20.04.2024

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Folge 41-22 vom 14. Oktober 2022 / Deutschland droht der Geldinfarkt / Seit Jahren versucht der Bund, außergewöhnliche Krisen mit immer neuen „Rettungspaketen“ zu lösen. Die Belastung für den Staatshaushalt wurde dabei immer größer – und droht nun, diesen aus den Angeln zu heben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-22 vom 14. Oktober 2022

Deutschland droht der Geldinfarkt
Seit Jahren versucht der Bund, außergewöhnliche Krisen mit immer neuen „Rettungspaketen“ zu lösen. Die Belastung für den Staatshaushalt wurde dabei immer größer – und droht nun, diesen aus den Angeln zu heben
Konrad Badenheuer

Deutschland steht am Beginn einer ernsten Wirtschaftskrise. Niemand weiß, wie hart es kommen wird, aber eine Vorhersage ist sicher möglich: Die öffentlichen Finanzen werden massiv unter Druck kommen – weit schwerer als in vergleichbar tiefen Rezessionen der Vergangenheit. Denn zur Zeit rollt eine einzigartige Kombination von Belastungen auf Deutschland zu. Letzter Grund der Probleme ist ein falsches Verständnis dessen, was überhaupt die Aufgabe des Staates in der Marktwirtschaft ist und sein kann.  

Dass in einer Rezession die Staatsfinanzen unter Druck geraten, ist eine Binsenwahrheit. Die öffentlichen Haushalte haben höhere Ausgaben für Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger und gleichzeitig weniger Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben. Privatleute verdienen weniger und Firmen machen weniger Gewinn, folglich zahlen sie weniger Steuern. Je tiefer die Krise ist und je länger sie dauert, umso größer wird die Last für die öffentlichen Haushalte – soweit ist das Gemeingut in unserer politischen Klasse. Was in Berlin aber noch keineswegs durchgedrungen ist, das ist die heutige Sondersituation gerade auch mit Blick auf die Staatsfinanzen. Egal ob die Wirt-schaft im kommenden Jahr um zwei, vier oder womöglich acht Prozent in die Knie geht: Man kann jetzt schon sicher sagen, dass die Belastung der Staatsfinanzen deutlich schwerer ausfallen wird als bei vergleichbaren früheren Rezessionen, wobei das Land eine Schrumpfung der Wirtschaft um sechs oder mehr Prozent noch nicht erlebt hat. Der bisher stärkste Einbruch war im Jahr der Weltfinanzkrise 2009 mit minus 5,7 Prozent.

Sechs Unterschiede zu früheren Krisen

Gleich ein halbes Dutzend klarer Zusatzbelastungen hängen heute wie schwarze Gewitterwolken über der Zukunft unserer Staatsfinanzen. Der erste Punkt sind die massiv gestiegenen Energiepreise, genauer gesagt: der Versuch des Staates, diese um das Drei- bis Fünffache gestiegenen Preise soweit zu drücken, dass eine massive Pleitewelle vermieden wird. Auch die Rezessionen von 1975 und von 1982 wurden durch verteuerte Energie verursacht, aber damals hat der Staat nicht versucht, die Preise zu drücken. Heute sind die Belastungen so massiv, dass nicht viel anderes übrig bleibt. Doch die Kosten sind horrend: Bis zu 200 Milliarden Euro will der Bund dafür bis 2024 aufwenden. 

In den nächsten Tagen könnte sich erweisen, dass selbst diese Summe nicht ausreicht, um eine große Insolvenzwelle zu verhindern. Die Absurdität: Die Preisexplosion ist ja durch politische Fehlentscheidungen erst herbeigeführt worden, der Ukrainekrieg war eher Auslöser als Ursache der jetzigen Zuspitzung. Niemand hat die Bundesregierungen der letzten Jahre dazu gezwungen, bei bereits sehr hohen Strompreisen gleichzeitig aus Kohle und Kernkraft auszusteigen, dabei die eigenen Gasreserven nicht (mit „Fracking“) zu fördern, keine Flüssiggasimporte zu ermöglichen, sondern statt all dessen sich auf Russland als Hauptlieferanten für Erdgas zu verlassen. So gesehen versucht die Politik heute nur, die bitteren Folgen ihrer eigenen Fehlentscheidungen abzumildern. 

Der zweite Punkt sind die höheren Verteidigungslasten. Die Unterfinanzierung der Bundeswehr seit bald 25 Jahren mutet skandalös an. Auf bis zu 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hatte Deutschland seine „Anstrengungen“ für die äußere Sicherheit zeitweise absinken lassen. Noch Mitte der 1980er Jahre verfügte die alte Bundesrepublik über mehr als 3000 einsatzbereite Kampfpanzer. Zuletzt waren es im größer gewordenen Land noch etwa 120 – diese zwei Zahlen sagen eigentlich alles. Nun sollen die Versäumnisse aufgearbeitet werden, aber das kostet Unsummen über viele Jahre hinweg. Die erste Initiative dazu, das sogenannte  „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro, wurde bekanntlich gleich komplett auf Pump finanziert. 

Inflation freut den Finanzminister

Der dritte Punkt, der die Staatsfinanzen zusätzlich belastet, ist die demographische Entwicklung. Darüber wird seit Jahrzehnten viel geredet, aber jetzt sind wir an dem Punkt, wo es richtig Geld kostet. Viele Firmen können die in den Ruhestand gehenden Fachkräfte nicht mehr ersetzen und deswegen schlicht weniger Aufträge annehmen. Die Folge sind weniger Einnahmen des Staates aus Steuern und Sozialabgaben. Dass inzwischen ein bedeutender Teil der laufenden Rentenzahlungen aus dem Bundeshaushalt kommt, verschärft das Problem.

Die Inflation an sich ist übrigens keineswegs „Punkt vier“ in dieser traurigen Liste. Aus der Sicht des Finanzministers ist diese sogar eher ein Vorteil: Wenn die Nominaleinkommen steigen, dann werden die Bürger durch die Steuerprogression automatisch schärfer besteuert. Dieser Effekt tritt sogar dann ein, wenn die Gehälter langsamer steigen als die Preise – die real ärmer gewordenen Bürger werden dennoch zusätzlich geschröpft. Zudem entwertet Inflation die Staatsschuld – der andere Grund, warum sie nicht unbedingt zu den größten Sorgen des Finanzministers gehört. 

Punkt vier in dieser Liste ist darum nicht die Inflation, es sind die höheren Zinsen. Jahr für Jahr wird ein Teil der Bundesanleihen zur Tilgung fällig und durch neue Anleihen ersetzt. Dieser an sich eher technische Vorgang wird zum Problem, wenn die frischen Anleihen höhere Zinsen haben müssen als die alten, um Abnehmer zu finden. Das ist heute der Fall: Der Bund muss Anleihen mit null oder sogar minus 0,5 Prozent ersetzen durch neue, die wieder etwa zwei Prozent abwerfen. 

Vor allem sind diese aktuellen Zinssätze kaum das Ende der Fahnenstange. Bei einer Inflation von zehn Prozent – die Tendenz ist weiter steigend – wären auch Zinssätze von über zehn Prozent zu erwarten. Erst dann wäre ja nicht jeder Kredit ein sicheres Verlustgeschäft für den Gläubiger. Nominalzinsen in dieser Höhe, die wir in den frühen achtziger Jahren bereits hatten, würden aber den Bundeshaushalt massiv strapazieren und Länder wie Italien womöglich in die Pleite treiben. 

Anlageverluste von EZB und Bund

Schon jetzt haben die bisherigen, moderaten Zinserhöhungen einen unsichtbaren Effekt auf die Staatsfinanzen, auf den nun das Magazin „Börse Online“ hingewiesen hat. Seit 2015 kauft die EZB in großem Stil Staatsanleihen, auf schwindelerregende fünf Billionen Euro sind die Bestände der Notenbank inzwischen gewachsen. Die durchschnittliche Laufzeit liegt bei 7,5 Jahren, und die Kurse solcher Papiere sind seit Jahresanfang (spiegelbildlich zum Zinsanstieg) um 14 Prozent abgesackt. Das bedeutet aber, dass die EZB jetzt schon Buchverluste in Höhe von 700 Milliarden Euro auf ihren Anleihenbestand verkraften muss. Und von diesem Verlust entfallen rechnerisch 175 Milliarden auf die Bundesrepublik Deutschland. Der Verlust ist bereits eingetreten, auch wenn er noch in der Bilanz der EZB versteckt wird – und dieser Negativposten dürfte in der nächsten Zeit, mitten in der Rezession, noch viel größer werden. Früher gab es so etwas schon deswegen nicht, weil die Zentralbank gar keine Anleihen in der eigenen Währung halten durfte. Es ist Punkt fünf in der Liste der absehbaren Zusatzbelastungen für den deutschen Steuerzahler.

Wenn die EZB solide bilanzieren würde, müsste sie auf die erwähnten Kursverluste  Abschreibungen vornehmen und die Mitgliedsstaaten dafür zur Kasse bitten. Dazu aber ist sie – anders als früher die Bundesbank – nicht verpflichtet. Irgendwo im Kleingedruckten ihrer Bewertungsvorschriften findet sich die fatale Klausel, dass die EZB solche Bestände statt zu Marktpreisen auch „zu fortgeführten Anschaffungskosten“ bewerten kann. Eine an sich hoch politische Bestimmung, über die der Bundestag aber nie beraten hat und die überhaupt nur wenige Fachleute kennen. Sie zeigt, wie wenig von der anfänglichen Solidität der EZB noch übrig geblieben ist. 

Besonders fatal und zugleich die sechste drohende Zusatzbelastung für den deutschen Staat: Falls infolge von Zinserhöhungen Länder wie Italien oder Belgien zahlungsunfähig werden sollten, müsste Deutschland wohl neue „Rettungsaktionen“ ähnlich wie im Falle Griechenlands starten. Die Alternative nämlich, der Kollaps des Euro, wäre für die Deutschen noch viel teurer, weil dann viele kaum besicherte Forderungen Deutschlands gegen das Euro-System komplett verloren wären. Die wohl größte dieser Positionen ist die deutsche Forderung aus dem TARGET-Zahlungssystem der EZB. Sie lag im August 2022 bei sage und schreibe 1,245 Billionen Euro.

Ausgangspunkt eines Irrwegs

Bleibt die Frage, wie es soweit kommen konnte. Wie war es möglich, dass der Staat seit einigen Jahren immer neue Aufgaben an sich gezogen hat, die ihn nun schon in naher Zukunft überfordern könnten? Eine Schlüsselrolle hat dabei wohl die Bewältigung der Weltfinanzkrise des Jahres 2009 gespielt. Damals hat es der Staat mit riesigen Rettungspaketen, einer (rechtlich umstrittenen) Garantie der Bundeskanzlerin für die Spareinlagen und ein paar cleveren Einzelmaßnahmen geschafft, das Schlimmste zu verhindern. Die Krise des Jahres 2009 wurde durch zusätzliches Wachstum in den Folgejahren schnell ausgebügelt, und sogar der Schuldenstand des Bundes konnte bis 2019 wieder reduziert werden. 

Diese Erfahrung hat offenbar bei Politikern und auch Bürgern den falschen Eindruck erweckt, der Staat könne mit beherztem Handeln so ziemlich jede Krise lösen und jede soziale Belastung vermeiden. Doch was 2009 noch funktioniert hat, ist in den Folgejahren – bei der Euro-Krise ab 2010 und bei der Corona--Krise 2020/21 – nicht mehr wirklich gelungen. Zwar wurde der Bürger zunächst vor einigen Härten bewahrt, aber der Preis dieser Rettungsaktionen war hoch: Steigende Staatsschulden, ein kaum mehr überschaubares Geflecht von Haftungspflichten und Verbindlichkeiten im Euro-System sowie vor allem die fatale Linie der EZB, ohne Rücksicht auf die Preisstabilität Krisen aller Art mit frisch gedrucktem Geld zu überdecken, haben ein Problembündel geschaffen, das es so überhaupt noch nie gegeben hat. Zum Teil sind Ansätze von Staatswirtschaft unübersehbar, beispielsweise wurde kürzlich von der Bundesregierung im Ernst erwogen, mit Steuermitteln Firmen zu „retten“, die sich ohnehin bereits in Staatsbesitz befinden. 

Wo der Staat tatsächlich gebraucht wird

Während hier viel zu viel Staatsaktivität um sich greift, hat die Politik andere, echte Staatsaufgaben vernachlässigt: von der äußeren Sicherheit bis zur Schaffung von Verhältnissen, in denen zumindest so viele Kinder geboren werden, dass die Sozialversicherungen stabil bleiben. Bildlich gesprochen wurden in den letzten Jahren für die deutschen Staatsfinanzen mehrere Pulverfässer mit unterschiedlich langen Lunten scharf gemacht. Es kann passieren, dass uns in den kommenden Monaten gleich mehrere davon um die Ohren fliegen.