25.04.2024

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Folge 38-22 vom 23. September 2022 / Manieren / „Wo willst’n hin?“ / Wenn die „Berliner Schnauze“ zum guten Ton wird – Immer häufiger reden Behörden die Bürger mit dem kumpelhaften „Du“ an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-22 vom 23. September 2022

Manieren
„Wo willst’n hin?“
Wenn die „Berliner Schnauze“ zum guten Ton wird – Immer häufiger reden Behörden die Bürger mit dem kumpelhaften „Du“ an
Norman Hanert

Als die Hauptstadt vor vier Jahren zum Bürgerfest lud, um den Tag der Deutschen Einheit zu feiern, griff der damalige Regierende Bürgermeister Michael Müller passend zum zwanglosen Image Berlins zum Motto: „Nur mit Euch“. Auch die hauptstädtische Verkehrsgesellschaft BVG findet nichts dabei, ihre Kunden einfach zu Duzen: „Weil wir dich lieben“ sieht das landeseigene Unternehmen möglicherweise nicht nur als Werbebotschaft, sondern vermutlich auch gleich als Begründung, die Kunden mit einem distanzlos vertraulichen „Du“ anzureden. 

Ganz selbstverständlich läuft auch die Nachwuchssuche der Berliner Polizei mittlerweile mit einem „Da für dich“ in einem Ton ab, wie bei einem Ehepaar. Kaum verwunderlich ist, dass auch so mancher Brief einer Behörde, den der Berliner in seinem Briefkasten findet, mit der Anrede „Lieber Andreas Schulze“ oder „Liebe Monika Müller“ beginnt. Beim Lesen des Schreibens wird dann klar, dass die vertrauliche Anrede kein Ausrutscher eines jugendlichen Referendars war. Der kumpelhafte Tonfall wird bis zum Ende konsequent durchgehalten. 

Umso enttäuschender ist es für den Bürger, wenn sich am Ende herausstellt, dass es dem sich so locker gebenden Absender letztendlich doch nur wieder nur um das schnöde Geld der Steuerzahler geht. Zurück ist damit allerdings auch ein Zustand wie im Mittelalter, als Klerus und Adel jeden der normalen Landbevölkerung, der keine besondere Stellung innehatte, dutzten.

Berlins Politiker und Behörden sind mit ihrer Dauerduzerei zwangloser unterwegs, als dies selbst die hauptstädtischen Taxifahrer mit ihrer berühmten „Berliner Schnauze“ wagen würden. Selbst diese sind dezent genug, ihren Fahrgästen nach dem Einsteigen nicht gleich mit einem „Wo willst’n hin?“ auf die Pelle zu rücken.

Manch alteingesessener Westberliner mag die inflationär um sich greifende Duzerei als weiteren Beleg dafür sehen, dass die wiedervereinigte Stadt seit dem Mauerfall immer mehr „vorostet“.

Tatsächlich forderte aber auch die Deutsche Bundespost noch bis in die 1970er Jahre an öffentlichen Fernsprechern ihre Kunden gut sichtbar auf: „Fasse Dich kurz!“ Bereits in den 1930er Jahren belehrte die Reichsbahn die Reisenden noch in Frakturschrift: „Nimm Rücksicht auf Wartende – Fasse dich kurz.“

Dieser schnörkellose Kommunikationsstil hat in der Corona-Pandemie eine neue Blütezeit erlebt. Kaum eine Supermarktkette, die bei Hinweisen wie „Halte bitte Abstand“ oder Durchsagen wie „Wir bitten euch, nur in haushaltsüblichen Mengen einzukaufen“ auf eine kumpelhafte Anrede verzichten wollte.

Allerdings waren die Verbraucher auf solche Kundenansprachen vorbereitet, etwa durch einen großen schwedischen Möbelhändler, der schon 2002 fragte: „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ 

Ikea griff damit das in Skandinavien ohnehin übliche Duzen auf. Hierzulande war die Möbelkette damit das erste größere Unternehmen, das in seiner Werbung konsequent auf das „Sie“ gegenüber den Kunden verzichtete. Das Internet hat dafür gesorgt, dass sich das unaufgefordert „Du“ immer weiter durchgesetzt hat.

In den sozialen Medien ist es inzwischen üblich, fremde Mitmenschen beim Vornamen zu nennen. Die Frage, ob mit dem Siegeszug der zwanglos kumpelhaften Anrede letztendlich auch die Hemmschwelle zu einem groben Umgangston und Beleidigungen innerhalb der Gesellschaft absinkt, mögen künftige Generationen von Soziologen und Psychologen beantworten.