19.04.2024

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Folge 38-22 vom 23. September 2022 / EU / „Wir drohen, in eine echte Kriegswirtschaft zu geraten“ / Aus der belgischen Regierung kommen bemerkenswerte Warnungen und Mahnungen zur Energiepolitik der Europäischen Union

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-22 vom 23. September 2022

EU
„Wir drohen, in eine echte Kriegswirtschaft zu geraten“
Aus der belgischen Regierung kommen bemerkenswerte Warnungen und Mahnungen zur Energiepolitik der Europäischen Union
Norman Hanert

Obwohl Belgiens Gasversorgung zu weit weniger als zehn Prozent von russischen Importen abhängt, gehört der Regierungschef des Landes, Alexander De Croo, zu denjenigen Politkern, die besonders früh und eindringlich vor einer Energiekrise in Europa gewarnt haben. Schon im März hatte De Cro auf einem EU-Gipfel das Eingreifen der EU bei den Energiepreisen angemahnt. Anfang September zeigte sich der Flame De Croo nun, „verärgert, dass es so lange gedauert hat, bis die Europäische Kommission endlich verstanden hat, dass sie die Bevölkerung schützen muss“. Eindringlich warnte der De Cross im TV-Frühschoppen des flämischen Rundfunks: „Wir drohen, in eine echte Kriegswirtschaft zu geraten.“

In einem Interview mit Bloomberg News sprach der belgische Regierungschef das Risiko einer Deindustrialisierung und sozialer Unruhen an. Um die Energiekrise zu bewältigen, müsse Europa sofort handeln, so De Cross, da sonst ein grundlegender wirtschaftlicher Stillstand drohe, von dem sich die EU nur schwer erholen könne. Am Vorabend eines hochrangigen Sondertreffens der 27 EU-Energieminister prognostizierte der belgische Regierungschef: „Noch ein paar Wochen wie diese, und die europäische Wirtschaft wird einfach zum Stillstand kommen.“ 

De Croo weiter: „Wir bekommen keine zweite Chance, um als 450 Millionen Europäer zu beweisen, dass wir die Dinge in die Hand nehmen. Was Sie heute sehen, ist ein massiver Abfluss von Wohlstand aus der Europäischen Union.“ 

„Keine zweite Chance“

Zum Sondergipfel der EU-Energieminister am 7. September war die belgische Energieministerin Tinne Van der Straeten mit der Forderung gekommen, in der EU eine allgemeine Preisobergrenze für Gas, unabhängig von seiner Herkunft, auf den Gasmärkten einzuführen. Auch Griechenland hatte eine solche Deckelung stark favorisiert. Durchsetzen konnte sich weder diese Forderung noch die der EU-Kommission einer Preisobergrenze nur für russisches Gas. 

Zu Recht merkte die belgische Energieministerin zum Vorschlag der EU-Kommission an: „Das macht keinen Sinn, denn wir importieren kaum noch russisches Gas.“ Gegen eine generelle Preisobergrenze wurde argumentiert, Gasexporteure aus den USA und Norwegen könnten bei einer Preisdeckelung einen Bogen um den europäischen Markt machen und stattdessen nach Asien liefern.

Zum EU-Gipfel war die EU-Kommission zudem mit dem Vorschlag angereist, eine Preisobergrenze für alle nicht aus Gas erzeugten Strommengen einzuführen. Auf dem Gipfel beauftragten die Energieminister die EU-Kommission, zumindest einen Notfallplan mit einer Reihe von Maßnahmen gegen die hohen Strompreise in Gesetzesform umzusetzen.

 Vereinbart haben die Energieminister einen nächsten Sondergipfel, der Ende September stattfinden soll. Das vom belgischen Premier entworfene Szenario von weiteren Wochen Stillstand und einer Spirale der Deindustrialisierung ist damit wahrscheinlicher geworden. Die Diskussion in der EU dreht sich bislang vor allem um Markteingriffe wie etwa Preisdeckelungen für Strom und Gas, eine Übergewinnsteuer für Energiefirmen oder das Recht der EU-Kommission, im Krisenfall Unternehmen künftig Vorgaben für die Produktion machen zu können.

Ungelöst ist aber das eigentliche Grundproblem. Bislang gescheitert ist die EU nämlich daran, einen Ersatz für die russischen Energielieferungen zu finden, der ebenso preisgünstig ist wie die bisherigen Lieferungen aus Russland. Eine Korrektur bei den Sanktionsmaßnahmen gilt in der EU wiederum noch immer als Tabu. In seinem Podcast kommentierte der britische Journalist Alexander Mercouris die Lage nach dem EU-Energiegipfel: „Die europäischen Politikern haben im Februar einen Wirtschaftskrieg beschlossen und befinden sich nun in einer Situation, in der sie glaubten, nie sein zu müssen.“

„Massiver Abfluss von Wohlstand“

Erkennbar ist schon jetzt, wie die bisherige Unfähigkeit der EU-Kommission zur Lösung der Energiekrise einzelne EU-Staaten dazu bringt, wieder auf nationale Lösungen zu setzen. Ungarn geht bei der Energieversorgung generell einen Sonderweg, indem es an seinen Lieferbeziehungen mit Russland festhält. Auch Bulgariens Übergangsregierung hat Verhandlungen mit Gazprom zur Wiederaufnahme von russischen Gaslieferungen angekündigt. Tschechiens Regierung hatte noch vor dem EU-Energiegipfel angekündigt, beim Ausbleiben einer europäischen Lösung eine nationale Deckelung der Energiepreise einzuführen. 

Der EU-Energiegipfel hat auch gezeigt, dass Deutschland durch die Ampel-Koalition in eine Sonderrolle manövriert worden ist. Scharfe Kritik von mehreren Regierungsvertretern war auf dem Sondergipfel nämlich an Deutschland zu hören, weil dies mitten in einer europaweiten Energiekrise glaubt, auf drei Atomkraftwerke verzichten zu können.