26.04.2024

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Folge 39-22 vom 30. September 2022 / Leitartikel / Römisches Menetekel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-22 vom 30. September 2022

Leitartikel
Römisches Menetekel
René Nehring

Die Aufregung war groß Anfang der Woche. Als in der Nacht zum Montag die ersten Prognosen für das Ergebnis der italienischen Parlamentswahl eintrudelten, schienen die Albträume zahlreicher europäischer Eliten und die Träume europäischer Populisten wahr zu werden. Seit den Morgenstunden des 26. September steht nun fest: Italien bekommt eine 

Mitte-Rechts-Regierung aus den Parteien „Fratelli d’Italia“ („Brüder Italiens“, unter der Führung von Giorgia Meloni), „Lega“ (geführt von Matteo Salvini) und „Forza Italia“ („Vorwärts Italien“, unter der Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi). 

Vor allem das linke Spektrum des politischen Establishments in Berlin, Paris, Brüssel und anderen Hauptstädten zeigte sich am Montag erwartungsgemäß schockiert: Als „kein gutes Zeichen für Europa“ bezeichnete etwa die Grünen-Europaabgeordnete Alexandra Geese als eine von vielen Stimmen ihres Lagers das Ergebnis der Wahl. 

Ganz anders zeigte sich Manfred Weber, Vorsitzender der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament. Er war nicht nur im Vorfeld der Wahl nach Italien gereist, um Silvio Berlusconi offen zu unterstützen, sondern gratulierte ihm auch im Nachhinein zum Wahlerfolg und verteidigte die Schwesterpartei „Forza Italia“ als „eine zutiefst europäische Kraft“. 

Brüsseler Drohungen

Dass diese Einschätzung nicht alle Christdemokraten teilen, zeigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) vor der Wahl während eines Auftritts an der Universität von Princeton. Auf die Frage einer Studentin, welche Befürchtungen sie mit einem rechten Wahlsieg verbinde, entgegnete sie: „Wenn sich die Dinge in eine schwierige Richtung entwickeln – ich habe von Ungarn und Polen gesprochen –, dann verfügen wir über Instrumente.“ Eine unverhohlene Drohung, die nicht nur ein zweifelhaftes Demokratieverständnis offenbarte, sondern sehr wahrscheinlich auch Wasser auf die Mühlen des Wahlkampfes der seit Jahren gegen die als Fremdbestimmung empfundene Politik Brüssels wetternden Rechtsparteien war. 

Von der Leyens Drohung ist nicht zuletzt deshalb befremdlich, weil das Mitte-Rechts-Bündnis – unabhängig davon, wie man inhaltlich zu ihm stehen mag – anders als die Vorgängerregierungen der letzten Jahre über eine Mehrheit im italienischen Parlament verfügt. Dass es der Präsidentin der EU-Kommission offenkundig lieber ist, dass ihr genehme Ministerpräsidenten ohne Rückhalt im Parlament regieren als eine von der Mehrheit der Wähler getragene, zeigt eine überaus fragwürdige Prioritätensetzung. 

Der Weltuntergang fällt aus

Nun, da sich die erste Aufregung gelegt hat, ist es an der Zeit für ein paar abwägende Gedanken. Diese ergeben zum einen, dass sich mit der Wahl in Italien letztlich die Verhältnisse in der Europäischen Union kaum ändern werden; zum anderen jedoch, dass auch jene, die es gut mit der EU halten – vor allem das Brüsseler Establishment –, ihren Kurs der letzten Jahre überdenken sollten. 

Wer sich die Zusammensetzung der künftigen Regierung in Rom ansieht, erkennt schnell, dass diese maßgeblich von den gleichen Kräften getragen wird wie in den 1990er Jahren das erste Kabinett Berlusconi. Lediglich die Reihenfolge war eine andere, und die „Fratelli d’Italia“ hießen damals noch „Alleanza Nazionale“. Die lodernde grün-weiß-rote Flamme des neofaschistischen „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) tragen die „Fratelli“ freilich genauso wie damals die „Alleanza“. 

Auch in den neunziger Jahren war der Aufschrei zunächst groß. Doch schon bald zeigte sich für die Kritiker des Mitte-Rechts-Bündnisses, dass Italien und die EU nicht untergingen – und für deren Anhänger, dass auch die Kräfte rechts der Mitte keine andere Republik herbeizaubern konnten. 

Inzwischen sind die Spielräume für die italienische Politik noch enger, nicht zuletzt aufgrund einer stetig gestiegenen Staatsverschuldung und der damit einhergehenden Abhängigkeit von EU-Geldern, beziehungsweise von der Notenpresse der EZB. Mögen insbesondere Meloni und Salvini auch gegen Brüssel, Frankfurt oder Berlin poltern, letztendlich wissen sie, dass ihr Land – anders als die Briten, die vor dem Brexit als Nettozahler auf eigenen Beinen standen – ohne die Union und ohne deren deutsche Beitragszahlungen kaum bestehen kann.

Gleichwohl sollten sich die Eliten in Brüssel und in den anderen europäischen Hauptstädten keineswegs zurücklehnen. Vielmehr bestätigt die Wahl der Italiener wie schon zuvor der Schweden, Polen, Ungarn, Tschechen, Slowaken, Franzosen etc. eine wachsende Unzufriedenheit der Bürger mit der Politik der etablierten Kräfte in der EU. Anstatt – wie nun von der Leyen – den Bürgern zu drohen, wäre es höchste Zeit, deren Sorgen zu hören und ernst zu nehmen – sowie entsprechend zu handeln. Es ist geradezu erschreckend, wie selbstverständlich Spitzenpolitiker die Wähler vor einer „falschen“ Stimmabgabe warnen – ohne die Frage zu diskutieren, warum die Bürger nicht mehr denjenigen Kräften vertrauen, bei denen sie jahrzehntelang zuvor ihr Kreuz gesetzt haben. 

Mahnung an die EU-Eliten

Dass tatsächlich ein Umdenken einsetzen wird, darf indes bezweifelt werden. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte die EU-Kommission ein Papier, das ihr in künftigen Krisenfällen – die allein sie bestimmt – weitere Kompetenzen einräumen soll; bis hin zur Möglichkeit, Unternehmen vorschreiben zu können, was diese zu produzieren haben. Aus einem Staatenbund, der sich einst über „vier Freiheiten“ (die Freiheit des Personenverkehrs, des Warenverkehrs, des Dienstleistungsverkehrs sowie des Kapitalverkehrs) definierte, ist längst ein Gebilde mit dem Anspruch eines Superstaats geworden, der in immer weitere Bereiche des öffentlichen Lebens eingreift – und dennoch in Stunden der Bewährung regelmäßig versagt. 

Mögen die Italiener auch keine Option auf einen Alleingang haben, so zeigt der Trend der letzten Wahlen in den EU-Ländern doch eindeutig eine wachsende Bereitschaft der Bürger, sich die Übergriffigkeit der Union nicht mehr länger gefallen zu lassen.