29.03.2024

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Folge 42-22 vom 21. Oktober 2022 / NSU-Morde / Wichtige Akten wurden vernichtet / Nach Forderung von SPD und Grünen: Neuer Untersuchungsausschuss soll Ungereimtheiten aufklären

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-22 vom 21. Oktober 2022

NSU-Morde
Wichtige Akten wurden vernichtet
Nach Forderung von SPD und Grünen: Neuer Untersuchungsausschuss soll Ungereimtheiten aufklären
Wolfgang Kaufmann

Fünf der zehn Morde, die als das Werk der rechtsterroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gelten, ereigneten sich in Bayern. In Nürnberg wurden zwischen September 2000 und Juni 2005 die türkischen Kleinunternehmer Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru und İsmail Yaşar erschossen, in München traf es im August 2001 beziehungsweise Juni 2005 den türkischen Gemüsehändler Habil Kılıç sowie den griechischstämmigen Inhaber eines Schlüsseldienstes Theodoros Boulgarides. Deshalb fand der NSU-Prozess, der vom 6. Mai 2013 bis zum 11. Juli 2018 dauerte, vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichtes München statt.

Im Laufe der 438 Verhandlungstage tauchten immer wieder Hinweise darauf auf, dass die aus Thüringen stammenden und am 4. November 2011 durch einen angeblichen gemeinsamen Suizid gestorbenen mutmaßlichen Haupttäter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos Unterstützung von Angehörigen der bayerischen Neonazi-Szene erhalten hatten. Dadurch stellte sich die Frage, ob hierbei auch V-Männer des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz involviert waren. Allerdings lehnte das Gericht die überwiegende Mehrzahl der Beweisanträge mit Geheimdienstbezug ab, weil sie für das Verfahren gegen die fünf überlebenden Angeklagten „nicht schuld- und strafrelevant“ seien.

Unter anderem aus diesem Grund beantragten die Fraktionen der Grünen und der SPD im bayerischen Landtag am 

14. März die „Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 25 der Verfassung des Freistaates Bayern – Zweiter Untersuchungsausschuss des Landtags zur weiteren Aufklärung des NSU-Komplexes“. Hierbei verwiesen sie zu Recht darauf, dass der erste bayerische NSU-Untersuchungsausschuss seine Tätigkeit bereits am 10. Juli 2013 beendet habe, als das Mammut-Verfahren gerade erst angelaufen sei. Die Aufgabe des neuen Gremiums mit der Kurzbezeichnung „UA NSU II“, dessen Einsetzung der Landtag dann tatsächlich am 19. Mai mehrheitlich billigte, soll nun nicht zuletzt darin bestehen, eine sehr viel intensivere Aufklärung zu betreiben, was „die Rolle und das Wissen von 

V-Leuten, verdeckten Ermittlern und weiteren Informationsgebenden mit Bezug zu den bayerischen Sicherheitsbehörden im Umfeld des NSU“ betreffe.

Dabei interessierte sich der Untersuchungsausschuss NSU II beispielsweise für den V-Mann Kai Dalek, der unter dem makabren Pseudonym „Undertaker“, zu Deutsch „Bestatter“ oder „Totengräber“, auftrat. Dalek war offenbar eher ein Geheimdienstprofi als ein klassisches Szenemitglied, denn bevor er 1987 als Spitzel des bayerischen Verfassungsschutzes Rechtsextreme auszuspionieren begann, galt seine Aufmerksamkeit Berliner Antifa-Aktivisten, die er für den Verfassungsschutz in der Bundeshauptstadt ausspähte. In Bayern operierte Dalek dann mindestens bis 1998, wobei er in den elf Jahren als V-Mann zu einer Schlüsselfigur der dortigen Neonazi-Szene avancierte. So verbreitete er unter anderem Steckbriefe von politischen Gegnern, was als Aufruf zur Gewalt gegen diese angesehen werden kann. Außerdem konkurrierte Dalek mit dem V-Mann „Otto“ alias Tino Brandt des Thüringer Verfassungsschutzes, der in seinem Revier zu „wildern“ begann. Aus all diesen Gründen wäre es höchst sinnvoll, größeres Augenmerk auf den „Undertaker“ zu richten, der möglicherweise noch eine wesentliche Rolle innerhalb der extremen Rechten spielte, als das Trio Böhnhardt/Mundlos/Zschäpe im Untergrund abtauchte.

Umso verwunderlicher ist der Umstand, dass das bayerische Justizministerium 20 Akten mit Bezug zum NSU gelöscht beziehungsweise geschreddert hat, in denen es nicht nur um den Kopf des Neonazi-Netzwerkes „Blood and Honour“ in Franken, sondern auch um Dalek ging. Das musste der NSU-II-Ausschuss auf seiner neunten Sitzung am 29. September feststellen, als er ebendiese Unterlagen sichten wollte.

Mehrere der nun nicht mehr zur Verfügung stehenden Akten hätten dabei zwingend archiviert werden müssen, wie Toni Schuberl von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der den Ausschuss leitet, gegenüber der Presse mitteilte. In anderen Fällen wiederum fielen die Dokumente ganz klar unter das seit Ende 2015 bestehende Löschmoratorium für Polizei-Unterlagen. Dennoch sprach Schuberl nur von einem schlampigen Umgang mit den Daten und konstatierte eher zurückhaltend: „Hier hat sich gezeigt, dass im Justizministerium doch zu sehr wichtigen Leuten aus dem NSU-Umfeld Löschungen stattgefunden haben, auch Löschungen, die nicht rekonstruiert werden können. Das versuchen wir jetzt weiter aufzuklären.“