29.03.2024

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Folge 40-22 vom 07. Oktober 2022 / Baugeschichte / Bitte ducken / Ein Puppenhaus ist geräumiger – Das kleinste Haus in Wernigerode

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-22 vom 07. Oktober 2022

Baugeschichte
Bitte ducken
Ein Puppenhaus ist geräumiger – Das kleinste Haus in Wernigerode
Silvia Friedrich

Dass Menschen vergangener Jahrhunderte mit weit weniger auskommen mussten als wir heute, ist bekannt. Oftmals waren nicht nur schwere Arbeit und Hunger alltäglicher Begleiter der Bevölkerung, sondern auch sehr beengte Wohnverhältnisse. Wer in der Bilderbuchstadt Wernigerode im Harz durch die Gassen spaziert, wird mit Sicherheit auch an diesem Ort vorbeikommen, dem sogenannten „kleinsten Haus“. 

Neben Rathaus und Schloss gehöre es zu den berühmtesten Gebäuden Wernigerodes, steht eindrucksvoll auf der Eintrittskarte geschrieben, denn im Haus ist heute ein winziges Museum beheimatet. In der Kochstraße 43 schmiegt es sich nun seit 1792 zwischen zwei weitere Häuser, denn eigene Giebelwände hat es nicht. Errichtet wurde das kleine Gebäude im ehemaligen Handwerkerviertel, ganz nahe der Stadtmauer. Im Laufe der Zeit wohnten in dem Viertel Täschner, Tuchmacher, Röhrenbohrer und Schuhmacher, die sich hier nach und nach ansiedelten und auch in dem Häuschen wohnten.

Dass dieses Bauwerk überhaupt errichtet wurde, lag an einer 2,95 Meter breiten Baulücke zwischen zwei bereits bestehenden Gebäuden. Hier hinein quetschte man, sicher aus Sparsamkeitsgründen, das Haus mit einer Traufhöhe von 4,20 Meter und einer Eingangstür von grade mal 1,70 Meter Höhe. Wer sich beim Eintreten nicht den Kopf angestoßen hat, erblickt schmerzfrei im Erdgeschoss eine Diele und eine winzige Küche, im ersten Stock folgt ein etwa zehn Quadratmeter großer Raum, der als Wohnraum diente, und im Dachgeschoss befand sich der Schlafraum. 

Es ist für heutige Verhältnisse fast unvorstellbar, aber zeitweise wohnten hier zehn Menschen gleichzeitig, denn laut Museumsführer hatte die Familie auch noch einen Untermieter im Haus. Sie schliefen auf Matratzen, da die Höhe des Hauses es nicht erlaubte, auch noch Betten aufzustellen. Seit 1885 sind die Bewohner urkundlich belegt. So diente das Häuschen in den 1920er Jahren der Familie eines Oberschaffners mit seiner Frau und sieben Kindern als Behausung. Die Decken sind maximal 1,90 Meter hoch und – wie nicht anders zu erwarten in der damaligen Zeit – sucht man die Toilette im Haus vergeblich. Die nämlich befand sich draußen im Hinterhof.

Der Hinterhof ist, sicher wie damals, auch heute noch vollgestellt mit Dingen, die man zum Leben brauchte. In einer Ecke das Holzklo, in das die Museumsausstatter eine lebensgroße Puppe hineinsetzten, um es anschaulicher zu machen. Des Weiteren steht da ein Stumpen Holz mit einer Axt, womit die Bewohner sich Holzscheite für den Winter hacken konnten. Sicher gab es damals auch Tiere wie Hühner im winzigen Hof, um die große Familie zu ernähren, und ein immer noch dort stehender Holztrog lässt vermuten, dass man vielleicht tatsächlich manchmal auch noch ein Schwein dort hielt.

Noch bis 1976, also zu Zeiten der DDR, war das Haus bewohnt. In dem Jahr verstarb die letzte Nutzerin in sehr hohem Alter. Das Haus ist heute Eigentum der Stadt, und wer sich einmal ansehen möchte, wie unsere Vorfahren lebten, bekommt hier einen bemerkenswerten Einblick, und das für einen Eintritt, der so klein ist wie das Haus: einen Euro.