionen ein und die anderen an den beiden Strombörsen. Die eine der beiden ist die European Energy Exchange (EEX) in Leipzig. Dort kann man sogenannte Futures erwerben. Das sind Stromkontingente zur Lieferung in Zeiträumen von bis zu sechs Jahren. Weil die Abnehmer aber nicht genau wissen, wie viel Strom sie in der Zukunft brauchen, bestellen sie dort nur eine Grundmenge und kaufen dann später den Rest im Rahmen von extrem kurzfristigen Verträgen hinzu auf dem sogenannten Spot- oder Day-Ahead-Markt. 

Die Abwicklung der entsprechenden Transaktionen erfolgt über die EEX-Tochter European Power Exchange (EPEX) SPOT in Paris. Dort werden die Preise nach dem Merit-Order-Prinzip gebildet.

2008 folgte EPEX SPOT in Paris

Am Spot-Markt nennen die Stromlieferanten Menge und Preis der elektrischen Energie, die sie am Folgetag (day ahead) zur Verfügung stellen können. Entsprechend den Gesetzen des Marktes erhalten zuerst die Anbieter den Zuschlag, die ihren günstig produzierten Strom billig verkaufen wollen. Sollte der nicht ausreichen, folgen jene Produzenten, welche teurer sind, wie eben Gaskraftwerke, bis die Nachfrage gedeckt ist. 

Und dann passiert etwas, was in einem funktionierenden Wettbewerb eigentlich ausgeschlossen sein sollte: Der Börsenpreis für den gesamten Strom des nächsten Tages, der von allen Bietern zu zahlen ist, richtet sich nach dem Preis, den der teuerste gerade noch zum Zuge gekommene Anbieter genannt hat.

Die Folge hiervon ist, dass der Strompreis seit der zweiten Jahreshälfte 2021 analog zum Gaspreis steil nach oben geht, egal wie hoch die Herstellungskosten bei denen sind, die gar kein Gas benötigen. Hiervon profitieren vor allem die Anbieter von Strom aus Erneuerbaren Energien. Der wird wegen der nur schlecht vorhersehbaren Ausbeute fast ausschließlich an der EPEX SPOT gehandelt und kostet nun immer mehr. Beispielsweise lag der Marktwert von Strom aus Windkraftanlagen 2020 bei durchschnittlich drei Cent pro Kilowattstunde und stieg dann bis Juli 2022 wegen des Merit-Order-Prinzips auf 27,8 Cent. Das beschert Energiekonzernen mit einem hohen Portfolio-Anteil an Strom aus Wind, Wasser und Sonne riesige Zusatzeinnahmen ohne jegliches eigene Zutun. So verdoppelte sich der Gewinn von RWE im ersten Halbjahr 2022 auf zwei Milliarden Euro.

Angesichts dessen monierte der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bernd Westphal: „Es kann nicht sein, dass das letzte Gaskraftwerk am Netz den Gesamtstrompreis bestimmt.“ Dem widersprach das Bundeswirtschaftsministerium am 16. August 2022: „Das Merit-Order-Prinzip sorgt … für einen effizienten Einsatz des Kraftwerksparks, das heißt, der Strom wird im Grundsatz jederzeit von den kostengünstigsten Anbietern geliefert.“ Ebenso ist die EU-Kommission der festen Überzeugung, „dass die derzeitige Strommarktgestaltung einen effizienten … Markt hervorbringt“.