20.04.2024

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Folge 42-22 vom 21. Oktober 2022 / Medienkonsum / Immer mehr Menschen haben von Nachrichten die Nase voll / Die „News-Abstinenz“ greift um sich: Ist das eine Gefahr für die Demokratie oder einfach nur gut für einen gesunden Blutdruck – Die Wissenschaft streitet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-22 vom 21. Oktober 2022

Medienkonsum
Immer mehr Menschen haben von Nachrichten die Nase voll
Die „News-Abstinenz“ greift um sich: Ist das eine Gefahr für die Demokratie oder einfach nur gut für einen gesunden Blutdruck – Die Wissenschaft streitet
Ansgar Lange

Immer mehr Menschen haben die Lust auf Nachrichten verloren. Einer aktuellen Studie zufolge, die auf einer repräsentativen Umfrage unter 93.000 Nachrichtenkonsumenten in 46 Ländern beruht, ignorieren 38 Prozent der Befragten manchmal oder häufig bewusst Nachrichten. Vor fünf Jahren lag der Wert noch bei 29 Prozent. Der Journalist Adrian Lobe sieht diese Verweigerungshaltung kritisch. In einem Artikel für die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) warnt er davor, dass diese „news avoidance“ – also der bewusste Verzicht auf Nachrichten – Folgen für die Demokratie zeitigen könnte. 

Andere Experten dürften die Befunde des „Digital News Report“ des Reuters Institute mit mehr Gelassenheit, vielleicht sogar Freude zur Kenntnis nehmen. Der Schweizer Unternehmer, Buchautor und Publizist Rolf Dobelli hält Nachrichten nämlich schlicht für „Massenvernichtungswaffen“. In seinem Buch „Die Kunst des digitalen Lebens“ plädiert er für einen radikalen Verzicht auf den Konsum von Nachrichten. Der Konsum von Nachrichten via Fernsehen, Internet oder Tageszeitung sei sinnlos, schädlich und mache unglücklich: „Durch die Digitalisierung haben sich News von einem harmlosen Unterhaltungsmedium in eine Massenvernichtungswaffe gegen den gesunden Menschenverstand verwandelt.“ Die Wahrheit dürfte – wie so häufig – in der Mitte liegen.

Was sind die Gründe für die Nachrichtenmüdigkeit? „Die“ Medien dürften hieran nicht ganz unschuldig sein. Während der Corona-Zeit haben es vor allem die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit ihrer monothematischen Berichterstattung übertrieben. Die Menschen wurden nicht informiert, sondern vor allem belehrt und in Panik versetzt. Selbstverständlich gilt dies nicht für alle Medien. Doch viele Bürger hatten den Eindruck, dass sich manche Kommentatoren, Moderatoren oder Redakteure in Hörfunk und Fernsehen eher wie Regierungssprecher denn wie unabhängige Journalisten verhielten. 

Einseitige, unglaubwürdige Sender

Dies ist kein neues Phänomen. Eine monothematische, häufig nicht um Sachlichkeit bemühte Berichterstattung zu Corona, zum Klimawandel, zur Asylkrise oder auch jüngst zum Krieg gegen die Ukraine führt bei vielen zum Verdruss und zur Nachrichtenmüdigkeit. Dann doch lieber eine Serie bei einem Streamingdienst anschauen, sagen sich manche, vor allem jüngere Zuhörer und Zuschauer. 

Lobe hält es für ein Problem, wenn sich immer mehr Menschen vom öffentlichen Diskurs abwenden, „weil ihnen die Bilder von Leichen in der Ukraine oder hungernden Menschen in Afrika als Zumutung erscheinen“. Dann drohe Demokratie zu einer „elitären Veranstaltung“ zu werden. Aber trifft Lobe hier den Kern? Können oder wollen viele einfach keine schrecklichen Bilder mehr ertragen? Hier ist Skepsis angebracht. Vielleicht stören sie sich vielmehr daran, dass Journalisten häufig so einseitig Partei für bestimmte Positionen ergreifen, die eher im linken Spektrum zu verordnen sind. 

„Ein Großteil der Deutschen traut sich nicht mehr, seine Meinung frei zu äußern. Die überbordende politische Korrektheit untergräbt zusehends die Demokratie. Medien erleiden eine Glaubwürdigkeitskrise. Vor allem die Öffentlich-Rechtlichen sind einfach zu staatsnah“, schreibt der Publizist Wolfram Weimer. Während der Euro-, Syrien- oder Ukrainekrise sei der „Mainstream unserer Medien (…)blind der Berliner Regierungsperspektive bei diesen Konflikten“ gefolgt. Der Journalist Christoph Schwennicke spricht von einer grünen Gewogenheit bei vielen Journalisten. 

Dobelli hält auch aus anderen Gründen den Nachrichtenkonsum für verzichtbar. Er ist der Auffassung, dass Nachrichten irrelevant seien für das, was im Leben der meisten Menschen wirklich zähle. „Sie dürften in den letzten zwölf Monaten etwa 10.000 Kurznachrichten verschlungen haben – zirka 30 Meldungen pro Tag. Seien Sie ganz ehrlich: Nennen Sie eine davon, die es Ihnen erlaubt hat, eine bessere Entscheidung (für Ihr Leben, Ihre Karriere, Ihr Geschäft) zu treffen, als wenn Sie diese News nicht gehabt hätten“, so der Autor im Debattenmagazin „Schweizer Monat“. Er hatte sein Damaskuserlebnis und wurde vom News-Junkie zum Abstinenzler. Statt Nachrichtenhäppchen zu verzehren, sollten wir lieber lange Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Essays, Features, Reportagen, Dokumentarsendungen und Bücher lesen und schauen.  

Anders als Dobelli, der für einen Radikalverzicht eintritt, könnte man sagen: Die Dosis macht das Gift. Es wirkt etwas zwanghaft, wenn jeglicher Nachrichtenkonsum „des Teufels“ sein soll. Wahrscheinlich verkauft sich ein Buch mit einer steilen These einfach besser. Doch in einem hat der Autor absolut recht: Das ständige Starren auf unser Smartphone, das eitle Geplapper mancher sich wichtig nehmender Journalisten in Radio und Fernsehen und die Lohnschreiberei mancher Printjournalisten, die keine Zeit mehr haben für Recherche, sondern nur noch abschreiben, lässt unser Hirn verkümmern. Wir verlieren so die Gabe, lange Texte zu lesen.

Licht am Ende des Tunnels?

Daher ist Dobellis Streitschrift auch ein Plädoyer dafür, mehr und bewusster zu lesen. Internet, Fernsehen, Radio, lokales Käseblatt: Das ist allzu oft nur Weißbrot und schädlich für den Organismus. Lange Artikel in „NZZ“, PAZ und in Fachzeitschriften und „gute“ Bücher sind das Schwarzbrot, das uns gesund erhält. Um es mit Dobelli zu formulieren: „In Bezug auf News sind wir heute an dem Punkt, wo wir in Bezug auf Zucker und Fast Food vor zwanzig Jahren standen, denn: News sind für den Geist, was Zucker für den Körper ist. News sind appetitlich, leicht verdaulich und gleichzeitig höchst schädlich.“

Dobelli ist Stoiker. Wer Wert auf einen gesunden Blutdruck, Seelenfrieden und Gleichmut legt, sollte sich vom hektischen Nachrichtenkonsum verabschieden. Hat der Journalismus also überhaupt keine Zukunft? Der derzeitige Krawalljournalismus oder auch der hochmütige Haltungs- und moralische Journalismus sind das Geld nicht wert, das wir täglich in sie investieren. Einem investigativen und erklärenden Journalismus, der komplex und teuer ist, gehört laut Dobelli die Zukunft. Vielleicht werden dann einige Bürger auch wieder „nachrichtenwacher“. 

Rolf Dobelli: „Die Kunst des digitalen Lebens. Wie Sie auf News verzichten und die Informationsflut meistern“, Piper Verlag, München 2019, 256 Seiten, 20 Euro