20.04.2024

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Folge 37-22 vom 16. September 2022 / Kolumne / Eine würdige Preisträgerin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-22 vom 16. September 2022

Kolumne
Eine würdige Preisträgerin
Florian Stumfall

Der Verein Deutsche Sprache (VDS) führt einen heldenmütigen und dringend notwendigen Kampf gegen die Verwahrlosung und die Zerstörung der Sprache Goethes und ungezählter anderer Schriftsteller und Philosophen, deren Aufzählung einige Bände füllte. Im Rahmen dieser Bemühungen wird jeweils der „Sprachpanscher des Jahres“ erkoren, und für 2022 hat man eine zweifellos würdige Preisträgerin gefunden. Es handelt sich um die Jura-Professorin Ulrike Lembke von der HU Berlin. Ihre Qualifikation: Sie erkennt die Anrede „Meine Damen und Herrn“ als verfassungswidrig. Das Grundgesetz nämlich gebiete nachgerade die Gender-Sprache.

Nun – wer sich nicht lächerlich machen oder Beifall von blinden Fanatikern bekommen will, der muss dem Vorsitzenden des VDS, Professor Walter Krämer, zustimmen, der den Zusammenschluss von Gendern und dem Grundgesetz als „völlig absurd“ bezeichnete. Denn: „Das Grundgesetz richtet sich explizit an alle Menschen, unabhängig vom Geschlecht oder anderen Unterscheidungsmerk­malen.“ Kein Wunder, dass Krämer samt dem Verein von der Gender-Lobby in die rechte Ecke gestellt wird. Das ist der Aufschrei der Getroffenen.

Doch auch ohne Anführung verfassungsrechtlicher Bedenken ist das Gendern ein glatter Unsinn, was einige Beispiele darstellen können. Da es letztlich um den Menschen geht, sei mit ihm begonnen. Der Begriff ist maskulin, wie in den meisten indogermanischen Sprachen. Doch niemand wird bestreiten können, dass unter das Rubrum „Mensch“ Männer wie Frauen gleichermaßen fallen. Wer das bestritte, würde der Frau das Mensch-Sein absprechen. Und um gleich dabei zu bleiben: In nicht lange zurückliegender Zeit war der Ausdruck „Weib“ achtenswert und ehrenvoll. Doch er ist neutral, was indes an der Fraulichkeit des Weibes nichts ändert.

Genus und Sexus

Auch ein „guter Kamerad“ kann ebenso männlich wie weiblich sein wie ein Unhold. Beide führen einen maskulinen Artikel. Andererseits kann eine Kanaille ein Mann oder eine Frau sein, unbeschadet des weiblichen Genus. Das neutrale Ungeheuer zeigt sich als Mann oder als Frau, ebenso wie eine Bestie. Auch wer von einer Geisel spricht, gibt allein dadurch nicht zu erkennen, ob diese weiblich oder männlich ist. Da bedarf es der näheren Erläuterung.

Eine Koryphäe kann natürlich ebenso beides sein, Mann wie Frau, und ebenso ist es, um der Sache eine gewisse Überhöhung zu geben, bei der Majestät. Und wenn man den Bundeskanzler Scholz betrachtet, dessen Männlichkeit bislang unwidersprochen ist, so stellt er bundesweit die bekannte Symbolfigur der Vergesslichkeit dar.

Nimmt man ein Hauskätzchen oder einen wilden Löwen, so gehören beide den Katzenartigen an, welcher Begriff beide Geschlechter einschließt. Nicht Katerartigen. Denn auch die Zoologie praktiziert, was die Gender-Propheten immer noch nicht verstanden haben und wahrscheinlich nie verstehen werden, nämlich den Unterschied zwischen Genus und Sexus, das heißt, zwischen Grammatik und Biologie.

Die genderische Besessenheit führt zu vielfachem Schaden an der Sprache, nicht nur unmittelbar, sondern auch in Erscheinungen, denen man ihr Herkommen auf den ersten Blick gar nicht ansieht. So soll es keine Agentenfilme mehr geben, sondern solche über Spione. Warum? Das bleibt unklar. Ein Analphabet, männlich oder weiblich, wird korrekt als „leseunfähige Person“ bezeichnet, ein Lastwagenfahrer als „qualifizierte fahrzeugführende Person“. Ein Dieb ist neuerdings eine „Eigentum entwendende Person“ und ein Abnehmer, also ein Käufer, eine „abnehmende Person“, wo allerdings beim Letzteren die Gefahr besteht, dass er mit jemandem verwechselt wird, der gerade eine Schrot-Kur macht. Auch Ehegatten gibt es nicht mehr, auch nicht vorübergehend. Sie heißen jetzt „Eheteilende Person“, wobei die Großschreibung unsicher bleibt.

Diese Neubildungen gehen einher mit der leidenschaftlichen Bereitschaft, bisher gebrauchte Wörter zu verbieten. Die Liste ist ebenso bekannt wie lang, und sie wird mit heißem Atem immer mehr ergänzt. Sie reicht vom Mohrenkopf bis zum Zigeuner. Wer sich das Recht herausnimmt, Einträge auf diese Liste zu machen, bleibt ebenso unerfindlich wie die Legitimation dazu. Der Archivar und Historiker Professor Heinz-Günther Borck sagt: „Der Versuch, durch erzwungene Sprachregelungen eine Bewusstseinsveränderung herbeizuführen, ist zwar in totalitären Systemen durchaus üblich, mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aber unvereinbar …“

Grammatik und Biologie

Die folgerichtige und abschließende Maßnahme, die Sprache unter die staatliche Kontrolle zu bringen, ist das Sprechverbot. Man nennt das dann „cancel culture“, was wieder einmal zeigt, dass politisch angeregte sprachliche Neuschöpfungen meist ebenso hässlich sind wie der Gegenstand, den sie beschreiben. Die haarsträubende Debatte um Winnetou zeigt, dass die Bereitschaft, auch literarische Klassiker ins Joch zu beugen, längst aus den angelsächsischen Ländern nach Deutschland gekommen ist. Freilich ist sie in Britannien bereits fortgeschritten. Dort stehen mittlerweile auch Shakespeare, Dickens und Jane Austen ebenso am Pranger wie die literarische Mutter des Harry Potter, Joanne K. Rowling.

Aber auch in Deutschland nimmt die Verfolgung Fahrt auf. Schon wird darüber verhandelt, dass, um das prominenteste und schwerstwiegende Beispiel anzuführen, Goethe vorgeführt wird wegen der Nähe zu seinem Fürsten, und darüber hinaus stellt man inquisitorische Fragen der Art, ob Goethe Sexist oder Antisemit oder aber beides gewesen sei. Wer hier den Hebel ansetzt und Beifall findet, der kann bei der Knechtung der Sprache und des Denkens den Rest des deutschen Kulturgutes problemlos aufrollen.

Denn darum geht es: Wer vorschreibt, wie man sprechen muss, der befiehlt auch, wie man zu denken und schließlich zu handeln hat. Dann tritt ein, was der Aufklärer Immanuel Kant gesagt hat: „Kein größerer Schaden kann einer Nation zugefügt werden, als wenn man ihr den Nationalcharakter, die Eigenschaften ihres Geistes und ihrer Sprache nimmt.“

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.