29.03.2024

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Folge 41-22 vom 14. Oktober 2022 / Nobelpreis / Er brachte uns den Neandertaler buchstäblich „näher“ / Svante Pääbo entdeckte mit revolutionären Methoden die enge Verwandtschaft zum Homo sapiens. Der Schwede lehrt und forscht seit mehr als 30 Jahren in Deutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-22 vom 14. Oktober 2022

Nobelpreis
Er brachte uns den Neandertaler buchstäblich „näher“
Svante Pääbo entdeckte mit revolutionären Methoden die enge Verwandtschaft zum Homo sapiens. Der Schwede lehrt und forscht seit mehr als 30 Jahren in Deutschland
Wolfgang Kaufmann

Dass der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin an einen einzelnen Forscher geht, kam in den jüngsten Jahrzehnten eher selten vor. Doch 2022 war sich die Nobelversammlung des Stockholmer Karolinska-Instituts einig, den Preis nicht zu teilen und ausschließlich an den schwedischen Mediziner und Biologen Svante Pääbo zu verleihen. Zur Begründung dieses Schrittes hieß es, die „bahnbrechenden Forschungen“ des Laureaten, in deren Verlauf er „etwas scheinbar Unmögliches geschafft“ habe, „führten zur Entstehung einer völlig neuen wissenschaftlichen Disziplin: der Paläogenetik. Durch die Aufdeckung genetischer Unterschiede, die alle lebenden Menschen von ausgestorbenen Homininen unterscheiden, bilden seine Entdeckungen die Grundlage für die Erforschung dessen, was uns als Menschen so besonders macht.“

Dabei scheint es, als ob Pääbos wissenschaftlicher Erfolg ebenfalls erblich bedingt ist. Denn die Eltern des in Stockholm geborenen 67-Jährigen waren der schwedische Mediziner und Biochemiker Sune Bergström, der 1982 den Nobelpreis erhielt, und die estnische Chemikerin Karin Pääbo. Der uneheliche Spross dieser beiden Forscher studierte ab 1975 Ägyptologie, Wissenschaftsgeschichte und Medizin an der Universität von Uppsala, an der 1986 auf dem Gebiet der Immunologie promoviert wurde. 

Bereits im Jahr zuvor hatte Pääbo für eine wissenschaftliche Sensation gesorgt. Als Doktorand verwendete er neue molekularbiologische Methoden, um DNA und somit Erbmaterial aus Gewebeproben zu gewinnen. Dabei kam ihm die Idee, das auch bei 2400 Jahre alten ägyptischen Mumien zu probieren. Weil Pääbo befürchtete, sein Doktorvater würde ihm derartige Analysen verbieten, führte er sie heimlich in der Nacht und am Wochenende durch – kam aber dennoch zum Erfolg. Durch die Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse im renommierten Fachblatt „Nature“ war Pääbos Name schlagartig in aller Munde.

Der Durchbruch geschah 2010

Dadurch ergatterte der Schwede 1987 eine Stelle als Assistent von Allan Wilson, dem Pionier auf dem Gebiet der Anwendung der Molekularbiologie bei der Erforschung der menschlichen Evolution. Wilson lehrte an der University of California in Berkeley und hatte entdeckt, dass die Abspaltung des Menschen vom Affen bereits vor rund fünf Millionen Jahren erfolgte, der anatomisch moderne Mensch (Homo sapiens) aber erst seit wenigen hunderttausend Jahren existiert. Das Team von Wilson war damals das einzige weltweit, welches sich mit der Isolierung von Erbgut aus fossilem Gewebe beschäftigte. Dabei verwendete es eine neue Methode zur Vervielfältigung von DNA-Material, nämlich die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), welche heute auch beim Nachweis von Coronaviren zum Einsatz kommt.

Bis 1990 beschäftigte sich Pääbo mit dem genetischen Fundus von ausgestorbenen Tieren wie Höhlenbären und Mammuts. Dann wechselte er an die Ludwig-Maximilians-Universität in München. Das Ziel seiner dortigen Forschungen bestand darin, das Erbgut des Neandertalers zu entschlüsseln. Dieser Verwandte des Homo sapiens tauchte vor rund 400.000 Jahren auf und besiedelte große Teile Europas und Asiens, bevor er dann um 30.000 v. Chr. ausstarb. 

Pääbos Forschungsarbeit in München gipfelte 1997 in der erstmaligen Isolierung von Erbsubstanz aus einem 40.000 Jahre alten Neandertalerknochen, der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgegraben worden war. Allerdings enthielten die relativ kurzen DNA-Abschnitte aus den Mitochondrien, also den energieerzeugenden Bereichen der Zellen außerhalb des Kerns, nur wenige Informationen. Deshalb wollte Pääbo auch das im Zellkern befindliche, deutlich umfangreichere DNA-Material analysieren. Das gelang ihm an seiner neuen Wirkungsstätte, dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, an dem er seit 1997 forscht.

Der Durchbruch erfolgte 2010. Nun konnte der Paläogenetiker die erste Version eines vollständigen Neandertaler-Genoms präsentieren. Und dieses verriet nicht nur einiges über unseren ausgestorbenen Verwandten, sondern auch über uns selbst. So muss es einen gemeinsamen Vorfahren des Homo sapiens und Homo neanderthalensis sowie diverse Vermischungen der beiden Menschenarten gegeben haben. Denn manche Vertreter unserer Spezies besitzen heute noch bis zu vier Prozent Neandertaler-Gene.

Der nächste große Paukenschlag der Leipziger Arbeitsgruppe von Pääbo, die in diesem Falle mit der Abteilung für Archäogenetik des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena unter Johannes Krause kooperierte, fiel ebenfalls noch ins Jahr 2010: Aus 30 Milligramm pulverisierten Materials eines Fingerknochens, der 2008 in der Denisowa-Höhle im russischen Altai-Gebirge gefunden worden war, konnten die Forscher die DNA einer bis dahin unbekannten, dem Neandertaler und dem anatomisch modernen Menschen nahestehenden Art der Gattung Homo gewinnen. 

Deshalb anfälliger für Covid 19?

Die sogenannten Denisowa-Menschen lebten vor rund 160.000 Jahren in Tibet sowie dann später während der Altsteinzeit vor 76.000 bis 52.000 Jahren auch im südlichen Sibirien. Und sie hinterließen ebenfalls Spuren im Genom des Homo sapiens, wie weitere Untersuchungen von Pääbo und Krause ergaben. So stammt beispielsweise ein Zwanzigstel der Gene der Einwohner von Papua-Neuguinea und der Aborigines in Australien vom Denisowa-Menschen.

Dabei sind die Erkenntnisse der von Pääbo begründeten Paläogenetik durchaus nicht nur von akademischem Interesse, wie der Forscher im Juni 2020 zeigen konnte: Offensichtlich beeinflusst der Gentransfer vom Homo neanderthalensis zum Homo sapiens über einen Zeitraum von etwa 50.000 Jahren gemeinsamen Auftretens in Eurasien und dem Nahen Osten auch die Antwort unseres Immunsystems auf Krankheitserreger, denn Personen mit einem bestimmten Neandertaler-Gen auf dem dritten Chromosom leiden häufiger und schwerer an COVID 19. Diese erhöhte Empfindlichkeit gegenüber virusbedingten Atemwegs-Infektionen könnte auch der Grund für das Aussterben des Neandertalers gewesen sein – vielleicht sogar infolge von Ansteckungen durch den Homo sapiens.