16.04.2024

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Folge 38-22 vom 23. September 2022 / Naher Osten / Genozid der Forces Libanaises unter den Augen der israelischen Armee / Vor 40 Jahren verübte die christliche Miliz in Beirut das Massaker von Sabra und Schatila. Israel gilt als Unterstützer der Vorgänge

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-22 vom 23. September 2022

Naher Osten
Genozid der Forces Libanaises unter den Augen der israelischen Armee
Vor 40 Jahren verübte die christliche Miliz in Beirut das Massaker von Sabra und Schatila. Israel gilt als Unterstützer der Vorgänge
Erik Lommatzsch

Am 14. September 1982 fiel Bachir Gemayel im Hauptquartier der von seinem Vater gegründeten maronitisch-katholischen Kata’ib-Partei, auch bekannt als Phalange, im Osten der libanesischen Hauptstadt Beirut einem Bombenanschlag zum Opfer. Der Anführer der Forces Libanaises, der Miliz der Phalange, war erst drei Wochen zuvor zum Staatspräsidenten gewählt worden. Zugeschrieben wurde das Attentat Mitgliedern der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Diese sollten in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila am Südrand Beiruts ausfindig gemacht werden. 

Mit einer Suche nach den Urhebern des Anschlags hatte das Vorgehen der etwa 150 Angehörigen der Forces Libanaises allerdings nichts gemein. Was sich zwischen dem 16. und dem 18. September 1982 in den Lagern abspielte und in die Geschichte als Massaker von Sabra und Schatila einging, war vielmehr ein grausamer Racheakt. 

Eine Palästinenserin, die das Töten als Kind miterlebte, erzählte später, sie habe 16 Familienangehörige verloren, ihrem Vater sei der Kopf mit einer Axt abgeschlagen worden, und sie „ermordeten auch meine Schwester, die im siebten Monat schwanger war. Dann schnitten sie ihr den Bauch auf und erdrosselten das ungeborene Baby.“ 

Die vor Ort befindlichen israelischen Truppen beteiligten sich nicht am Vorgehen gegen die Bewohner, wurden aber beschuldigt, die Lagereingänge abgeriegelt, ihre Verbündeten in der Nacht mit Leuchtraketen unterstützt und für Verpflegung und Munitionsnachschub Sorge getragen zu haben. Verifiziert ist die Zahl von knapp 1400 Opfern, mitunter werden in Schätzungen aber auch bis zu 3300 Tote genannt.

Ariel Scharon war in der Knesset um eine Rechtfertigung bemüht

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) stufte das Massaker am 16. Dezember 1982 als Genozid ein. Vor der Knesset, dem israelischen Parlament, war der Verteidigungsminister Ariel Scharon um Rechtfertigung bemüht. Als man dem Einsatz von Phalange-Kämpfern in den Lagern zugestimmt habe, „wurde ausdrücklich betont, dass die Operation gegen Terroristen gerichtet ist und dass die Zivilbevölkerung nicht in Mitleidenschaft gezogen wird – ganz besonders nicht Frauen, Kinder und Alte“. In Tel Aviv wurde auf einer Demonstration mit 400.000 Teilnehmern sein Rücktritt gefordert. 

Am 28. September 1982 wurde in Israel eine vom Präsidenten des Obersten Gerichts, Jitzchak Kahan, geleitete Untersuchungskommission eingesetzt. Scharon wurde politische Mitverantwortung am Massaker zugesprochen. 1983 verlor er seinen Posten als Verteidigungsminister. Auch Generalstabschef Rafael Eitan wurde abgelöst. Scharon sollte dann 2001 für ein halbes Jahrzehnt israelischer Ministerpräsident werden. Strafrechtliche Folgen hatte das Massaker für keinen der Beteiligten. 

Das Attentat auf Gemayel, das Anlass für die sich anschließenden Grausamkeiten gewesen war, ging nicht zulasten der Palästinenser. Verübt wurde es vom libanesischen Christen Habib Tanious Shartouni, der als Grund angab, Gemayel habe den Libanon an Israel verkaufen wollen. 

Das Massaker ereignete sich vor dem Hintergrund des libanesischen Bürgerkrieges. Der brach 1975 aus und erstreckte sich bis 1990. Die seit Ende 1943 unabhängig Libanesische Republik ist von Anfang an von der Konfliktlinie zwischen den libanesischen Christen und dem moslemischen Bevölkerungsteil geprägt gewesen. Während die Christen westliche beziehungsweise US-amerikanische Unterstützung erfuhren, bekamen die Moslems Rückhalt aus der arabischen Welt. 

Strafrechtliche Folgen hatte das Massaker für keinen der Beteiligten 

Eine neue Situation entstand, als es der von Jassir Arafat geführten PLO möglich war, infolge des Kairoer Abkommens von 1969 im Libanon eine Art Staat im Staate zu etablieren. Von dort führten die Palästinenser Operationen gegen Israel durch. 

Das ohnehin fragile politische System des Libanon, das auf einer Reihe von Quoten für die beiden großen religiösen Gruppierungen beruhte, wurde durch die palästinensischen Flüchtlinge aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Rufe nach größerer Beteiligung der Moslems wurden lauter. Das Ganze entwickelte sich zum Bürgerkrieg, auf beiden Seiten eskalierte die Gewalt, weit über militärische Auseinandersetzungen hinaus. So kam es im Januar 1976 etwa innerhalb weniger Tage zu zwei Massakern: Für die Vorgänge von Karantina waren christliche Milizen verantwortlich, für die Taten von Damur moslemische Kämpfer. 

Von eigenen Sicherheitsinteressen geleitet, positionierte sich Israel im libanesischen Bürgerkrieg auf der Seite der prowestlichen beziehungsweise pro-US-amerikanischen Christen. Im März 1978 wurde in der Operation Litani der Süden Libanons besetzt. Am 6. Juni 1982 startete Israel die Operation Frieden für Galiläa. Dieses Mal war Beirut das Ziel. Die im Westteil der Stadt verschanzten PLO-Truppen wurden beschossen und belagert. Nach mehreren Wochen wurde unter Vermittlung von Philip Habib, einem US-Diplomaten mit libanesischen Wurzeln, eine Evakuierungsabkommen geschlossen. Durch eine westlich-mulinationale Eingreiftruppe überwacht, sollten die PLO-Kämpfer abziehen, die Sicherheit der in den Flüchtlingslagern lebenden palästinensischen Zivilisten sollte garantiert werden. Am 1. September war der Abzug beendet. 

Der gerade gewählte Präsident Gemayel erklärte: „Ich werde zur Einheit des Landes aufrufen, ich werde alle Libanesen auffordern, sich zu vereinen.“ Nur wenige Tage später wurde er ermordet. Aufgrund der Annahme, in Sabra und Schatila hielten sich noch 2000 schwerbewaffnete PLO-Kämpfer verborgen, in deren Reihen sich die Attentäter befänden, umschlossen die Israelis am 15. September die Lager. Am 16. September drangen die Force Libanaises unter Führung von Elie Hobeika ein und massakrierten bis zum übernächsten Tag die zu einem großen Teil wehrlosen Bewohner.