26.04.2024

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Folge 39-22 vom 30. September 2022 / Zweiter Weltkrieg / Wie rot war die „Rote Kapelle“? / Vor 80 Jahren wurde der Kreis um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack enttarnt, verhaftet und abgeurteilt. Seine Bewertung in Bundesrepublik und DDR war abhängig von Zeitgeist und politischer Großwetterlage

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-22 vom 30. September 2022

Zweiter Weltkrieg
Wie rot war die „Rote Kapelle“?
Vor 80 Jahren wurde der Kreis um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack enttarnt, verhaftet und abgeurteilt. Seine Bewertung in Bundesrepublik und DDR war abhängig von Zeitgeist und politischer Großwetterlage
Norman Hanert

Rote Kapelle“ ist keine Eigen-, sondern eine Fremdbezeichnung. Unter diesem Namen fasste die Gestapo Gruppen zusammen, denen sie eine Nähe zur und Funkkontakt mit der Sowjetunion unterstellte, mit der sich das Dritte Reich seit 1941 im Kriegszustand befand.

Stefan Roloff schreibt hierzu in seinem 2002 bei Ullstein erschienenen Buch „Die Rote Kapelle“: „Wegen ihres Kontaktes mit den Sowjets wurden die Brüsseler und Berliner Gruppen von der Spionageabwehr und der Gestapo unter dem irreführenden Namen Rote Kapelle zusammengefasst. Ein Funker, der mit seinen Fingern Morsecodezeichen klopfte, war in der Geheimdienstsprache ein Pianist. Eine Gruppe von ,Pianisten‘ bildete eine ,Kapelle‘, und da die Morsezeichen aus Moskau gekommen waren, war die ,Kapelle‘ kommunistisch und damit rot.“

Dieser „Roten Kapelle“ ordnete die Gestapo auch eine Gruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack zu. Im Rahmen der Zerschlagung dieser Gruppe lief ausgehend von der Gestapo-Zentrale in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße am 31. August 1942 eine Verhaftungswelle an, bei der bis zum 12. September des Jahres über einhundert Personen festgenommen wurden. 

Auftakt der Verhaftungswelle war die Festnahme des Oberleutnants der Luftwaffe Harro Schulze-Boysen am 31. August 1942. Der Großneffe des Großadmirals Alfred von Tirpitz wird in seinem Büro im Reichsluftfahrtministerium festgenommen und in das Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße gebracht. Schulze-Boysens Ehefrau Libertas versuchte zunächst noch zu fliehen, wurde aber am 3. September auf dem Berliner Anhalter Bahnhof, bereits im Zug sitzend, von der Gestapo verhaftet. Die Enkelin des Fürsten Philipp zu Eulenburg hatte in der Kulturfilmzentrale des Reichspropagandaministeriums gearbeitet. 

Am 7. September 1942 tauchte die Gestapo auch auf der Kurischen Nehrung auf, auf der sie Arvid Harnack, Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium, und seine Ehefrau Mildred, eine gebürtige US-Amerikanerin, festnahm. Bis zum 12. September 1942 wurden über 120 Angehörige der Berliner Gruppe um Schulze-Boysen und Harnack verhaftet. Bis Juni 1943 gelang es der Gestapo, durch Verhöre oder Bespitzelung in den Zellen der Verhafteten nochmals 80 Personen aus dem Umfeld des Kreises zu identifizieren.

130 Personen wurden verhaftet

Insgesamt wurden von September 1942 bis zum März 1943 fast 130 Personen verhaftet. Mindestens 57 von ihnen wurden vom Reichskriegsgericht oder vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, begingen in der Haft Selbstmord oder wurden ohne Gerichtsurteil ermordet. Noch kurz vor Weihnachten, am 22. Dezember 1942, wurden elf Männer und Frauen im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet. Adolf Hitler hatte nicht nur alle Gnadengesuche abgelehnt, sondern in einigen Fällen auch härtere Strafen gefordert als die vom Reichskriegsgericht verhängten.

Die Gruppe umfasste gleichgesinnte Menschen verschiedenster Herkunft und politischer Orientierung. Schulze-Boysen hatte vor 1933 als Herausgeber der Zeitschrift „gegner“ mit nationalkommunistischen Ideen geliebäugelt. Zur Gruppe gehörten aber auch der vormalige preußische Kultusminister Adolf Grimme, ein religiös geprägter Sozialdemokrat. Die Bandbreite der Aktionen reichte von der Hilfe für Juden bis hin zum Verteilen von Flugblättern. Ein engerer Kreis um Schulze-Boysen sammelte und übermittelte allerdings auch geheime militärische Informationen an den KGB-Vorläufer NKGB.

Angesichts dieser Gemengelage ist nicht erstaunlich, dass sich die Bewertung der Gruppe im Laufe der Jahrzehnte immer wieder geändert hat, je nach politischer Großwetterlage und Zeitgeist. Geprägt von der Atmosphäre des Kalten Krieges und auch von Enttarnungen sowjetischer Agenten wie Klaus Fuchs, Georg Blake, Donald Maclean, Guy Bur­gess oder Kim Philby wurde der Schulze-Boysen/Harnack-Kreis im Westen Deutschlands zunächst oftmals nur als reines Spionagenetzwerk von Landesverrätern angesehen. 

SU-Agenten oder Widerständler?

Als Zeichen für eine Neubewertung kann der ARD-Mehrteiler „Die Rote Kapelle“ von 1972 stehen. Die Produktion auf Grundlage des Buchs „Kennwort Direktor“ von Heinz Höhne schilderte die Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe zwar auch als Nebenarm eines größeren Agentennetzes des sowjetischen Militärgeheimdienstes in Westeuropa unter Führung des „Gran Chef“ Leo Trepper, daneben aber auch als Widerstandsorganisation.

Auch die Geschichtsschreibung in der DDR hatte ihre Probleme mit der Gruppe um Schulze-Boysen und Har­nack. Greta Kuckhoff, eine Überlebende, konnte 1948 in Ost-Berlin mehrere Artikel zum Prozess gegen Mitglieder der Gruppe in den Zeitschriften „Aufbau“ und „Die Weltbühne“ veröffentlichen. Lange galt es in der DDR als Tabu, öffentlich über sowjetische Geheimdienstaktivitäten zu berichten. Erst als die Sowjetunion im Jahr 1969 durch die posthume Verleihung von Militärorden an Schulze-Boysen und andere Gruppenmitglieder die Spionagetätigkeit publik machte und damit bestätigte, setzte auch in der DDR eine breite Thematisierung ein. 

Im Jahr 1970 drehte die DEFA den Film „KLK an PTX – Die Rote Kapelle“. Entworfen wurde darin das Bild einer kommunistisch gelenkten antifaschistischen Widerstandsgruppe, deren führende Köpfe zugleich auch als „Kundschafter“ für die Sowjetunion aktiv waren.

In der heutigen Berliner Republik überwiegt die Darstellung der „Roten Kapelle“ als Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus, während die Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Armeegeheimdienst GRU und dem NKGB entweder immer stärker in den Hintergrund gerückt oder als zweifelhaft dargestellt wird. Ungeachtet der 1969 durch das Präsidium des Obersten Sowjets verliehenen Rotbanner-Orden an Mitglieder der „Roten Kapelle“ heißt es bei der Bundeszentrale für politische Bildung beispielsweise nun: „Was und wie viel Harnack und Schulze-Boysen tatsächlich der sowjetischen Seite berichteten, war in der historischen Forschung lange umstritten. Ein durchgängiger Kontakt kam wohl nicht zustande.“





Mitglieder des Schulze-Boysen/Harnack-Kreises

Arvid Harnack wurde am 19. Dezember 1942 vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und drei  Tage später im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee erhängt.

Libertas Schulze-Boysen wurde am 9. Dezember 1942 vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und 13 Tage später in Berlin-Plötzensee enthauptet.

Adolf Grimme war Kultusminister Preußens und Niedersachsens sowie der erste Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR).