30.04.2024

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Folge 36-22 vom 09. September 2022 / Vulkanausbrüche / Die unterschätzte Gefahr / Während große Summen für die Abwehr von Asteroiden aufgewendet werden, spielt die Bedrohung aus dem Erdinneren nur eine Nebenrolle – Dabei schlummert dort unten eine mögliche Weltkatastrophe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-22 vom 09. September 2022

Vulkanausbrüche
Die unterschätzte Gefahr
Während große Summen für die Abwehr von Asteroiden aufgewendet werden, spielt die Bedrohung aus dem Erdinneren nur eine Nebenrolle – Dabei schlummert dort unten eine mögliche Weltkatastrophe
Wolfgang Kaufmann

Derzeit wird viel Geld investiert, damit die Menschheit rechtzeitig und adäquat auf globale Bedrohungen wie neue Pandemien oder den drohenden Einschlag kosmischer Geschosse reagieren kann. So soll die Raumsonde DART im Oktober mit dem Asteroiden Dimorphos kollidieren, um dessen Flugbahn zu verändern. Wenn das Experiment gelingt, wäre es ein Meilenstein auf dem Gebiet der „Planetaren Abwehr“. 

Indes drohen andere Ereignisse mit möglichen, ähnlich gravierenden Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft wie der Einschlag eines großen Asteroiden, deren Auftreten zudem hundert Mal wahrscheinlicher ist, ohne dass die Welt vergleichbare Vorkehrungen zu treffen versucht. Die Rede ist von Vulkanausbrüchen der Stärke 7 oder mehr. Hierauf weisen die Vulkanologen Laura Mani vom Centre for the Study of Existential Risk (CSER) an der Universität Cambridge und Michael Cassidy von der Universität Birmingham in einem alarmierenden Artikel hin, der im August in der führenden Wissenschaftszeitschrift „Nature“ erschienen ist und den Titel „Huge volcanic eruptions: time to prepare“ (Riesige Vulkanausbrüche: Es ist an der Zeit, sich vorzubereiten) trägt.

Die beiden Forscher meinen, die Wahrscheinlichkeit solcher Naturkatastrophen werde sträflich unterschätzt, woraus ein „kläglicher Mangel an Investitionen, Planungen und Ressourcen“ resultiere. Wie Untersuchungen von Eisbohrkernen aus Grönland und der Antarktis zeigten, seien Ereignisse der Stärke 7 in den vergangenen 60.000 Jahren im Durchschnitt aller 625 Jahre aufgetreten. Und Super-Eruptionen der höchsten Stufe 8 immerhin auch noch aller 14.300 Jahre.

Menschheit wurde fast ausgerottet

Zur Verdeutlichung: Infolge der Stärke-8-Eruption des Toba auf der indonesischen Insel Sumatra vor knapp 74.000 Jahren wäre es fast zum Aussterben des Homo sapiens gekommen, wovon noch heute der sogenannte genetische Flaschenhals in der Entwicklung unserer Art kündet. Ebenso hatte der Ausbruch des gleichermaßen in Indonesien liegenden Tambora der Stärke 7 im Jahre 1815 dramatischen Folgen: Die ausgestoßenen Aschewolken verdunkelten den Himmel, wodurch 1816 auf der Nordhalbkugel der Erde der Sommer ausfiel, was zur schwersten Hungersnot des 19. Jahrhunderts mit Hunderttausenden von Toten führte.

Dabei müssen der Menschheit keine 418 Jahre mehr bleiben, bis es wieder ähnlich schlimm kommt wie 1815/16. Darauf deutet der Ausbruch des unterseeischen Vulkans Hunga Tonga-Hunga Ha’apai im Pazifik am 14./15. Januar dieses Jahres hin: Dieser erreichte zwar nur eine Stärke von knapp 6, hätte aber trotzdem fatale Auswirkungen gehabt, wenn er nicht glücklicherweise schon nach elf Stunden beendet gewesen wäre. Das schnelle Ende begrenzte die Freisetzung von Asche und Gas. Die Welt ist nicht mehr die des Jahres 1815/16 – sie ist sehr viel verwundbarer: Es gibt inzwischen acht Mal mehr Menschen auf unserem Planeten als damals, und die Warenproduktion wuchs seither um das Tausendfache. 

Insofern könnten auch die materiellen und sozialen Kosten einer Stufe-6-Eruption wie die im Bereich der Tonga-Inseln bei längerer Dauer schnell Größenordnungen erreichen, die jener der Corona-Pandemie entsprechen. Das nahmen Mani und Cassidy zum Anlass, um mehrere Forderungen an Regierungen und Wissenschaftler rund um den Globus zu richten.

Zum Ersten mahnen sie, man müsse nun endlich damit beginnen, alle potentiell gefährlichen Vulkane zu identifizieren. Und tatsächlich ließen sich von den 97 größten Eruptionen der Vergangenheit, von denen die Eisbohrkerne zeugen, bislang nur eine Handvoll konkreten Vulkanen zuschreiben. Dabei gibt es 1300 aktive Vulkane, die als Verursacher in Frage kommen – und auf dem Meeresgrund existieren garantiert noch viele weitere, von denen niemand etwas weiß. Insofern besteht vor allem Bedarf an der Untersuchung verdächtiger unterseeischer Strukturen. 

Moderne Methoden sind nötig

Zum Zweiten halten die beiden es für unerlässlich, alle Risikokandidaten kontinuierlich vom Boden und aus dem Weltraum zu überwachen. In diesem Zusammenhang könnte ein spezieller Satellit zur Vulkanbeobachtung, wie er aber nach wie vor nicht existiert, wertvolle Dienste leisten und beispielsweise Bodendeformationen über sich aufwölbenden Magmakammern erfassen oder die Menge des ausgeworfenen Materials zeitnah ermitteln. Wenn man dafür Satelliten für die allgemeine Erdbeobachtung nutzt, benötigt dies zu viel Zeit.

Zum Dritten sehen Mani und Cassidy die dringende Notwendigkeit, sowohl die Lebensmittelproduktion und -verteilung als auch kritische Infrastrukturen wie Kommunikations- und Energienetze gegen die Auswirkungen von Vulkanausbrüchen zu immunisieren.

Zum Vierten verweisen die Vulkanologen auf die klimatischen Folgen des Aufsteigens großer Mengen von Sulfat-Aerosolen bei Eruptionen: Dies habe in der Vergangenheit stets ein Absinken der globalen Durchschnittstemperatur durch das Absorbieren von Sonnenlicht bewirkt. Also brauche es Mittel und Wege, um den sogenannten vulkanischen Winter auf chemischem Wege zu verhindern. Dazu zähle die Freisetzung ungiftiger Substanzen zur Bindung der Aerosole sowie kurzlebiger teilfluorierter Kohlenwasserstoffe zwecks Wiedererwärmung der Erdatmosphäre.

Und zum Fünften empfehlen die Autoren auch Methoden des Geo-Engineerings in der direkten Gefahrenzone: Wenn man es schaffe, in die Magmakammer eines vor dem Ausbruch stehenden Vulkans bestimmte Substanzen zu injizieren, welche die Eruptionsexplosivität verringern, wäre das Ergebnis unter Umständen eine deutliche Reduzierung der Schäden. „Das mag unvorstellbar erscheinen, aber das war die Ablenkung von Asteroiden bis zur Gründung des Planetary Defense Coordination Office der US-Weltraumbehörde NASA im Jahre 2016 auch.“ 

Damit haben die beiden britischen Vulkanologen zweifellos Recht. Deshalb finanziert der Europäische Forschungsrat inzwischen ein entsprechendes Projekt. Allerdings sollten die Wissenschaftler stets auch die möglichen Risiken und Nebenwirkungen solcher brandneuer Verfahren bedenken.