08.05.2024

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Folge 41-22 vom 14. Oktober 2022 / Kubakrise / Mit umgekehrtem Vorzeichen / Vor 60 Jahren waren es die USA, die versuchten, eine sie vermeintlich existentiell bedrohende Entwicklung in einem nach einem Systemwechsel unfreundlicher gewordenen Nachbarstaat mit Gewalt zu stoppen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-22 vom 14. Oktober 2022

Kubakrise
Mit umgekehrtem Vorzeichen
Vor 60 Jahren waren es die USA, die versuchten, eine sie vermeintlich existentiell bedrohende Entwicklung in einem nach einem Systemwechsel unfreundlicher gewordenen Nachbarstaat mit Gewalt zu stoppen
Wolfgang Kaufmann

Die Kubakrise entzündete sich an einer vor 60 Jahren zunehmenden gegenseitigen Bedrohung der Supermächte und deren Blöcke mit Mittelstreckenraketen mit Nukleargefechtsköpfen. 1958 verlegte die Sowjetunion derartige Waffen in die DDR. Im darauffolgenden Jahr verlegte sie sie zwar zurück ins Königsberger Gebiet, doch auch von dort aus bedrohten sie NATO-Territorium. 

Die USA reagierten hierauf im Januar 1959 mit der Stationierung von Thor-Raketen in England sowie Jupiter-Raketen in Süditalien und der Türkei, womit Russlands Hauptstadt bedroht war. Darüber hinaus zeichnete sich ab, dass die Vereinigten Staaten mit ihren in der Entwicklung befindlichen Interkontinentalraketen der Sowjetunion deren Zweitschlagfähigkeit zu nehmen drohten. 

Dadurch stand der Kreml vor der Herausforderung, mit einem wirksamen Schachzug zu kontern und seine eigenen Mittelstreckenraketen in möglichst großer Nähe zum Territorium der USA zu stationieren, um die Vorwarnzeiten im Falle eines Vergeltungsschlages auf ein Minimum zu reduzieren und damit seinerseits die Zweitschlagfähigkeit der USA zu bedrohen. Die Sowjetführung beschloss deshalb, die US-kritische Haltung der kubanischen Revolutionsregierung unter Fidel Castro zu nutzen, um Nuklearraketen der Typen R-12 und R-14 mit 2000 beziehungsweise 4500 Kilometern Reichweite nach Kuba zu verlegen. Damit ließen sich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen konnten auf Kuba stehende Mittelstreckenraketen fast alle wichtigen Städte und Industriezentren der USA bedrohen. Zum anderen würde die US-Radarkette in Alaska, Kanada und auf Grönland, die vor Angriffen über den Nordpol warnen sollte, nutzlos werden.

Die UdSSR rüsteten Kuba auf

Also transportierten sowjetische Frachter ab dem 10. Juli 1962 heimlich 42 Mittelstreckenraketen samt der dazugehörigen Atomsprengköpfe sowie verschiedene andere Waffensysteme und mehrere Zehntausend Soldaten nach Kuba. Die US-amerikanische Seite ging zunächst davon aus, dass Moskau das Castro-Regime nur mit konventionellem Kriegsgerät wie Luftabwehrraketen unterstützen wolle. Das schienen die im August aufgenommenen Spionageaufnahmen von CIA-Höhenaufklärungsflugzeugen des Typs Lockheed U-2 „Dragon Lady“ zu belegen.

Doch einige führende US-Militärs blieben misstrauisch. Deshalb genehmigte US-Präsident John F. Kennedy schließlich weitere U-2-Missionen über Kuba. Die erste fand am 14. Oktober 1962 statt. Sie erbrachte das Washington schockierende Ergebnis, dass die Sowjets bei San Cristóbal mehrere Startrampen für Mittelstreckenraketen errichteten. Damit begann die Kubakrise. Sie sollte zu einem der Höhepunkte des Kalten Krieges werden und drohte in einem nuklearen Schlagabtausch zwischen den beiden Supermächten zu gipfeln.

Kennedy und das von ihm zur Lösung der Kubakrise am 16. Oktober einberufene  Executive Committee (ExComm) diskutierten zunächst vier mögliche Optionen: Hinnehmen der Stationierung, aber Gegenmaßnahmen mit vergleichbarem Bedrohungspotential; Bombardierung der Raketenstellungen; Invasion auf Kuba; und Blockierung aller Seewege zu den Häfen der Insel. Am eindringlichsten auf Angriffsaktionen drängte der Stabschef der US-Luftwaffe Curtis LeMay: „Der rote Hund gräbt im Hinterhof der USA und muss dafür bestraft werden.“ Den Falken vom Schlage LeMays, die sofort und nötigenfalls auch mit Atomwaffen zuschlagen wollten, stand im ExComm schließlich ein Lager relativer Tauben gegenüber wie dem US-Justizminister und Bruder des Präsidenten Robert F. Kennedy, das eine Seeblockade bevorzugte. Und das tat schließlich auch John F. Kennedy.

Seeblockade statt Invasion

Da auch eine Blockade ein militärisches Vorgehen, ein Akt der Gewalt ist, wurde sie offiziell als Quarantänemaßnahme verbrämt. Diese „Quarantäne“ wurde am 22. Oktober 1962 offiziell angekündigt. Damit erfuhr nun auch die Weltöffentlichkeit von der Kubakrise. Einen Tag später unterzeichnete Kennedy den Befehl zur Blockade Kubas im Oval Office. 

Die Ankündigung der Blockade verband der US-Präsident mit der ultimativen Aufforderung an den sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow, die bereits auf Kuba befindlichen Raketen abzuziehen, sowie der Drohung im Falle eines Angriffs auf sein Land mit dem Einsatz von Kernwaffen zu reagieren. Zur Durchsetzung der Seeblockade boten die USA insgesamt 183 Schiffe auf, darunter acht Flugzeugträger sowie 90 Kreuzer und Zerstörer. 

Am 26. und 27. Oktober stieß der US-amerikanische Bloackadeverband auf insgesamt vier sowjetische U-Boote, die sowjetischen Frachtern Begleitschutz gaben. Mit Übungswasserbomben zwang er diese zum Auftauchen. Das war die gefährlichste Situation im Verlauf der Kubakrise, denn die Boote führten Nukleartorpedos an Bord, und es hätte nicht viel gefehlt, und ein Boot, B-59, hätte eine solche Waffe auch abgeschossen.

Während zur See die US-Flotte dominierte und auf dem kubanischen Festland die bislang angelieferten Raketen einsatzbereit gemacht wurden, begann ein persönliches Tauziehen zwischen Kennedy und Chruschtschow. Dabei emanzipierten sich beide Kontrahenten zunehmend von ihren Beraterstäben, die weiter auf Konfrontation drängten. 

Nachdem der Kreml-Chef verkündet hatte, er könne die Blockade nicht akzeptieren, erhielt Kennedy von ihm am 26. Oktober ein Schreiben mit dem Angebot eines Deals: Die Russen ziehen die Raketen von Kuba ab, wenn die US-Amerikaner eine Invasion auf der Insel ausschließen. Kennedy gab sogleich die gewünschte Erklärung ab. Daraufhin schob sein Gegenspieler am 27. Oktober die Forderung nach, die USA müssten darüber hinaus auch noch ihre Jupiter-Raketen aus der Türkei entfernen. Dieser Vorschlag war insoweit logisch, als er beiden Seiten die Möglichkeit bot, ein verloren gegangenes Stück Zweitschlagskapazität zurückzugewinnen, das Voraussetzung war für atomares Patt und Abschreckung getreu dem Motto: Wer als erster schießt, stirbt als zweiter. 

Damals entschloss sich der US-Präsident, seinem Gegenüber die Möglichkeit zu bieten, gesichtswahrend aus der Krise herauszukommen. Dies fiel ihn umso leichter, als er selbst schon erwogen hatte, die technisch veralteten PGM-19 Jupiter nicht länger in Anatolien zu belassen. Also ließ Kennedy den Sowjetführer über geheime Kanäle wissen, dass er dessen Forderungen vollumfänglich erfüllen wolle als Gegenleistung für einen Abzug der sowjetischen Raketen aus Kuba. Und so kam es. 

Am 28. Oktober gab Chruschtschow über Radio Moskau den Rückzug der sowjetischen Raketen bekannt. Nach dem offiziellen Abschluss des Rückzugs beendeten die USA am 20. November 1962 ihre Seeblockade um Kuba. Aus diesem glimpflichen Ausgang zog Kennedy später den Schluss: „In allererster Linie müssen nukleare Mächte es vermeiden, bei der Verteidigung ihrer lebenswichtigen Interessen den Gegner vor die Wahl zwischen einem demütigenden Rückzug und einem nuklearen Krieg zu stellen.“