30.04.2024

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Folge 36-22 vom 09. September 2022 / Ukrainekrieg / „Die Ukraine hat diesen Krieg im Mai verloren“ / Mit dem Fall von Mariupol ist nach Ansicht des US-Offiziers Scott Ritter bereits die Entscheidung gefallen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-22 vom 09. September 2022

Ukrainekrieg
„Die Ukraine hat diesen Krieg im Mai verloren“
Mit dem Fall von Mariupol ist nach Ansicht des US-Offiziers Scott Ritter bereits die Entscheidung gefallen
Norman Hanert

Die russischen Truppen kommen bei ihrem Angriff in der Ukraine kaum von der Stelle. So lautet der Tenor in der Berichterstattung vieler westlicher Medien. Ein Autor im Fachblatt „US Marine Corps Gazette“ sowie Scott Ritter, ein ehemaliger Nachrichtendienstler der US Marines und Inspektor der Vereinten Nationen für die UNSCOM-Mission im Irak, haben nun jedoch ein völlig anderes Bild von der Kriegsführung der Russen entworfen. 

Ritter sprach in einem Interview des norwegischen Politikwissenschaftlers Glenn Diesen mit ihm und Alexander Mercouris zunächst die Stärke der ukrainischen Streitkräfte an. Laut Ritter ging die Ukraine in den Krieg mit einer der am besten ausgebildeten, ausgerüsteten und geführten sowie – „wegen des anhaltenden Konflikts in der Ostukraine“ – kampferfahrensten Armeen in Europa. Die Vorstellung, dass Russland in die Ukraine einmarschieren und diese sehr fähigen Streitkräfte einfach beiseite fegen würde, sei absurd, so Ritter. Auch er ist der Ansicht, dass das russische Militär die Fähigkeiten der Ukraine unterschätzt und grobe Fehler gemacht habe: „Wir haben gesehen, wie Russland fliegende Kolonnen nach vorne schickte, ohne sich um die Sicherheit der Flanken und der Rückseite zu kümmern. Und den Ukrainern gelang es, viele dieser Kolonnen in einen Hinterhalt zu locken und den Russen schwere Verluste zuzufügen.“ 

Der Ex-Marine bescheinigt allerdings dem russischen Offizierskorps, dem seines Erachtens „am besten ausgebildeten Offizierskorps der Welt“, die Fähigkeit, sich unter widrigen Umständen gut anzupassen: „Die Russen gingen mit einer bestimmten Vorgehensweise in den Kampf und merkten schnell, dass sie sich anpassen mussten, dass die Ukrainer sehr kompetent waren und dass Russland seine Methodik ändern musste.“ Das Resultat dieser Anpassung markiert nach Ansicht Ritters eine neue Etappe in der Geschichte der Kriegsführung. Vor allem auch wegen der stark befestigten ukrainischen Verteidigungsanlagen im Donbass haben die Russen eine in der Militärgeschichte ziemlich einzigartige Konfliktmethodik entwickelt: „Die Russen haben den Kalender aus der Gleichung entfernt. Sie kümmern sich nicht um die Zeit. Alles, was ihnen wichtig ist, ist das Erreichen des Ziels, nämlich den Ukrainern ein Maximum an Verlusten zuzufügen, bei einem Minimum an Verlusten auf Seiten Russlands.“ Für diese Kriegsführung nutzen die Russen ihre „überwältigende Überlegenheit, ich würde sogar sagen, ihre Vorherrschaft bei der Artillerie“, so Ritter. 

Seine Einschätzungen werden unterstützt durch einen Artikel, der im „US Marine Corps Gazette“ erschienen ist. Der Autor, ein Offizier der US Marines, berichtet darin unter anderem von Beobachtungen auf dem Schlachtfeld, dass russische Truppen auf die Eroberung von sturmreif geschossenen ukrainischen Stellungen verzichten, um erst die Heranführung ukrainischer Reservekräfte abzuwarten, die dann ebenfalls mit massivem Artilleriebeschuss belegt werden. 

Den Ausgang des Krieges sieht Scott Ritter bereits entschieden, auch wenn die Kämpfe noch Monate oder Jahre andauern: „Die Ukraine hat diesen Krieg im Mai verloren. Sie verlor ihn, als Mariupol fiel, denn als Mariupol fiel, hatten die Russen die Formel perfektioniert, die auf dem Schlachtfeld wiederholbar ist, und es gibt nichts, was dieses Ergebnis ändern würde.“