27.04.2024

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Folge 40-22 vom 07. Oktober 2022 / Richterspruch / Wahl 2021 muss wohl wiederholt werden / Landesverfassungsgericht stellt Berliner Wahlmanagement ein verheerendes Zeugnis aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-22 vom 07. Oktober 2022

Richterspruch
Wahl 2021 muss wohl wiederholt werden
Landesverfassungsgericht stellt Berliner Wahlmanagement ein verheerendes Zeugnis aus
Frank Bücker

Das Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofes zum Chaos bei der Abgeordnetenhauswahl im September 2021 könnte auch Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages haben. Am 28. September 2022 kündigte die Gerichtspräsidentin Ludgera Selting an, die gesamten Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhauses für ungültig erklären zu wollen. Der Urnengang sei nicht nur in Teilbereichen fehlerhaft und zu wiederholen, sondern dies treffe auf die gesamte Wahl zu. Schon die Vorbereitung der Wahl war unzureichend. 

Die Aufstellung von nur zwei Wahlkabinen in den Wahllokalen bei 800 bis 1500 Wahlberechtigten je Stimmbezirk hätte es vielen Wahlberechtigten unmöglich gemacht, ihr Wahlrecht auszuüben. Dass die Lokale zudem mit einer erkennbar zu geringen Anzahl an Stimmzetteln auszustatten gewesen seien, sei ein zweiter irreparabler Fehler gewesen. In anderen Wahllokalen seien falsche Stimmzettel ausgegeben worden. In Friedrichshain-Kreuzberg seien mehr als tausend Wahlzettel einfach kopiert und an Wahlberechtigte ausgeteilt worden. In zahlreichen Wahllokalen konnten die Berliner gar noch nach 18 Uhr – nachdem die ersten Hochrechnungen über den Bildschirm geflimmert waren – ihre Stimme abgeben. 

Wahlleiterin wehrt sich

Aus all diesen Gründen könne nur durch eine komplette Wahlwiederholung ein verfassungskonformer Zustand herbeigeführt werden. Die Kläger wie die AfD, die Satirepartei „Die Partei“ und Marcel Luthe (früher FDP, jetzt Freie Wähler) zeigten sich mit den Äußerungen der Gerichtspräsidentin zufrieden. 

Die amtierende Landeswahlleiterin Ulrike Rockmann dagegen hatte zwar selbst die Wahlen angefochten, meinte aber, nach ihren Einschätzungen seien die Beanstandungen nicht mandatsrelevant. Eine Wahlwiederholung käme nur bei den Erststimmen in zwei Wahlkreisen in Frage: „Wir kennen den Eisberg – es ist alles so weit aufgeklärt worden, wie es geht“, hielt sie der Gerichtspräsidentin entgegen, nachdem diese bei den bisher nachgewiesenen Wahlfehlern von einer „Spitze des Eisbergs“ gesprochen hatte. Rockmann weiter: „Es hat eben kein flächendeckendes Versagen der Wahlorganisation gegeben.“ 

Innenstaatssekretär (in Vertretung des Innensenators) Torsten Akmann gab immerhin zu, dass es auch im Bereich der (wichtigeren) Zweitstimmen zu mandatsrelevanten Fehlern gekommen sei. Aber eine Wahlwiederholung sollte es nach seinem Ermessen nur in etwa 200 Stimmbezirken geben. In den übrigen der etwas mehr als 2700 Stimmbezirken sei der Wahlvorgang beanstandungslos verlaufen. Der Senatsverwaltung ging es maximal um einen erneuten Urnengang in 14 Wahllokalen in drei von 78 Wahlkreisen. 

Der Rechtsvertreter der Senatsinnenverwaltung forderte, die Klage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen, was eine weitere Verzögerung einer Wiederholungswahl nach sich zöge. Er sorge sich um das Ansehen der Demokratie, da eine Wiederholung auch die Stimmen all jener, die vor einem Jahr problemlos wählen konnten, was in 90 Prozent der Wahllokale so gewesen sei, entwertete: „Ich fürchte, dass Sie das Kind mit dem Bade ausschütten.“

Drei Monate bis zum Urteil

Der Präsident des Abgeordnetenhauses, Dennis Buchner, und sein Rechtsvertreter beklagten sich darüber, dass ein Gericht und nicht das Parlament über die Wahlanfechtung entscheide. Dem Senat nahestehende Juristen kritisierten ebenfalls die zu erwartende Gerichtsentscheidung. Der Verwaltungsrechtler Christian Pestalozza: „Der Umfang einer Wahlwiederholung muss im Verhältnis zu den Wahlfehlern stehen. Man kann nicht flächendeckend neu wählen, wenn die Wahl zu großen Teilen fehlerfrei war.“ Von der Senatsinnenverwaltung hieß es inzwischen, man wolle das Urteil zur Wahl akzeptieren.

Die mitregierenden Grünen und Linken schlossen sich der von den drei Oppositionsparteien geübten Kritik am jetzigen Bausenator und damaligen Innensenator Andreas Geisel (SPD) an. 

Nach der Verhandlung haben die Richter laut Gesetz drei Monate Zeit für ein Urteil. Sollte das Urteil wie erwartet ausfallen, müssten innerhalb von 90 Tagen Neuwahlen erfolgen – voraussichtlich also im Februar oder März. 

Immerhin vertrat Gerichtspräsidentin Selting die Auffassung, dass das fehlerhaft gewählte Parlament weiter tagen und auch Beschlüsse fassen könne. Die stellvertretende Regierungschefin Bettina Jarasch (Grüne) fürchtet indes: „Wir stehen vor einem heftigen Krisenwinter und tragen als Senat die Verantwortung dafür, dass wir jetzt nicht in einen Stillstand geraten ... Das letzte, was die Berlinerinnen und Berlin jetzt brauchen, ist gegenseitige Wahlkampfblockade.“