27.04.2024

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Folge 40-22 vom 07. Oktober 2022 / Freiheit und Demokratie / Der Verfassungsschutz rückt auf immer dünneres Eis vor / „Delegitimierung von Repräsentanten und Institutionen des Staates“ als neuer „Phänomenbereich“: Ist das noch Schutz des Grundgesetzes oder bereits ein Angriff auf die Meinungsfreiheit?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-22 vom 07. Oktober 2022

Freiheit und Demokratie
Der Verfassungsschutz rückt auf immer dünneres Eis vor
„Delegitimierung von Repräsentanten und Institutionen des Staates“ als neuer „Phänomenbereich“: Ist das noch Schutz des Grundgesetzes oder bereits ein Angriff auf die Meinungsfreiheit?
Wolfgang Kaufmann

Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind … Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen. Sie fallen stets in den Schutzbereich von Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden … Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden … Der Meinungsäußernde ist insbesondere auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen zu teilen, da das Grundgesetz zwar auf die Werteloyalität baut, diese aber nicht erzwingt.“ 

So urteilte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Reaktion am 28. November 2011 auf eine Verfassungsbeschwerde anlässlich einer Verurteilung wegen Beihilfe zur Verunglimpfung des Staates gemäß Paragraph 90a des Strafgesetzbuchs.

„Vertrauen erschüttern“ reicht 

Knapp zehn Jahre später führte das Bundesamt für Verfassungsschutz einen neuen „Phänomenbereich“ namens „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ ein. Wen das Amt dabei genau im Auge hatte, teilte die Behörde unter anderem in ihrem Verfassungsschutzbericht für 2021 mit: „Die Akteure dieses Phänomenbereichs zielen … darauf ab, wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Geltung zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen erheblich zu beeinträchtigen. Sie machen demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen von Legislative, Exekutive und Judikative verächtlich, sprechen ihnen öffentlich die Legitimität ab und rufen zum Ignorieren behördlicher oder gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen auf.“ 

Weiter heißt es in der Definition des Inlandsgeheimdienstes: „Diese Form der Delegitimierung erfolgt meist nicht durch eine unmittelbare Infragestellung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen. Hierdurch kann das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttert und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden. Eine derartige Agitation steht im Widerspruch zu elementaren Verfassungsgrundsätzen wie dem Demokratieprinzip oder dem Rechtsstaatsprinzip. Solche Bestrebungen werden vom Verfassungsschutz in den Blick genommen, unabhängig davon, ob die dahinterstehende ideologische Ausrichtung einem bereits bekannten extremistischen Phänomen eindeutig zuzuordnen ist.“ 

Laut Gericht nicht dazu befugt

Zwischen diesen beiden Aussagen der Hüter unseres Grundgesetzes liegt eine von der Weltgesundheitsorganisation proklamierte Corona-Pandemie mit zahlreichen Grundrechtseinschränkungen seitens der deutschen Exekutive, welche von der Judikative nicht selten im Nachhinein für unrechtmäßig erklärt wurden. Trotzdem wertet der Verfassungsschutz die „Agitation“ gegen die verhängten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen als Beleg für eine „dynamische und demokratiegefährdende Entwicklung“ oder gar einen drohenden „Umsturz der bestehenden politischen Ordnung“ – Zeit also für die „wehrhafte Demokratie“, verstärkt Paroli zu bieten.

Tatsächlich haben Repräsentanten der Exkutive den Staat seit Anfang 2020 selbst delegitimiert, indem sie beispielsweise die vom Grundgesetz gar nicht vorgesehene Bund-Länder-Konferenz zum mächtigsten Entscheidungsgremium während der Pandemie machten, das im Zuge seiner undurchsichtigen „Corona-Gipfel“ auf autoritäre Art und an den Volksvertretungen vorbei über das Leben der Bürger und die Belange der Wirtschaft bestimmte. 

Dennoch wirft der Verfassungsschutz den „Angehörigen des Phänomenbereichs verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ nun vor, unzulässige „Analogien“ zum NS-Regime sowie zur Willkürherrschaft der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in der DDR gezogen und die „Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie … als diktatorisch bezeichnet“ zu haben. Paradoxerweise agiert der Verfassungsschutz unter der Ägide des politischen Beamten und CDU-Mitglieds Thomas Haldenwang dabei aber selbst wie ein lupenreiner Staatsschutz, wenn er mit geheimdienstlichen Mitteln zu verhindern trachtet, dass es zu einem Verlust an „Vertrauen in staatliche Institutionen und seine Repräsentanten“ kommt – wozu er laut Bundesverfassungsschutzgesetz überhaupt nicht befugt ist.

Verschwörungstheorie zum Ahrtal

Weiterhin tut der Verfassungsschutz etwas, das er gerne seinen neuen Beobachtungsobjekten unterstellt. In der „Corona-Protestszene … werden Verschwörungstheorien“ verbreitet, heißt es auf der Internetseite des Inlandsgeheimdienstes. Doch was ist beispielsweise mit dessen eigener Behauptung, es zeuge von der Absicht, den Staat zu delegitimieren, wenn jemand „sich zusammen mit weiteren Angehörigen des Phänomenbereichs“ in die Flutregion im Ahrtal begebe, „um ohne Absprache mit staatlichen Stellen des Zivilschutzes Unterstützung vor Ort zu leisten“ sowie Geld und Sachspenden an die Betroffenen zu verteilen? Es ist ja gerade der Wesenskern faktenfreier Verschwörungstheorien, hinter jeder Tat (und sei sie auch noch so gut) eine finstere Absicht zu wittern.

Hantieren mit Extremismus-Begriff

Dazu kommt der Versuch, „Angehörige des Delegitimierungs-Spektrums“ als Extremisten hinzustellen. Wie das Bundesverfassungsgericht in Reaktion auf die Verfassungsbeschwerde eines zu Publikationsunterlassung verurteilten Deutschen am 8. Dezember 2010 urteilte, sei die Frage, inwiefern eine Position als extremistisch „einzustufen ist, … eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung. Ihre Beantwortung steht in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen.“ 

Mit anderen Worten: Der Verfassungsschutz geht juristisch über sehr dünnes Eis, sobald er mit dem Extremismusbegriff operiert. Und wenn die „Querdenker“ selbst dann sogar noch diejenigen sind, welche bei ihren Aktionen auf die Einhaltung des Grundgesetzes pochen und anwesenden Polizisten ausgewählte Passagen daraus vorlesen, dann trägt dieses Eis mit Sicherheit keine einzige Sekunde. 

Auch sonst klafft eine riesige Strafbarkeitslücke im Hinblick auf das Verhalten der angeblichen Staats-Delegitimierer. Worin bestanden denn ihre konkreten bisherigen Vergehen in der Regel? Im Ignorieren von – oftmals unsinnigen oder sogar rechtswidrigen – „Corona-Schutzmaßnahmen und Auflagen der Versammlungsbehörden“? Das waren lediglich Ordnungswidrigkeiten. In der öffentlichen Ansprache der zuständigen Politiker? Ja, haben diese den Bürgern denn nicht Rechenschaft über ihr Tun zu leisten? In einer „konfrontativen Haltung gegenüber den eingesetzten Angehörigen von Polizei und Ordnungsbehörden“? 

Niemand weiß, wie viele V-Leute oder andere staatlich besoldete Provokateure sich unter die Demonstranten mischten. Denn die Bundesregierung verweigerte jegliche Antwort auf eine diesbezügliche Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der AfD. Letztlich basiert der gesamte neu eingeführte Phänomenbereich auf völlig vagen Kriterien, womit er nicht den Anforderungen eines Rechtsstaates entspricht. 

Experte: „Eine Nebelkerze“

Das ist auch das Fazit von Marcus Lutterbeck, Oberregierungsrat und Referent in der Stabsstelle Polizeiliche Extremismusprävention beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales: Die Verwendung des Begriffs der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ sei „eine Nebelkerze, die überdies im Sinne des Demokratieschutzes auch noch kontraproduktiv wirkt“. Nun nämlich verstärke sich bei vielen Bürgern „das diffuse Gefühl, nicht sicher zu sein, ob man sich mit seiner geäußerten Meinung nicht irgendwelchen Sanktionen aussetzt“.

Ansonsten identifizierte der Verfassungsschutz auch schon die Staatsfeinde von morgen: „Lange Zeit war die Coronapandemie das bestimmende Thema im Phänomenbereich der ‚Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates‘, der sich zukünftig aber auch auf neue und sich ggf. überlagernde Themen konzentrieren dürfte. Insbesondere gesellschaftliche Krisensituationen, etwa signifikante Einschränkungen im Zusammenhang mit Klimaschutzmaßnahmen (sic!) oder eine wirtschaftliche Rezession infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, können instrumentalisiert werden, um Institutionen und Repräsentanten des Staates systematisch zu delegitimieren und das demokratische System insgesamt zu diskreditieren.“

Befürchtungen offenbar bestätigt

Insofern hatten die Kritiker der Corona-Maßnahmen offenbar recht, als sie angesichts der plötzlichen Übergriffigkeit der staatlichen Organe warnten: Wehret den Anfängen! Dabei tut der Verfassungsschutz als Machtinstrument der derzeitigen ampelbunten Berliner Regierungsriege, die nach wie vor einer genuin grünen Agenda folgt, freilich das von ihm Erwartete, wenn er einerseits den Kreis der vorgeblichen Extremisten um ganz nach Bedarf aufzublähende Gruppen erweitert und andererseits den Bürgern signalisiert, wie schnell Kritiker oder Zweifler an der Exekutive heutzutage in den Fokus des deutschen Inlandsgeheimdienstes geraten können. Allerdings muss bezweifelt werden, ob dies das Richtige für unser Land sowie dessen auch und gerade vom Verfassungsschutz zu bewahrende freiheitlich-demokratische Grundordnung ist.