25.04.2024

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Folge 40-22 vom 07. Oktober 2022 / Kontinentalsperre / Als Frankreich versuchte, England mit Sanktionen in die Knie zu zwingen / Vor etwas mehr als zweihundert Jahren haben sich die Deutschen schon einmal an der Seite einer westlichen Führungsmacht an einem großen Wirtschaftskrieg gegen eine Großmacht beteiligt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-22 vom 07. Oktober 2022

Kontinentalsperre
Als Frankreich versuchte, England mit Sanktionen in die Knie zu zwingen
Vor etwas mehr als zweihundert Jahren haben sich die Deutschen schon einmal an der Seite einer westlichen Führungsmacht an einem großen Wirtschaftskrieg gegen eine Großmacht beteiligt
Wolfgang Kaufmann

Seit es Konflikte zwischen Staaten gibt, wird auch zu Wirtschaftssanktionen gegriffen, um den Feind in die Knie zu zwingen. Insofern sind die jetzigen Maßnahmen gegen Russland als Reaktion auf den Einmarsch der Truppen Moskaus in die Ukraine kein Novum. 

Zu der Strategie, die gegnerische Seite daran zu hindern, Einnahmen durch den Export von Waren oder Rohstoffen zu erzielen und im Gegenzug überlebenswichtige oder strategisch unverzichtbare Güter zu importieren, griff auch Napoleon I., nachdem er am 21. Oktober 1805 die Seeschlacht von Trafalgar verloren und seine Pläne für eine Eroberung der britischen Inseln hatte begraben müssen. Damit knüpfte er an frühere Wirtschaftssanktionen und Embargomaßnahmen Frankreichs gegen England ab 1793 an, die nun noch deutlich verschärft wurden. 

Am 21. November 1806  erließ der Kaiser der Franzosen nach dem Sieg über die preußisch-sächsische Armee in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt das von ihm selbst verfasste Berliner Dekret, in dem es unter anderem hieß: „Die britischen Inseln sind in Blockadezustand erklärt … Der Handel mit englischen Waren ist untersagt … Kein Fahrzeug, das direkt aus England oder den englischen Kolonien kommt, … darf in irgendeinem Hafen aufgenommen werden.“

Dieser sogenannten Kontinentalsperre mussten sich aufgrund der französischen Übermacht bis Ende 1807 sämtliche europäische Staaten mit Ausnahme von Schweden anschließen. Napoleon setzte vor allem auf die Unterbrechung der Getreideimporte der britischen Industrienation aus dem Baltikum und der Holzlieferungen für die englischen Marinewerften aus Russland sowie die völlige Unterbindung der Exporte von der Insel auf das europäische Festland. Letzteres sollte, so der Plan, gravierende Einnahmeverluste aufseiten des Vereinigten Königreiches nach sich ziehen und dessen Wirtschaft ruinieren. 

Doch dieser Plan ging nicht auf, obgleich Großbritannien zunächst mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. So kam es tatsächlich zu Engpässen beim Holz, bis Kanada in die Bresche sprang. Auch stiegen die Weizenpreise auf das Dreifache, was zu sozialen Unruhen führte. Allerdings konnte das Empire weiter Handel mit seinen Kolonien treiben und darüber hinaus neue Absatzmärkte in Südamerika und anderswo gewinnen, da die französische Seemacht gebrochen war. Außerdem umging Großbritannien die Blockade durch einen schwunghaften Schmuggel über das Osmanische Reich einschließlich des Balkans sowie die Nordseeinsel Helgoland.

Zum Schaden Deutschlands

Während das geplante Opfer der Kontinentalsperre also relativ ungeschoren blieb und seine wirtschaftlichen Positionen außerhalb Europas sogar ausbauen konnte, nahm das Land des Initiators der Sanktionen schweren Schaden. Denn die britische Gegenblockade zur See führte zu einer dramatischen Wirtschaftskrise in Frankreich, weil der Außenhandel über See kollabierte und die Verbindung zu den eigenen Kolonien weitgehend abriss. Andererseits profitierte die zumindest für Kontinentalverhältnisse vergleichsweise fortschrittliche französische Industrie von der Ausschaltung der britischen Konkurrenz auf dem Kontinent.

Ganz ähnlich wie heute gehörte Deutschland zu den Leidtragenden des von einem fremden Machthaber angezettelten Wirtschaftskrieges. Damals fehlten insbesondere essentielle Rohstoffe aus Übersee sowie die hochwertigen Industrieprodukte aus England, dem Innovationsmotor schlechthin. Andererseits entstanden dadurch starke Anreize, den eigenen Maschinenbau anzukurbeln und nach einfach herzustellenden Ersatzprodukten für Kaffee, Rohrzucker, Naturfarbstoffe und Ähnlichem zu suchen. Damit wurde letztlich die Grundlage für die deutsche Chemie- und Schwerindustrie geschaffen. 

Zu hoffen, dass es heute im Zusammenhang mit den Sanktionen gegen Russland hierzulande zu ähnlich segensreichen Effekten kommen wird, wäre allerdings naiv. Das weitere Beschreiten der Sackgasse „Energiewende“ lässt sich in keiner Weise mit den substantiellen und teilweise bis in die Gegenwart nachwirkenden wirtschaftlichen Fortschritten vergleichen, die aus der Kompensation der negativen Auswirkungen der Kontinentalsperre resultierten. 

Im Sommer 1810 sah sich Napoleon schließlich wegen der gravierenden Belastungen für die eigene Wirtschaft und Bevölkerung gezwungen, zurückzustecken und die Dekrete von Saint-Cloud und Trianon zu erlassen. Durch diese wurde die Einfuhr von britischen Kolonialwaren nach Frankreich ermöglicht, allerdings wurden diese Einfuhren mit hohen Zöllen und Abgaben an den Staat belegt, welche die Produkte erheblich verteuerten und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit schmälerten. Die Wiederaufnahme von Getreideausfuhren nach England machte die Kontinentalsperre praktisch wirkungslos.

Widerstand Russlands

Der endgültige Todesstoß für die Wirtschaftssanktionen gegen Großbritannien kam am 31. Dezember 1810. An dem Tag unterzeichnete Zar Alexander I. einen Ukas, mit dem er alle russischen Häfen für neutrale Schiffe mit englischen Waren an Bord öffnete, weil sein Land diese dringend benötigte. Das war einer der Gründe für Napoleons späteren Einmarsch in Russland, dessen katastrophales Scheitern das Ende der Herrschaft des Kaisers der Franzosen einleitete und die Kontinentalsperre obsolet machte.

Wie weiland bei Frankreichs Kontinentalsperre gegen Großbritannien leidet heute bei den Russlandsanktionen von USA und EU deren Wirksamkeit darunter, dass sich nicht die gesamte internationale Gemeinschaft geschlossen daran beteiligt. Auch jetzt schließen sich manche Länder den Sanktionen nicht an oder unterlaufen sie gezielt. Heute ist die Zahl und das wirtschaftliche Gewicht dieser Staaten sehr viel größer als damals. Deshalb wäre der Versuch, Abweichler zum Mitmachen zu zwingen, wie ihn Napoleon unternahm, noch aussichtsloser als sein damaliger Russlandfeldzug. 

Aber auch ohne ein derart spektakuläres Scheitern könnten die Teilnehmer an den Russlandsanktionen wie jene an der Kontinentalsperre letztlich auf der Verlierer- statt auf der Gewinnerseite stehen – mit Ausnahme der Vereinigten Staaten versteht sich, die Europa nun faktisch zum wirtschaftlichen Kanonenfutter degradiert haben.