19.04.2024

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Folge 37-22 vom 16. September 2022 / Verkehr / Sechs Stunden für nicht einmal 60 Kilometer / Eine nächtliche Odyssee im „Schienenersatzverkehr“ illustriert den maroden Zustand des deutschen Bahnsystems

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-22 vom 16. September 2022

Verkehr
Sechs Stunden für nicht einmal 60 Kilometer
Eine nächtliche Odyssee im „Schienenersatzverkehr“ illustriert den maroden Zustand des deutschen Bahnsystems
Norman Hanert

Ausgestattet mit einer „Bahncard 100“ zählt Professor Christian Böttger von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft vermutlich zu den Reisenden, die überdurchschnittlich oft mit der Bahn unterwegs sind. Zum Ende des Experiments „Neun-Euro-Ticket“ zog Böttger, der seit Jahren zur Deutschen Bahn forscht, dennoch eine bittere Bilanz. 

Neben den bereits länger bekannten Problemen der Zugausfälle und des spürbaren Personalmangels war der Bahnexperte mehrmals erst gar nicht in überfüllte Züge hineingekommen. „Ich kenne auch Bahnfahrer, die wegen der überfüllten Züge sogar auf das Auto umgestiegen sind“, so der Berliner Professor.

Doch auch nach dem Auslaufen der Neun-Euro-Karte und der Normalisierung der Fahrgastzahlen ist Deutschlands Bahnsystem weiterhin in der Lage, Reisenden dauerhaft die Lust auf öffentliche Verkehrsmittel auszutreiben. Insbesondere der Schienenersatzverkehr, ein von der Bahn ersatzweise angebotener Busverkehr, wenn Strecken – aus welchem Grund auch immer – blockiert sind, kann bei Reisenden abschreckende Erfahrungen verursachen. 

Die „Berliner Zeitung“ berichtet unter der Überschrift „Schienenersatzverkehr des Grauens“ über Reisende, die durch den Ersatzverkehr in Gegenden strandeten, für die der Berliner üblicherweise das Kürzel „jwd“ verwendet: „Janz weit draußen“. Damit nicht genug. Als sich für die Fahrgäste die Bustüren des Schienenersatzverkehrs an einem Bahnhof im Berliner Umland öffneten, war es tiefste Nacht. Insgesamt dauerte die Reise über eine Strecke von lediglich 59 Kilometer sechs Stunden. Einer der Betroffenen schildert, wie er zu später Stunde vom Berliner Bahnhof Südkreuz nach Jüterbog fahren wollte. Üblicherweise schafft der Regionalexpress die Strecke in 40 Minuten. Nicht so am 26. August. 

Wegen Gleisbauarbeiten verwies die Bahn die Fahrgäste auf ersatzweise bereitstehende Busse. Selbst wenn die Fahrt planmäßig verlaufen wäre, hätte die Reise zweieinhalb Stunden gedauert. Zunächst sollten die Reisenden mit einem Schienenersatzverkehr für die S-Bahn-Linie S25 um kurz nach 23 Uhr nach Teltow Stadt fahren und dort umsteigen. Dort, hinter der Stadtgrenze angekommen, kam allerdings nur ein Kleinbus angefahren, der lediglich 20 Fahrgäste mitnehmen konnten. Geschätzt die Hälfte der Reisenden musste am Bahnhof Teltow Stadt zurückbleiben. Diese geplagten Fahrgäste mussten auf den nächsten Bus warten, der um 0.46 Uhr abfahren und um 1.39 Uhr in Trebbin ankommen sollte. Dort sollten sie wieder in einen Zug umsteigen, um die restliche Strecke bis Jüterbog zu bewältigen. So zumindest der Fahrplan.

Tatsächlich war der Zug allerdings weg, als der Bus gegen zwei Uhr in Trebbin eintrudelte. Die gestrandeten Reisenden mussten sich schließlich noch fast bis 4 Uhr gedulden, bis ein anderer Ersatzverkehrsbus sie schließlich nach Jüterbog fuhr. Einer der Fahrgäste, die am Vortag um 23 Uhr in Berlin-Südkreuz losgefahren waren, schildert, dass er um 5 Uhr morgens endlich im heimischen Bett lag.