30.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Folge 36-22 vom 09. September 2022 / Nachruf auf Michail Gorbatschow / Liebling der Deutschen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-22 vom 09. September 2022

Nachruf auf Michail Gorbatschow
Liebling der Deutschen
René Nehring

Der Tod Michail Gorbatschows am 30. August ist eine historische Zäsur. Mit ihm starb der letzte Gestalter jener historischen Umwälzungen der Jahre 1989/91, die den Ost-West-Konflikt beendeten.

In den wenigen Jahren seiner Zeit auf der großen Bühne der Weltpolitik legte Gorbatschow einen weiten Weg zurück. Angefangen hatte er als Hoffnungsträger der Kommunisten. Nach dem Tod des KPdSU-Chefs Leonid Breschnew 1982 lotste ihn dessen Nachfolger und vormalige KGB-Chef Jurij Andropow ins Politbüro. Im März 1985 dann wählte die greise Garde der Apparatschiks den mit 54 Jahren jungen Gorbatschow zu ihrem neuen Anführer, verbunden mit der Hoffnung, dass er den kriselnden Sowjetkommunismus noch retten könne.

Doch war dieser zu jener Zeit bereits verloren. Zwar versuchte Gorbatschow, unter den Schlagwörtern „Glasnost“ und „Perestroika“ neue Kräfte freizusetzen, doch war die östliche Supermacht durch jahrzehntelange Unterdrückung und Misswirtschaft innerlich morsch sowie durch das jahrelange Wettrüsten mit den USA und einen niedrigen Ölpreis auf den Weltmärkten finanziell am Ende. Bürgerkriege wie der um Bergkarabach zeigten zudem, dass Moskau über Teile seines Riesenreiches längst die Kontrolle verloren hatte. Der von Gorbatschow eingeleitete Abzug aus Afghanistan im Februar 1989 belegte, dass die einstige Supermacht Sowjetunion am Ende war.

Zum Hoffnungsträger all jener, die im kommunistischen Weltreich gefangen waren, wurde Gorbatschow, als er bereits während der Beisetzungsfeierlichkeiten für seinen Vorgänger Tschernenko die „Breschnew-Doktrin“ von der „begrenzten Souveränität“ der Ostblock-Staaten für beendet erklärte. 

Zweierlei Deutungen

Während Gorbatschow im Westen als Hoffnungsträger für eine Beendigung des Kalten Krieges galt, war er für die meisten Menschen zuhause der Verantwortliche für einen Niedergang, der nicht nur zu einer immer größer werdenden Wirtschafts- und Versorgungsnot führte, sondern letztlich zur Auflösung jeglicher staatlichen Ordnung. 

Ein besonderes Verhältnis pflegte Gorbatschow zu den Deutschen. Im Juni 1989, also vor dem Zusammenbruch des Kommunismus, besuchte er die Bundesrepublik und wurde von Hunderttausenden stürmisch empfangen. Ein abendlicher Spaziergang am Rhein mit Kanzler Helmut Kohl schuf ein vertrauensvolles Verhältnis, das für die folgenden Monate von unermesslichem Wert war.

Als der sowjetische Staats- und Parteichef im Oktober 1989 die deutschen Genossen zum 40. Jahrestag der Gründung ihres Satellitenstaates besuchte, war die Ost-Berliner Führung in Panik – und die regimekritischen Demonstranten jubelten ihm mit „Gorbi! Gorbi!“-Rufen zu. Die während seines Besuchs ausgesprochene Mahnung an die deutschen Genossen, die verkürzt mit „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ wiedergegeben wurde, gilt längst als eine der wichtigsten Initialzündungen für den Untergang der DDR. 

Der Weg zur deutschen Einheit

Getreu der Ankündigung über den Verzicht auf eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der verbündeten Staaten hielt Gorbatschow denn auch still, als überall im Ostblock die Umwälzungen einsetzten. Als die Mauer fiel, griff die Sowjetmacht ebenso wenig ein wie beim Zusammenbruch der anderen politischen Systeme ihrer Satellitenstaaten. 

Völlig unerwartet war die sowjetische Führung sogar bereit, in einem ungeheuren Tempo über die deutsche Einheit zu verhandeln. Vom Rücktritt des SED-Chefs Erich Honecker am 18. Oktober 1989 bis zum 3. Oktober 1990 dauerte es weniger als ein Jahr. Ein Ergebnis der damaligen Verhandlungen war auch, dass hunderttausende Ostpreußen ab 1991 erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in das Königsberger Gebiet, die sowjetische Oblastj Kaliningrad, reisen und ihre Heimat wiedersehen konnten. 

Zur historischen Wahrheit gehört freilich auch, dass Gorbatschow seinen Weg der Reformen keineswegs freiwillig ging, sondern unter dem Druck des totalen Zusammenbruchs seines politischen Systems. Der Ostblock insgesamt war schlichtweg so pleite, dass es nichts mehr gab, wofür sich zu kämpfen gelohnt hätte. 

Dass Gorbatschow in seinem Inneren noch immer ein Sowjetfunktionär war, zeigte er an anderer Stelle. Die Grenze des Nachgebens zog er dort, wo es um den Bestand der Sowjetunion ging. Als auch die Balten ihre Unabhängigkeit anstrebten, sandte er im Januar 1991 Spezialeinheiten nach Litauen, Lettland und Estland. Beim „Blutsonntag von Vilnius“ kamen Dutzende Menschen zu Tode, mehr als tausend wurden verletzt. 

Zur tragischen Figur wurde Gorbatschow im August 1991, als Steinzeitkommunisten versuchten, den Lauf der Geschichte noch einmal zurückzudrehen. Der Präsident der Sowjetunion, so inzwischen sein offizieller Titel, wurde während seines Urlaubs auf der Krim unter Arrest gestellt. Da waren jedoch die deutsche Einheit und das Ende des Warschauer Vertrags bereits vollzogen, und auch in der Sowjetunion hatten die Menschen längst den Geschmack der Freiheit gekostet und keine Lust mehr auf ein Wiederaufleben der kommunistischen Diktatur. Mit dem Scheitern des Putsches zerfiel die Sowjetunion endgültig, nur wenige Monate später war sie auch offiziell Geschichte.

Fortan war Michail Gorbatschow Politrentner und wurde zu einem Inbegriff des „Elder Statesman“, vor allem im Westen. Im vereinigten Deutschland wurde und wird er als derjenige verehrt, der den Deutschen „die Wiedervereinigung schenkte“. Was nicht ganz korrekt ist, da die US-Präsidenten Ronald Reagan (1987 in seiner Forderung „Mr. Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor! Reißen Sie diese Mauer nieder!“ am Brandenburger Tor) und George Bush (mit seiner frühen Unterstützung für den Einigungsprozess) deutlich vor Gorbatschow die Deutschen zur Einheit ermutigten und die Bundesrepublik immerhin etliche Milliarden 

D-Mark für die Zustimmung zur Aufgabe der DDR an Moskau zahlte. Doch immerhin bleibt es Gorbatschows Verdienst, im entscheidenden Moment die Waffen in den Depots gelassen zu haben.

Letzte Tragik

Zur letzten großen Tragik in Gorbatschows Leben wurde der Zeitpunkt seines Todes. Während die anderen großen Gestalter der Jahre 1989/91 zu Zeiten starben, in denen die Russen und die westlichen Nationen in friedlicher Koexistenz lebten, schied Gorbatschow inmitten eines neuen Krieges aus dem Leben. Als vor fünf Jahren Helmut Kohl das Zeitliche segnete, gehörte beim Festakt in Straßburg auch der damalige russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew zu den Trauerrednern. Zur Beisetzung Michail Gorbatschows, dem unser Land so viel verdankt, erschien aus Deutschland kein hochrangiger Vertreter.