26.04.2024

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Folge 42-22 vom 21. Oktober 2022 / Jammu und Kaschmir / Eine „Krieg-in-Sicht-Krise“ ohne Aussicht auf eine endgültige Beilegung / Schon drei Kriege haben die beiden Atommächte Indien und Pakistan wegen des ehemaligen Fürstenstaates gegeneinander geführt. Der erste von ihnen begann vor 75 Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-22 vom 21. Oktober 2022

Jammu und Kaschmir
Eine „Krieg-in-Sicht-Krise“ ohne Aussicht auf eine endgültige Beilegung
Schon drei Kriege haben die beiden Atommächte Indien und Pakistan wegen des ehemaligen Fürstenstaates gegeneinander geführt. Der erste von ihnen begann vor 75 Jahren
Wolfgang Kaufmann

Kaschmir liegt im Nordwesten des indischen Subkontinents am Übergang von den Bergketten des Himalaya zum Karakorum. Die von wichtigen Handelswegen durchzogene Region war seit alters her ein Schmelztiegel der Religionen und Völker, geriet dann aber 1339 unter islamische Vorherrschaft. 1819 unterwarf der als „Löwe vom Punjab“ gefeierte Sikh-Maharadscha Ranjit Singh Kaschmir und vereinigte es mit dem bereits 1808 eroberten hinduistischen Fürstentum Jammu. Das Ergebnis war ein rund 220.000 Quadratkilometer großer Staat, der nach dem Sieg der Briten im Ersten Sikh-Krieg von 1845/46 zu einem Protektorat des Vereinigten Königreichs wurde.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Unabhängigkeit und Aufteilung Britisch-Indiens in die Dominions Indien und Pakistan anstand, verlieh der Indian Independence Act vom 18. Juli 1947 den pro forma unabhängigen sogenannten Fürstenstaaten, wie Jammu und Kaschmir einer war, das Recht, einem der beiden Dominions beizutreten oder unabhängig zu bleiben. Letzteres strebte Hari Singh an. Der seit 1925 regierende Maharadscha, zu dessen Fürstenstaat außer Jammu und Kaschmir auch noch die Regionen Gilgit-Baltistan, Ladakh, Aksai Chin sowie das Shaksgam-Tal gehörten, war Hindu. Hingegen waren zwei Drittel der Einwohner seines Staates Muslime. Von denen strebten vor allem die in Jammu statt der Unabhängigkeit eine Zugehörigkeit zu Pakistan an.

Deshalb begann die Armeeführung in Pakistan nur sechs Tage nach der Entlassung in die Unabhängigkeit am 14. August 1947 mit den Vorbereitungen zur Operation Gulmarg. In deren Verlauf sollten 20.000 paschtunische Stammeskrieger in Jammu und Kaschmir einfallen und zusammen mit den dortigen Rebellen islamischen Glaubens Hari Singh stürzen. Währenddessen appellierte die All Jammu and Kashmir Muslim Conference an den pakistanischen Premierminister Liaquat Ali Khan, dass dessen Regierung handeln müsse, da die Region sonst „für sie verloren sein könnte“. Daraufhin verhängte Liaquat Ali Khan einen Wirtschaftsboykott gegen Jammu und Kaschmir, während die Muslime in den Distrikten Poonch und Mirpur zum Aufstand bliesen. Und dann kamen auch die Paschtunen. Am 22. Oktober 1947 überschritten sie in großer Zahl die pakistanisch-kaschmirische Grenze bei Muzzaffarabad und Domel, wobei sich viele reguläre pakistanische Soldaten unter die Stammeskrieger gemischt hatten. Dem konnte der Maharadscha nur wenig entgegensetzen. Es drohte der Fall seiner Hauptstadt Srinagar. 

Erster Kaschmirkrieg (1947-49)

In dieser Situation sah Hari Singh nur noch einen Ausweg: den schnellstmöglichen Anschluss an Indien. Am 26. Oktober erklärte er ihn, am Folgetag wurde er wirksam. Das erkannte Pakistan allerdings nicht an. Am 27. Oktober griffen indische Truppen in den Konflikt ein. 

So begann der erste der indisch-pakistanischen Kriege um Kaschmir. In dem Konflikt erzielten zunächst die Inder größere Geländegewinne, bevor Pakistan im Mai 1948 offen reguläre Armeeeinheiten nach Kaschmir entsandte, die zur Gegenoffensive schritten. Allerdings wendete sich das Blatt im November wieder zugunsten der indischen Armee, die mehrere strategisch wichtige Punkte erobern konnte. Dazu gehörte der 3528 Meter hohe Zoji-La-Pass, der das Kaschmirtal mit Ladakh verbindet. Dort hinauf brachten die Inder sogar einige Exemplare des leichten US-amerikanischen Panzers M5.

Am 1. Januar 1949 endete der Erste Kaschmirkrieg mit einem von den Vereinten Nationen vermittelten Waffenstillstand. Dem folgte am 27. Juli 1949 das Karachi Agreement. Nach der Teilung des indischen Subkontinents in die Republik Indien und die Islamische Republik Pakistan wurde nun auch der Fürstenstaat geteilt. Das zentrale Kaschmirtal, Jammu und der größte Teil des buddhistischen Ladakh verblieben bei Indien, während Pakistan rund ein Drittel des ehemaligen Fürstentums mit Gilgit-Baltistan und dem schmalen Landstreifen von Azad Kashmir im Westen erhielt.

Zweiter und dritter (1965, 1999)

Wie beim ersten war auch beim Zweiten Kaschmirkrieg zwischen der Republik Indien und der Islamischen Republik Pakistan letztere der Aggressor. Dessen Präsident Muhammed Ayub Khan glaubte nach dem Tod von dessen ersten Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru Indien derart geschwächt, dass er im Sommer 1965 die Operation Gibraltar in Gang setzte. In deren Verlauf sickerten wieder Stammeskrieger und als solche getarnte reguläre pakistanische Soldaten über die Waffenstillstandslinie in das Kaschmirtal ein mit dem Auftrag, dort einen Aufstand der muslimischen Bevölkerung auszulösen. Allerdings reagierten die indischen Sicherheitskräfte umgehend auf den Infil­trationsversuch. Am 5. August kam es zu ersten Gefechten. Obwohl das mit dem Westen verbündete Pakistan inzwischen über moderne US-amerikanische Waffen verfügte, gewann das demgegenüber blockfreie Indien schnell die Oberhand. Nach seiner offiziellen Kriegserklärung an den Nachbarn vom 6. September marschierte Indien in die pakistanische Provinz Punjab ein. Acht Tage später begann bei Chawinda eine sechstägige Panzerschlacht. Mit jeweils über zweihundert Panzern auf beiden Seiten gilt sie als bislang größte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Verluste auf beiden Seiten waren hoch, eine klare Entscheidung blieb aus, und so schlossen die beiden Konfliktparteien auf Vermittlung der Vereinten Nationen und der beiden Supermächte einen neuerlichen Waffenstillstand, der am 23. September in Kraft trat. Dem folgte im Januar 1966 die Konferenz von Taschkent, in deren Verlauf sich Ayub Khan und der indische Premierminister Lal Bahadur Shastri auf die Wiederherstellung des Vorkriegszustandes einigten.

In den 1980er Jahren eskalierte die Situation erneut. Diesmal waren Pogrome islamischer Fanatiker an Hindus die Ursache. Aufgrunddessen wurde der 1954 geschaffene indische Bundesstaat Jammu und Kaschmir 1986 unter vorläufige Kontrolle der Unionsregierung gestellt. Die Polizei griff immer härter gegen die religiösen Extremisten durch, worauf diese mit zunehmendem Terror reagierten. Ab Mitte der 90er Jahre kam es zwar zu einer Beruhigung, doch schon am Ende des Jahrzehnts brach der Kargil- oder Dritte Kaschmirkrieg zwischen Indien und Pakistan, die zu dem Zeitpunkt bereits Atommächte waren, aus. Während der indische Premier Inder Kumar Gujral und dessen pakistanischer Amtskollege Nawaz Sharif im Februar 1999 die Deklaration von Lahore unterzeichneten, in der beide Länder zusicherten, die Kaschmirfrage friedlich regeln zu wollen, besetzten mehrere hundert Pakistaner die Stellungen der indischen Armee im Grenzdistrikt Kargil, die aufgrund ihrer Lage in mehr als 5000 Metern Höhe wie immer zu Beginn des Winters geräumt worden waren. Das Eindringen bemerkte die indische Seite erst im Mai des Jahres, startete dann aber sofort eine Offensive zur Rückeroberung. Die endete am 11. Juli, nachdem sich der US-Präsident Bill Clinton eingeschaltet und Sharif zum Nachgeben gezwungen hatte.

Die Kämpfe in den eisigen steilen Bergen des 160 Kilometer langen Kargil-Streifens kosteten rund 600 indischen Soldaten das Leben. Insgesamt hatte Indien damit nun schon um die 8000 Militärangehörige im Kampf um Jammu und Kaschmir verloren, während Pakistan sogar um die 10.000 Tote zu beklagen hatte.

Kalter Krieg bis heute

Zwanzig Jahre nach dem Dritten wäre es beinahe zu einem vierten Kaschmirkrieg gekommen. Am 14. Februar 2019 verübte die islamische Terrorgruppe Jaish-e Mohammed im indischen Teil Kaschmirs einen blutigen Selbstmordanschlag, bei dem 44 Bundespolizisten starben. Daraufhin bombardierte die indische Luftwaffe Ausbildungslager der Organisation in Pakistan, dessen Armee zwei indische Flugzeuge abschoss. Wenige Monate darauf, am 5. August 2019, wurde aus der indischen Verfassung der Passus gestrichen, welcher Jammu und Kaschmir eine Sonderstellung unter den Bundesstaaten und weitreichende Autonomierechte garantierte. Am 31. Oktober wurde Jammu und Kaschmir auch noch der Bundesstaatsstatus genommen. So wurden aus dem Bundesstaat zwei Unionsterritorien mit den Namen „Jammu und Kashmir“ sowie „Ladakh“. Im Unterschied zu den Bundesstaaten mit eigener örtlicher Regierung unterstehen die Unionsterritorien der Zentralregierung in der Hauptstadt Neu-Delhi. 

Seitdem herrscht relative Ruhe in dem Konfliktgebiet. Einen vierten Kaschmirkrieg hat es bislang nicht gegeben. Von den kleineren Scharmützeln, zu denen es an der Demarkationslinie immer wieder kommt, ist bislang keines eskaliert. Das mag auch ein Verdienst der Militärbeobachtergruppe der Vereinten Nationen in Indien und Pakistan (UNMOGIP) sein, die seit 1951 existiert. 

Wenn es denn auch derzeit keinen offenen Krieg gibt, so wechseln doch aus Pakistan radikalislamische Attentäter nach Indien, um dort Terroranschläge zu verüben, nach denen die Regierung in Islamabad jedes Mal die angeblich legitimen Aktionen der „Freiheitskämpfer“ preist. 

Angesichts dieses kalten Krieges zwischen Pakistan und Indien um Kaschmir sprechen Beobachter von einer anhaltenden „Krieg-in-Sicht-Krise“ zwischen den beiden Atommächten, deren endgültige Beilegung in den Sternen steht.





Staats- und Regierungschefs Pakistans

Liaquat Ali Khan war Pakistans erster Premierminister. Im Amt fiel er 1951 in Rawalpindi einem Attentat zum Opfer. Das Motiv des Täters wurde nie geklärt.

Muhammed Ayub Khan zettelte als Präsident Pakistans den Zweiten Kaschmirkrieg an, der sein Regime nachhaltig destabilisierte. 1969 trat er zurück.

Nawaz Sharif war ab 1990 mehrmals Pakistans Premier. Seine zweite Amtszeit endete wenige Monate nach dem Kargil-Krieg durch einen unblutigen Militärputsch.